Haustiere sind aus dem Leben ihrer Menschen nicht mehr wegzudenken und übernehmen als Sozialpartner wichtige Aufgaben

Mit Hund Flocki wurde im Mai dieses Jahres das erste Tier im neu eröffneten „Gemeinschaftsgarten für Mensch und Tier“ auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt. Seine 72-jährige Besitzerin gehört zu den sechs Tierhaltern, die dort bisher eine der insgesamt 121 Grabstellen erworben haben. So wie in Hamburg gibt es deutschlandweit bereits zwei Dutzend Friedhöfe, auf denen sich Menschen gemeinsam mit ihrem Haustier bestatten lassen können. „Auch in der Bestattungskultur spielen Selbstbestimmtheit und Individualität eine immer größere Rolle. Z

Zahlreiche Tierhalter informieren sich über diese neuen Angebote“, sagt Ulrike Neurath, die ihre Doktorarbeit am Hamburger Institut für Volkskunde zum Thema „Tier und Tod“ geschrieben hat. In ihrer Arbeit hat sie untersucht, wie sich die Rolle des Haustieres in den letzten Jahrhunderten gewandelt hat. „Mit der Industrialisierung, der Verstädterung, dem technologischen Fortschritt und zunehmender Mobilität sind unsere Bindungen zu anderen Menschen immer instabiler geworden. Viele erleben mittlerweile die Verbindung zu ihrem Haustier als wichtigste soziale Konstante und verlässliche Quelle für Freude, Wärme und Nähe in ihrem Leben.“

Ein Haustier strukturiert den Tagesablauf

Längst ist durch zahlreiche Studien nachgewiesen, wie sehr wir vom Umgang mit unseren Tieren profitieren: Ein Haustier bringt uns in Kontakt mit unseren Gefühlen und strukturiert den Tagesablauf. Eine positive Mensch-Tier-Beziehung fördert die soziale und kommunikative Kompetenz von Kindern und schützt Jung und Alt vor Langeweile und Einsamkeit. Hundehalter profitieren zudem vom aktiven Lebensstil mit ihrem Vierbeiner und konsultieren nachweislich seltener einen Arzt. Heutzutage begleiten uns unsere Hunde zur Arbeit, bei Freizeitaktivitäten und auf Reisen und sind sogar – genauso wie andere Haustiere – bei speziellen Gottesdiensten in der Kirche willkommen. Bei so einem intensiven Kontakt mit dem vierbeinigen Lebensbegleiter wird genauso wie in einer Partnerschaft das Bindungs- und Wohlfühlhormon Oxytocin ausgeschüttet.

Kein Wunder also, dass der Trend zum Haustier anhält: 2019 lebten 34 Millionen Katzen, Hunde, Kleinsäugetiere und Vögel in deutschen Haushalten. Laut Statistik beherbergen jeder dritte Single und zwei Drittel aller Familien einen tierischen Mitbewohner. In coronabedingten Zeiten der Abstandsregeln ist die Nachfrage nach Haustieren noch einmal gestiegen.

Tierschutz war für Frauen früher das einzige Feld, in dem sie aktiv sein durften

„Durch die sozialen Bewegungen der 1960er-Jahre hat sich in unserer Gesellschaft der Familienbegriff gewandelt und die Beziehungsmatrix ist deutlich variantenreicher geworden: So wurden Freundschaften aufgewertet. Und es ist mittlerweile ganz normal, dass Menschen in Patchworkfamilien oder gleichgeschlechtlichen Beziehungen leben. Genauso gut können sie sich für ein Leben mit einem Haustier entscheiden“, sagt Professorin Dr. Mieke Roscher, die an der Universität Kassel einen Lehrstuhl für Sozial- und Kulturgeschichte unter besonderer Berücksichtigung des Tier-Mensch-Verhältnisses hat.

Die Behauptung, die Tiere würden als „Ersatz“ für Partner oder Kind fungieren, sieht die Wissenschaftlerin kritisch. „Dieser Einwand trifft immer nur Frauen und geht in England bis ans Ende des 19. Jahrhunderts zurück, als Frauen für ihr Wahlrecht kämpften. Der Tierschutz war das einzige Feld, in dem sie sich damals politisch betätigen durften. Diese Nähe zu Tieren wurde genutzt, um die Frauen zu diffamieren und sozial abzuwerten“, erläutert sie.

