Durch den Lockdown gibt es deutlich mehr Fälle von häuslicher Gewalt. Der Abendblatt-Verein hat einer Frau in großer Not geholfen.
„Guten Tag“, sagt eine junge Männerstimme am Telefon, „ich habe gehört, dass Sie Menschen in Not helfen. Wie helfen Sie denn?“ Ich erkläre ihm, in welchen Fällen unser Abendblatt-Verein Unterstützung leisten kann. Es gehe um seine Mutter, berichtet der Mann. Sie sei in finanzielle Not geraten. Als ich genauer nachfrage, traut sich schließlich Laura Martens (Name geändert), die im Hintergrund mitgehört hat, ans Telefon und erzählt ihre Geschichte.
Sie habe vor einigen Monaten ihre Arbeit verloren, müsse sich nun auch noch einer Operation unterziehen „Ich habe Schulden bei der Krankenkasse und meine Miete kann ich momentan ebenfalls nicht aufbringen. Mir droht die Obdachlosigkeit“, sagt sie verzweifelt. Ihr Sohn studiere, ihre Tochter sei gerade mit der Ausbildung fertig und die beiden könnten nun leider kein Geld mehr abzweigen vom Bafög oder den gerade angelaufenen Gehaltszahlungen.
Angst, dass der Mann über eine Behörde die Adresse erfährt
„Wo liegt das Problem?“, frage ich, denn das Sozialsystem springe doch ein in solchen Fällen. „Ich habe schon vor einigen Monaten einen Antrag gestellt beim Jobcenter“, sagt Frau Martens, „aber weil ich nicht in meiner Wohnung gemeldet bin und einen abgelaufenen Ausweis habe, gibt es große Schwierigkeiten bei den Bewilligungen.“ Was treibt jemanden dazu, solche Probleme zu riskieren, um ein Leben im Verborgenen führen zu können?
Die schlichte Antwort von Frau Martens ist: „Ich habe Angst.“ Angst, irgendwie über eine Behörde von ihrem ehemaligen Partner gefunden zu werden, von dem sie sich bereits vor Jahren trennte. „Ich musste ihn verlassen, denn er wurde zunehmend aggressiver. Er sagte: ,Wenn du gehst, werde ich dich finden, wo du auch bist. Und dann bringe ich dich um. Oder ich schicke jemanden, der das tut.‘“ Diese Worte haben sich eingegraben ins Gedächtnis aller Familienmitglieder. Und sie glauben, dass er die Worte in die Tat umsetzen würde, wenn er wüsste, wo sie leben.
Sie ging fort zum Schutz der Kinder
Schon als Jugendliche waren Frau Martens und er ein Paar geworden, sie habe damals noch geglaubt, ihn mit der Zeit ändern zu können, doch sein bedrohliches Verhalten sei schlimmer geworden. Schließlich habe sie eingesehen, dass „er eine gestörte Persönlichkeit hat, die man nicht therapieren kann“. Sie musste auch zum Schutz der Kinder gehen. „Dafür bin ich meiner Mutter sehr dankbar“, sagt ihr Sohn, dass sie den Mut dazu gehabt habe. Mut möchte Frau Martens auch anderen Frauen in ähnlichen Situationen machen, sich vor allem auch wegen der Kinder so frühzeitig wie möglich aus so einer Beziehung zu lösen.
Mehr als 125.000 Fälle häuslicher Gewalt, vor allem von Männern verübt, werden in Deutschland jährlich gemeldet, aus allen Bevölkerungsschichten, egal ob in Arbeiter- oder Akademikerfamilien. Zuflucht finden Frauen und Kinder häufig in Frauenhäusern. Aber wenn die Bedrohung sich über Jahrzehnte hinzieht und der Mann strafrechtlich bisher unauffällig war, gibt es keine Handhabe gegen ihn. Die Polizei kann zwar gewaltbereite Männer – und auch Frauen – aus der Wohnung weisen, zudem dürfen manche Gewalttäter ihren Familien nicht mehr nahekommen, aber ein sicherer Schutz bleibt das nicht auf Dauer.
