BerndtSteinKinder Stiftung bietet Eltern Kurse an, damit sie die Signale ihrer Kinder besser verstehen und eine enge Bindung aufbauen
Leon war ein Wunschkind und die Schwangerschaft von Mia Carstens (Namen der Familie geändert) verlief unproblematisch. Die 25 Jahre alte Studentin und ihr Mann Claas (31) freuten sich auf ihr erstes Kind, auch die Geburt des Jungen verlief anfangs sehr leicht. „Doch dann blieb Leon mit der Schulter im Geburtskanal stecken, sein Kopf schaute schon raus, seine Sauerstoffversorgung wurde immer schlechter“, erzählt die junge Mutter. Das große, fast 4900 Gramm schwere Kind konnte nach der Geburt nur kurz bei ihr liegen, dann wurde es zur Überwachung in eine andere Klinik verlegt, die Mutter kam erst am Nachmittag nach.
Und plötzlich war ihre Freude über den Säugling weg: „Ich hatte Schwierigkeiten, Leon als mein Kind anzunehmen. Ich empfand den Umgang mit ihm als Kampf. Das Kind machte Schwierigkeiten beim Stillen, ich war nur noch damit beschäftigt. Er hatte ständig Hunger und brüllte viel“, erzählt Mia. Ihr Mann wurde zunehmend zum Vermittler zwischen Kind und Mutter, auch das Verhältnis des Paares litt unter dem neuen Stress, es gab viel Streit. Und gut gemeinte Ratschläge der Großeltern empfanden die beiden eher als belastend.
Der Kurs beginnt schon in der Schwangerschaft
Zum Glück hatten sie schon vorher Kontakt zu Meike Kollmeyer aufgenommen. Die Familienkrankenschwester und entwicklungspsychologische Beraterin für Kleinkinder koordiniert seit 2017 das Projekt „Sicherer Hafen“ der BerndtSteinKinder Stiftung. In Zusammenarbeit mit der Babyambulanz „Von Anfang an. e. V.“ bietet die Stiftung einen Kurs an, der schon in der Schwangerschaft beginnt und Eltern dann über 20 Monate in Gruppen- und Einzeltreffen dabei unterstützt, ein feinfühliges Verständnis für ihr Baby und eine vertrauensvolle Bindung zu ihm zu entwickeln.
„Die intuitiven Fähigkeiten junger Eltern sind vielfach verschüttet. Wir leben nicht mehr in großen sozialen Gruppen oder Familien. Das überlieferte Wissen wird nicht mehr weitergegeben. Junge Eltern sind oft ganz allein in ihrer neuen Rolle und Lebenssituation und damit überfordert. Hier setzt der Sichere Hafen an“, sagt Vera Berndt, Vorstandsvorsitzende der BerndtSteinKinder Stiftung. Sie sieht die Kurse vor allem auch als Prävention von Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsstörungen im späteren Kindes- und Jugendalter sowie von Missbrauch und Gewalt in der Familie.
Rund ein Drittel der Eltern fühlt sich belastet
Rund 30 Prozent der Väter und Mütter, die an den Kursen teilnehmen, geben an, dass sie sich durch die Geburt des Kindes psychisch belastet fühlen – vor allem wegen des Schlafmangels, der Lebensumstellung und des hohen Anspruchs, den sie an sich als Eltern stellen. „Manche Eltern schickt das Jugendamt, andere erfahren in der Geburtsklinik von uns, es gibt minderjährige Eltern, aber auch Frauen, die nach jahrelanger Kinderwunschbehandlung schwanger geworden sind“, sagt Projektleiterin Kollmeyer. Alle vereine eine starke Unsicherheit im Umgang mit den Kleinen.
Im Elternkurs lernen sie, die Signale ihres Kindes richtig lesen zu können. „Ein Kind, das den Kopf wegdreht, braucht nicht mehr, sondern oftmals weniger Aufmerksamkeit, also ein Pause zwischendurch. Auch kann Schreien dem Spannungsabbau dienen, Gähnen kann Müdigkeit, aber auch Stress zeigen“, sagt Kollmeyer. Ein wichtiger Faktor sei, den Selbstregulationsmechanismus der Kinder zu stärken, den Eltern zum Beispiel klarzumachen, dass Kinder ab einem gewissen Alter selbst in den Schlaf finden können oder dass es unnötig ist, permanent zu stillen, sich nachts aufzuopfern oder Zeit, die man tagsüber mit dem Kind nicht hatte, durch ständiges Herumtragen aufzuholen.