Die Aufgaben der Vierbeiner sind gewachsen

Die Historikerin betont die lange Tradition unseres Zusammenlebens mit Tieren. Beim Hund konnte sich in mindestens 16.000 Jahren Sozialpartnerschaft eine besonders intensive Beziehungsqualität entwickeln. „Hunde sind enorm anpassungsfähig und absolute Sozialwesen, die genauso wie wir ohne den Kontakt zu anderen nicht existieren können“, sagt Prof. Mieke Roscher. „Die Verbindung Mensch und Hund hat immer zum gegenseitigen Nutzen bestanden: Wir haben dem Hund Futter und Schutz geboten und er hat uns in vielen Rollen vom Jagd- und Wachhund bis hin zum verlässlichen Sozialpartner gute Dienste geleistet.“

In der modernen Gesellschaft sind die Aufgaben der Vierbeiner sogar noch gewachsen: Heute kommen Therapiehunde in Kindergärten und Schulen genauso wie in Senioreneinrichtungen zum Einsatz. Geeignete Tiere werden als Assistenzhunde für mehr als ein Dutzend Erkrankungen ausgebildet: Sie unterstützen Blinde und Gehörlose ebenso wie Menschen im Rollstuhl bei der Bewältigung ihres Alltags. Als Warnhunde sind sie für Menschen mit lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Epilepsie, Diabetes und Asthma unersetzbar. Auch bei der Prävention von Schlaganfällen haben sie sich als Lebensretter auf vier Pfoten bewährt.

Vor allem für blinde Menschen ist ein ausgeblideter Hund eine große Hilfe im Alltag
Vor allem für blinde Menschen ist ein ausgeblideter Hund eine große Hilfe im Alltag © picture alliance / Pacific Press | dpa Picture-Alliance / Xi Jianxin

„Viele Erkrankte würden sich ohne ihren Hund gar nicht mehr trauen, am öffentlichen Leben teilzunehmen“, sagt Christin Remmers, die für das Deutsche Assistenzhunde-Zentrum T.A.R.S.Q. im Hamburger Raum als Hundetrainerin arbeitet. „Ein hochsensibler Warnhund kann über seine feinen Sinne bei seinem Menschen jede Veränderung bei der Atmung und der Sauerstoffsättigung im Blut wahrnehmen.

So kann er frühzeitig anzeigen, wenn etwas nicht stimmt, Medikamente bringen und Hilfe holen. Bei Menschen, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden, ist der dafür ausgebildete Hund in der Lage, Panikattacken zu unterbrechen und durch Körperkontakt Sicherheit zu geben.“

Bei ausgebildeten Demenzhunden profitiert sogar die ganze Familie: Betroffenen gibt das Tier Geborgenheit und unterstützt sie dabei, ihre Tagesstruktur aufrechtzuerhalten. Angehörigen kann er sofort melden, wenn der demenziell Erkrankte die Wohnung verlassen will. „Einem Hund kann man nichts vormachen“, bringt es Christin Remmers auf den Punkt. „Er bewertet und analysiert uns nicht und gibt auch keine klugen Ratschläge. Wer einen Hund an seiner Seite hat, weiß seine bedingungslose Loyalität zu schätzen.“

Mit all seinen Qualitäten ist der Hund nicht ein „besserer Mensch“, aber er steht für Werte, die viele in der hochtechnisierten Welt vermissen. Wer sein Leben mit einem Haustier als treuen Freund an seiner Seite geteilt hat, bringt es nach dessen Tod oftmals nicht übers Herz, ihn einer Körperverwertungsanlage zu überlassen. Deshalb gibt es seit den 1990er-Jahren einen steten Zuwachs an Tierfriedhöfen und Tierkrematorien. Sich legal mit der Asche seines Tieres als Grabbeigabe bestatten zu lassen ist jedoch erst seit 2015 auf den gemeinsamen Grabanlagen möglich.