Hamburg. Menschen mit Trisomie 21 treffen sich mit Begleitern im Hamburger Westen regelmäßig zum Joggen. Weitere Sportler gesucht.

„Die Natur, ja. Und all das Vogelzwitschern. Das ist richtig schön.“ Florian Quade strahlt über das ganze Gesicht beim Gedanken an seine Läufe durch das Niendorfer Gehege. Gerade jetzt, wo der Frühling erwacht und die Natur kraftvoll dabei ist, das Grau des Winters zu verdrängen.

Ich laufe deshalb richtig gerne“, erzählt Quade, „ich kann draußen alles andere vergessen.“ Florian Quade ist 35 Jahre alt. Das sieht man ihm nicht an. Bewegung hält fit. Er läuft intensiv seit 2014 und gehört damit zu den Gründungsmitgliedern des „Vereins Downlaufen“. Quade hat das Down-Syndrom und schwärmt voller Begeisterung für seinen Sport: „Ich bleibe fit, ich nehme ab, ich habe weniger Gewicht“, sagt Quade.

"Laufen tut Menschen mit Down-Syndrom sehr gut"

Genau so ist das beim Sport, egal, wie viele 21er-Chromosomen einer aufweist. Menschen mit Down-Syndrom haben jedoch nicht selten einen ineffektiveren Stoffwechsel, müssen mehr trinken und kämpfen häufiger mit Übergewicht. Bei vielen gibt es eine Tendenz zu Muskelschwäche, der man mit Training entgegenwirken kann.

„Das Laufen tut Menschen mit Down-Syndrom sehr gut. Sie gewinnen nicht nur an Selbstvertrauen, sondern verlieren auch überschüssiges Körpergewicht und ihre Leistungsfähigkeit sowie Ausdauer nehmen zu“, hat Professor Holm Schneider vom Universitätsklinikum Erlangen Kinder- und Jugendklinik in einer entsprechenden Studie festgestellt.

Florian Quade (l.) gerhört zu den Läufern der ersten Stunde beim Verein, hier feiert er mit Marvin nach einem Volkslauf.
Florian Quade (l.) gerhört zu den Läufern der ersten Stunde beim Verein, hier feiert er mit Marvin nach einem Volkslauf. © Mirko Thiessen | Mirko Thiessen

„Bei Ärzten rennen wir auch offene Türen ein“, sagt deshalb Mirko Thiessen, der die Gruppe vor sieben Jahren gegründet hat und seitdem regelmäßig als Laufbegleiter mit Florian Quade unterwegs ist. Inzwischen gibt es einen harten Kern von vier Läufern mit Down-Syndrom zwischen 17 und 35 Jahren, die regelmäßig dabei sind.

Einfach mal ausprobieren - auch mit anderem Handicap

Dazu kommen immer wieder Läufer, die es einfach mal für sich ausprobieren wollen. „Wir sind wirklich offen für jeden und für alle, auch für Sportler mit anderen Handicaps“, sagt Thiessen, „wir gehen auch bei den Distanzen darauf ein, was der Einzelne kann oder will.“

Das geht nur mit einer Eins-zu-eins-Betreuung. Ein Läufer, ein Laufbetreuer – anders ist es nicht möglich. Diese Erfahrung hat Thiessen inzwischen gemacht. „Am Anfang habe ich gedacht, ich könnte alleine eine Gruppe betreuen“, erinnert er sich an einen Versuch im Park Am Weiher in Eimsbüttel, „aber das geht nicht.“

Die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Läufer sind einfach zu unterschiedlich: „Manche verlaufen sich schnell, einer hat Probleme mit Hindernissen oder einem unebenen Boden, der eine möchte viel sprechen beim Laufen, ein anderer gar nicht.“ Die Laufbegleiter im Verein sind zwischen 18 und 63 Jahre alt und haben die unterschiedlichsten Hintergründe – vom Landschaftsgärtner bis zum Lehrer.

