50 bunte Rampen hat Rita Ebel mit ihrer Familie ehrenamtlich gebaut. Sie liegen für Rollstuhlfahrer vor Läden und Restaurants bereit.
Wer auch immer der Meinung ist, das mit der Inklusion klappe doch sowieso nicht, weil es viel zu viele Baustellen gebe und überhaupt – der sollte sich unbedingt mit Rita Ebel unterhalten. Nicht nur, weil die 63-Jährige einen sehr pragmatischen Blick auf die Sache mit der Barrierefreiheit hat. Sondern auch, weil sie ihr Gegenüber im wahrsten Sinne des Wortes überrollt – mit ihrer Lebensfreude, ihrem Tatendrang und ihrem unerschütterlichen Glauben an die Kraft der Veränderung.
Rita Ebel, Rentnerin aus Hanau in Hessen, baut Rollstuhlrampen aus Legosteinen. Sie selbst ist seit einem Autounfall vor 27 Jahren querschnittsgelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Als Lego-Oma ist sie bei Instagram inzwischen eine kleine Berühmtheit, knapp 5000 Fans folgen ihr dort, doch auch in ihrer Heimatstadt Hanau in Hessen ist sie überall bekannt. 21 ihrer kunterbunten Lego-Rampen liegen dort inzwischen vor Restaurants und Geschäften, in die sonst kein Rollstuhlfahrer ohne fremde Hilfe Zutritt hätte.
Am Anfang musste sie sehr für ihre Idee kämpfen
Es war nicht ihre eigene Idee, das sagt sie gleich zu Beginn der neuen Folge des Abendblatt-Podcasts „Von Mensch zu Mensch“. „Vor zwei Jahren habe ich ein Bild in der Zeitschrift für Querschnittsgelähmte gesehen, auf dem fuhr eine Frau im Elektro-Rollstuhl über eine Rampe aus Legosteinen. Das Konzept stammt eigentlich von Raul Krauthausen, einem Behinderten-Aktivisten, der wie ich einen Rollstuhl braucht“, erzählt Rita Ebel. „Und da habe ich gedacht: Wie lustig und fröhlich das aussieht, das muss ich unbedingt nach Hanau holen.“ Gesagt, getan.
Allerdings: Ganz so einfach war der Auftakt dann nicht. „Am Anfang musste ich doch auch ein wenig Überzeugungsarbeit leisten hier in Hanau“, sagt Rita Ebel. „Niemand konnte sich etwas unter diesen Rampen vorstellen, es kannte ja keiner das Konzept. Und da war ich zu Beginn schon auch frustriert, dass keiner die wollte.“
Doch dann nahm das kleine Projekt recht schnell an Fahrt auf. 50 kunterbunte Kunstwerke hat Rita Ebel inzwischen gebaut, umgerechnet 1,2 Tonnen Legosteine dafür verbraucht. Sie liegen in Hanau, Karlsruhe, Bad Salzungen und Paris, und nicht nur die Rampen selbst verschickt die Lego-Oma in die Welt, auch die Idee an sich möchte sie an so viele Menschen bringen wie möglich.
Rampenbau ist kein Kinderspiel
Legorampenbauer nach dem Hanauer Vorbild gibt es 2021 nicht nur in Saarbrücken, Köln und München, sondern auch in St. Petersburg, Frankreich und den USA. Die Bauanleitungen haben die Ebels im Bekanntenkreis in neun Sprachen übersetzt, Spanisch, Französisch, sogar Kroatisch. 420-mal hat das Ehepaar sie schon in die ganze Welt verschickt.
Ganz allein ist das natürlich nicht mehr zu schaffen. Ein Kinderspiel ist es nämlich nicht, eine Rampe aus Legosteinen zu bauen. „Die meisten Leute unterschätzen, wie viele Steine man braucht“, sagt Rita Ebel. 7000 bis 8000 Steine sind es pro Rampe, keiner davon ist gekauft: Die Rentnerin arbeitet nur mit gespendeten Steinen, denn auch die Rampen werden am Ende nicht verkauft, sondern verschenkt. Im Moment, sagt die 63-Jährige, seien die Speicher ganz schön leer. Ob es Vorlieben gibt, was die gespendeten Steine angeht? „Nein, wir nehmen alles“, sagt Rita Ebel. „Wir sortieren das hier vor Ort, mein Mann übernimmt diesen Part. Was wir nicht für eine Rampe verwenden können, tauschen wir über eine Online-Händlerin ein.“
Das Wohnzimmer ist voller Legosteine
Überhaupt, die Familie. Ohne sie wäre das alles gar nicht mehr zu machen. Acht Menschen stecken inzwischen hinter der Lego-Oma, die meisten aus der Familie, aber nicht alle. Die Enkelin zum Beispiel kümmert sich um den Instagram-Account, Wolfgang, Ritas Mann, hilft beim Bauen – und beim Nervenbehalten.
Wie vor wenigen Wochen, als bei den Ebels die 50. Rampe entstand und das Wohnzimmer mal wieder aussah wie ein Kinderzimmer nach einer Woche Quarantäne: alle verfügbaren Sitzmöbel und Ablageflächen voller Legosteine, kleine und große Berge, Kisten und Kartons. Ein Chaos mit System. „Rechts von mir stehen dann die Doppel-Dreier und die Doppel-Vierer, links die flachen Grundbausteine“, erklärt Rita Ebel. „Und dann liegen da Hammer und Kleber, damit die Steine ordentlich festsitzen. Sieht immer chaotisch aus, aber für uns hat es inzwischen ein System.“
Harry-Potter-Eule vor einer Buchhandlung
Bei der Gestaltung der sichtbaren Flächen geben sich Rita Ebel und ihr Rampen-Team besondere Mühe. Wer zum Beispiel ins Bierhotel Ranklleiten in Österreich rollt, überquert zwei frisch gezapfte Weizenbiere im Glas, den Eingang der Buchhandlung Schneider-Jung in Karlsruhe ziert eine Harry-Potter-Eule auf dem Besen – wer genau hinschaut, entdeckt im Fuß der Rampe sogar einen winzigen Lego-Harry-Potter. Es gibt Rampen mit Einhörnern und Rampen mit Paw-Patrol-Hunden für Kinder, die wie jeder erwachsene Mensch Tag für Tag erleben müssen, dass die wenigsten für sie mitdenken, wenn es um Stadtplanung und Architektur geht.
Nie im Leben hätte Rita Ebel gedacht, dass ihr kleines Projekt so weite Kreise ziehen würde. Verwunderlich ist es natürlich nicht. Weil es auf bunte, lustige Weise auf etwas hinweist, an dem wir alle arbeiten können: dass die Welt, in der wir leben, für alle zugänglich wird, egal, ob sie zu Fuß unterwegs sind oder mit dem Rollstuhl, dem Kinderwagen oder dem Rollator.
Wer seine Legosteine spenden möchte, kann die Lego-Oma über Instagram kontaktieren oder eine Mail schreiben an dielegooma@gmail.com.