Zentral ist dabei, dass die sechs als Familienhebammen oder Familienkrankenschwestern ausgebildeten Beraterinnen den Eltern mit Wertschätzung und auf Augenhöhe entgegenkommen. Sie stellen sich individuell auf deren Lebenssituation ein, erklären ihnen die Entwicklungsschritte der Kinder und geben Tipps für den Umgang.
Das gelingt vor allem auch anhand von Videoaufnahmen bei den elf Hausbesuchen. „Wir filmen die Eltern bei Alltagsszenen. Viele sehen dann selber, wie ihr Verhalten auf ihr Kind wirkt, was nicht gut ist oder was sie besser machen können“, sagt Maike Kollmeyer und zeigt eine Sequenz. Über dem Wickeltisch hängt viel Spielzeug. Der Vater spricht beim Wickeln sehr laut mit dem Kind, kitzelt und neckt es ständig. Das Kind windet sich, wirkt unruhig. „Hier gab es zu viele Impulse für das Baby, das erkannte der Vater beim Anschauen sofort“, erklärt die Familienkrankenschwester.
Mia hat eine postnatale Depression
Bei der Begleitung von Mia und ihrem Mann Claas spricht Meike Kollmeyer die junge Mutter auf eine mögliche postnatale Depression an. Sie rät ihr, die traumatische Geburt noch einmal aufzuarbeiten. „Mir das einzugestehen hat enorm geholfen“, sagt Mia. Zudem zeigt ihr die Beraterin eine andere Stillposition, gibt Tipps für die Ernährung des Kindes und macht den Eltern viel Mut. „Meike sagte immer, ,das kriegen wir hin‘. Das fand ich in meiner Verzweiflung sehr hilfreich, auch dass ich sie immer zwischen den Besuchsterminen ansprechen konnte, wenn ich mich unsicher fühlte“, sagt Mia.
Ihrem Mann tat zudem das Gruppentreffen ausschließlich mit den Vätern gut. „Den Austausch fand ich sehr schön, wir hatten ähnliche Erfahrungen und waren alle zu Hausmännern geworden“, sagt Claas. Inzwischen kommen die beiden gut mit ihrem Einjährigen zurecht, die Mutter hat eine enge Bindung zu ihm aufgebaut.
Sichere Bindung ist sehr wichtig für das spätere Leben
Das ist wichtig, denn eine sichere Bindung ist die Voraussetzung für fast alles im Leben: soziale Kompetenz, die Fähigkeit zu Freundschaft, Partnerschaft und Teamarbeit. „Es hilft für ein gesundes Selbstbewusstsein und bei der Stressreduktion. Man kann eine sichere Bindung an die eigenen Kinder nur weitergeben, wenn man sie selbst erfahren hat. Wer dieses Glück nicht hatte, erhält im Sicheren Hafen die Chance, zum Kind ein Urvertrauen aufzubauen und ihm damit den besten Start in sein Leben zu ermöglichen“, sagt Vera Berndt von der BerndtSteinKinder Stiftung, die für das Spendensammeln zuständig ist.
Denn die Teilnahme an den Kursen ist für die Eltern kostenfrei, eine Spende von 25 Euro pro Monat ist erwünscht. „Doch uns ist wichtig, dass jeder teilnehmen kann, egal, wie viel Geld er hat“, sagt Berndt. Es gibt acht Kurse pro Jahr, die jeweils von zwei Beraterinnen geleitet werden. Sie finden in den Hamburger Elternschulen in Altona, Barmbek, Bergedorf, Harburg, Kirchdorf-Süd, Osdorf und Wilhelmsburg statt.
Derzeit gibt es noch freie Plätze, einige Kurse starten Mitte/Ende Juni. Anmeldung unter E-Mail: Info@vonanfang.an, Telefon 27 88 08 86. Informationen zur Stiftung und zu den Kursen unter: www.sichererhafen.hamburg