Zum ersten Lauftermin kam nur ein Teilnehmer

Wie so oft braucht es Zufälle und die Initiative eines Einzelnen, bis Außergewöhnliches entsteht. So auch hier. Thiessen, der in einer Softwarefirma arbeitet und viel am Schreibtisch sitzt, hat 2014 als Ehrenamtlicher in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderungen Florian Quade kennengelernt. Die Begeisterung für das Laufen wuchs bei beiden gemeinsam. Er hat sich dann bei Laufinitiativen in Fürth und Gelnhausen schlau gemacht, die einzigen in Deutschland, die damals Menschen mit Down-Syndrom eine regelmäßige und organisierte Laufgruppe anboten.

Eine Hamburger Selbsthilfeorganisation betroffener Eltern fand die Idee gut, unterstützte mit Kontakten, es gab einen Aufruf, „und zum ersten Termin kam – einer.“ Sich davon nicht frustrieren lassen, weitermachen, auch wenn es schwierig ist, das ist die Kunst. „Mittlerweile sind wir einigermaßen bekannt, viel läuft durch Mundpropaganda“, erzählt der Vereinsgründer. „Wir laufen auch mit eigenen T-Shirts, besonders bei Volksläufen werden dann Leute neugierig und fragen nach.“

Im Mittelpunkt steht der Spaß

Aber natürlich könnte die Gruppe noch viel größer werden als die 20 festen Mitglieder derzeit. „Im Mittelpunkt steht der Spaß. Wir trainieren ernsthaft, sind dabei aber kein Sportverein wie jeder andere“, heißt es auf der Website downlaufen.de: „Zum Programm zählen auch gemeinsame Ausflüge und allerlei Aktionen.“

Mirko Thiesen (oben rechts) hat den Verein
Mirko Thiesen (oben rechts) hat den Verein "Downlaufen" gegründet. © Mirko Thiessen | Mirko Thiessen

Gemeinsam in die Schwimmhalle, kochen, Unternehmungen – all das ist derzeit pandemiebedingt leider eingestellt. Auch das Laufen in einer Gruppe ist derzeit verboten. Auf freundschaftlicher Basis treffen sich dennoch im Rahmen der Hygieneregeln Läufer und Begleiter zu zweit zu ihren Runden. Die Vereinsmitglieder, Eltern, Geschwister und Betreuer halten regelmäßig Kontakt zueinander. „Das ist nie abgerissen, wir telefonieren viel miteinander“, berichtet Mirko Thiessen, „darüber bin ich sehr froh.“

Auszeichnung beim Werner-Otto-Preis im Behindertensport

Im Februar ist dem Verein von der Alexander-Otto-Sportstiftung im Rahmen des Werner-Otto-Preises eine Auszeichnung ausgesprochen worden. „Durch das gemeinsame Laufen wird Inklusion gefördert und die Sportler mit Handicap erfahren ein Miteinander auf Augenhöhe“, heißt es in der Begründung der Stiftung, die auch die Niedrigschwelligkeit des Angebots hervorhebt. 5000 Euro Preisgeld gab es dafür, Geld, das der Verein gut gebrauchen kann, denn die Teilnahme ist für die Sportler mit Handicap und die Begleiter kostenfrei. Es braucht, wenn möglich, die Unterstützung der Angehörigen, beim Anschaffen von Laufschuhen zum Beispiel.

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Thiessen hat auch die Idee einer gemeinsamen Laufreise, „wenn das wieder möglich ist“. Der Blick geht voraus, 2022 rechnet Thiessen, wird es auch wieder möglich sein, an Volksläufen teilzunehmen. „Mit Zuschauern, die unsere Läufer anfeuern. Das ist immer ganz toll.“ Florian Quade, der in normalen Zeiten in der Küche einer Kita arbeitet, hat sich auch schon sportliche Ziele gesteckt: „Einen Halbmarathon will ich schaffen“, erzählt er und sagt stolz, „neulich habe ich schon 18 Kilometer geschafft.“ Da bleibt nur eines zu sagen: Respekt.

Wer Interesse an der integrativen Laufgruppe hat, findet weitere Informationen und ein Kontaktformular unter www.downlaufen.de