In Hamburg gab es seit dem Lockdown eine Zunahme an häuslicher Gewalt
Gerade während des Corona-Lockdowns mussten viele Familien auf engem Raum zusammen ausharren, eine Zunahme an Gewalttaten zwischen den Paaren wird aus mehreren Bundesländern gemeldet. In Hamburg verzeichnete die Polizei in den Monaten Januar bis Juni 2020 eine höhere Zahl an Delikten im Bereich der Beziehungsgewalt (2252) im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (1812). Bereits Ende April startete Bundesfrauenministerin Franziska Giffey eine bundesweite Aktion „Zuhause nicht sicher?“: Gemeinsam mit Deutschlands großen Einzelhandelsketten möchte die Initiative „Stärker als Gewalt“ Menschen unterstützen, die aktuell davon betroffen sind. Bundesweit wurden in etwa 26.000 Supermärkten Plakate im Kassenbereich, an den Ausgängen und an den Schwarzen Brettern aufgehängt, die über die Hilfsangebote informieren.
Wie sich eine Geschichte zuspitzen kann, beschreibt auch Antje Joel in ihren aktuellen Buch „Prügel – eine ganz gewöhnliche Geschichte häuslicher Gewalt“ (Rowohlt, 335 S., 12 Euro). Ihre Beziehungen sind von Gewalt geprägt. In der zweiten Ehe befreit sie sich langsam von eigenen Überzeugungen, die verhindern, dass sie für sich selbst sorgt. Sie schafft es, sich von eigenen Schuldgefühlen und aus dieser auch von Missbrauch geprägten Ehe zu lösen.
Frau Martens erhält Hilfe durch den Weißen Ring
Dazu gehört eine Flucht mit den Kindern ins Ausland. Denn ihr Ex-Mann schafft es immer wieder, sie zu terrorisieren, sogar mithilfe staatlicher Unterstützung wie der Prozesskostenhilfe, da er vom Sozialamt lebt. Antje Joel hat ein umfassendes und glaubhaftes Buch zum Thema geschrieben. Zwiespältige Liebe ist dabei ein Aspekt ebenso wie die Aussage: „Häusliche Gewalt ist weltweit die Hauptursache für Depressionen bei Frauen.“ Wer wissen möchte, wie solche Verbindungen zwischen Täter und Opfer „funktionieren“, kann dies beim Lesen von Joels Geschichte gut nachvollziehen.
Frau Martens lässt sich hingegen nun von der Opferhilfe-Organisation Weißer Ring beraten und unterstützen. „Das ist eine große Entlastung, aber mit der Angst muss ich trotzdem weiterhin irgendwie klarkommen“, sagt sie. „Hamburger Abendblatt hilft e. V.“ hat Frau Martens bei den Rückständen für die Krankenkasse unterstützt, damit sie die notwendige Operation durchführen lassen kann. Auch bei der Miete halfen wir. „Uns fällt ein Stein vom Herzen“, schrieb ihr Sohn an „Von Mensch zu Mensch“, „Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr uns diese Hilfe erleichtert. Wir freuen uns so sehr, dass es nun endlich wieder aufwärts geht!“ Für die Zukunft hofft die Familie auf eine hilfreiche Entscheidung der Behörden.
Hier gibt es Hilfe und Beratung für Frauen in Not
Gewalt in der Partnerschaft ist eine Straftat. „Wer schlägt, muss gehen“, lautet daher die eindeutige Botschaft des Gesetzes. Die Polizei kann die gewalttätige Person aus der Wohnung verweisen und ihr das Betreten der Wohnung verbieten. Opfer von häuslichen Gewalttaten sollten unter Notruf 110 die Polizei verständigen.
Rund um die Uhr erreichbar und kostenlos ist auch das Bundeshilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“, Tel. 08000 116 016. Die Anruferin kann anonym bleiben, der Inhalt des Gesprächs ist streng vertraulich, Daten werden nicht gespeichert. Das Hilfetelefon berät zu allen Formen der Gewalt gegen Frauen, ob heterosexuell oder lesbisch.
Sollten Sie Beratung und Hilfe in Ihrer Nähe suchen, vermittelt das Hilfetelefon Sie weiter.
Intervento ist eine Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt, Beziehungsgewalt und Stalking in Hamburg. Dort gibt es psychosoziale Beratung und Unterstützung mitbetroffener Kinder.
Holstenstraße 79–81, Tel. 226 226 27, E-Mail: intervento@verikom.de
Weitere Infos gibt es in der Polizeibroschüre „Opferhilfeeinrichtungen und Beratungsstellen“ und hilfreiche Adressen in Hamburg unter: https://opferhilfe-hamburg.de/informationen/hilfreiche-adressen/