Hamburg. Der Psychologe Christoph Berg erklärt, mit welchem Verhalten wir auf Krisen reagieren und wie wir der Angst besser begegnen.

Der Psychologe Dr. Christoph Berg ist Professor an der FOM-Hochschule für Oekonomie und Management. Er erklärt, warum sich viele Menschen gerade so gestresst und ängstlich fühlen

Wir alle sind wegen der Coronapandemie im Krisenmodus. Was geht da in uns vor?

Prof. Dr. Christoph Berg Jeder von uns steht gerade unter Stress und hat Angst – und reagiert darauf unterschiedlich.

Stress hat also nicht nur mit zu viel Arbeit, sondern auch mit Angst zu tun?

Ja. Der Mensch überwacht permanent seine Umgebung, ganz unwillkürlich. Erlebt er eine Situation, die er als ungewöhnlich empfindet, nimmt er zwei Einschätzungen vor: Betrifft sie mich? Und: Kann ich sie erfolgreich bewältigen? Die erste dieser Fragen muss jeder für sich momentan mit Ja beantworten. Und eine sichere Antwort auf die zweite Frage gibt es derzeit für niemanden. Was wir alle gerade erleben, ist also eine lupenreine Definition von Stress.

Und den nehmen wir unterschiedlich wahr?

Genau. Wer sich generell als jemand empfindet, der Anforderungen gut und erfolgreich bewältigen kann, hat sicher auch jetzt weniger Stress. Wer dagegen Situationen auch sonst schnell als belastend wahrnimmt, wird momentan eine größere Besorgnis empfinden. Was uns aber alle eint, ist das Gefühl der Unsicherheit. Denn die Bedrohung durch Covid-19 können wir – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – nicht beeinflussen. Ob und wie wir da rauskommen, steht nicht in unserer Macht. Wir verlieren die Kontrolle. Das fühlt sich für uns bedrohlich an. Für die Robusten weniger, für die Ängstlichen mehr.

Wie reagieren wir darauf?

Mit drei Verhaltensmustern, die man als Kampf, Flucht oder Standhalten bezeichnet. Ich als Psychologe würde diese Strategien eher „Trotz und Reaktanz“, „Rückzug“ und „Aushalten und Ignorieren“ nennen. Die erste nehmen wir derzeit bei vielen Jugendlichen wahr, die sich wenig um die Abstandsregel scheren und teilweise sogar Corona-Partys feiern. Sie reagieren trotzig auf Einschränkungen, weil sie einen großen Freiheitsdrang haben und sich ihre Position in der Gesellschaft erkämpfen wollen.

Fallen Hamsterkäufe eigentlich auch in diese Kategorie?

Ja, die Motivation ist die gleiche. Man fühlt sich „gewappnet“ und hat bewiesen, dass man trotz allem in der Lage ist, zu handeln. Beide Reaktionen sind ein Kampf um die Wiedererlangung der Handlungsfreiheit. Die zweite Strategie, der komplette Rückzug, wird eher von den Ängstlichen gewählt. Sie würden am liebsten irgendwohin fliehen, wo es überhaupt keine Bedrohung gibt. Da das nicht geht, ist ihre Wohnung für sie der sicherste Ort.

Und das dritte Verhaltensmuster?

Ignoranz. Die Menschen blenden aus, wie stark die Bedrohung ist, oder verharmlosen sie. Das sind die, die sich bis zuletzt in den Cafés oder beim Aprés Ski gedrängt haben. Aber man kann das auch bei vielen Menschen in systemrelevanten Berufen beobachten. Sie stehen im Konflikt: persönliche Angst gegen gesellschaftliche Verpflichtung.

Wir kriegen wir die Angst in den Griff?

Durch Bewegung. Es gibt eine Wechselwirkung zwischen dem äußeren körperlichen Zustand und dem inneren physischen Zustand. Stress und Panik lassen viele Menschen in eine Art Lähmung verfallen. Sie sehen sich permanent die Nachrichten an, versuchen höchstens, sich mit einem Buch abzulenken. Aber aufräumen ist besser als lesen. Bewegung versetzt einen wieder in den Modus, handeln zu können. Beim Joggen und Radfahren gilt das noch mehr, weil man Geschwindigkeit und Strecke selber festlegen kann. Ich empfehle drei Trimmeinheiten pro Tag. Das können auch Hanteltraining oder Yogaübungen sein.

Haben Sie noch einen zweiten Tipp?

Ja. Sozialer Austausch. Der ist sehr wichtig gegen die Vereinsamung, von der viele bedroht sind. Für Arbeitnehmer im Homeoffice können das beispielsweise kurze Konferenzen per Video sein oder eine virtuelle Kaffeepause per Skype, in der es dann mal nicht um die Arbeit geht. Auch Freunde und Familienmitglieder, die man derzeit nicht besuchen kann, kann man auf diese Weise „treffen“. Doch auch einfach nur ein Telefonat ist ein wichtiger Austausch. Ich empfehle, täglich mindestens fünf Minuten mit jemandem zu sprechen, der außerhalb der eigenen vier Wände lebt.

Für wie wichtig halten Sie eine geregelte Tagesstruktur?

Für sehr wichtig. Denn auch durch Rhythmus lässt sich eine gewisse Kon­trolle herstellen. Arbeit und Freizeit sollten dabei aber strikt getrennt werden, was im Homeoffice ja oft nicht leicht ist. Wer kein Arbeitszimmer hat, sollte seinen Arbeitsplatz daher abends frei räumen und morgens wieder aufbauen. Das ist dann wie der Arbeitsbeginn im Büro.