Für alte Menschen ist der Tod ihres Lebenspartners ein dramatischer Verlust. So können Angehörige und Pfleger die Trauernden unterstützen.
Wenn Heinz Witt (Name geändert) über den Verlust seiner Frau Grete nach mehr als 70 Ehejahren spricht, fehlen ihm die Worte. „Sie fehlt in jedem Augenblick“, sagt der 94-Jährige und kämpft auch eineinhalb Jahre nach dem Tod der lebenslangen Partnerin mit den Tränen. Zweieinhalb Jahre lebte das Ehepaar gemeinsam in einem gemütlich eingerichteten Doppelzimmer im Kursana Domizil Billstedt und nahm an allen Veranstaltungen und Ausflügen der Senioreneinrichtung teil. Als es Grete Witt 2018 zunehmend schlechter ging, wich ihr der Ehemann nicht von der Seite und begleitete sie bis zu ihrem letzten Atemzug. Nach ihrem Tod konnte Heinz Witt das Zimmer tagelang nicht verlassen, lag auf seinem Bett und starrte an die Decke.
„Unsere beiden Kinder sind oft gekommen und haben mich sehr unterstützt“, sagt Heinz Witt. „Auch frühere Nachbarn und alte Kollegen von der Freiwilligen Feuerwehr kamen vorbei und haben mich eingeladen.“ Antonio Tabatabai von der sozialen Betreuung des Domizils besuchte den Bewohner täglich auf seinem Zimmer. „Ich hatte keine Ratschläge oder Worte des Trostes, aber ich habe gesagt: Wenn Sie reden möchten, höre ich zu“, sagt der 42-Jährige. Die beiden Männer haben gemeinsam geschwiegen, manchmal hat Heinz Witt von früher erzählt und ab und zu ließ er seinen Tränen freien Lauf. „Ich habe Grete nachts oft vor mir gesehen. Ich wäre ihr, ehrlich gesagt, am liebsten gefolgt“, erinnert sich Heinz Witt. „Aber dann waren da auch diese Menschen, die mir gezeigt haben, dass sie mich noch brauchen. Sie haben auch an mir gezogen, aber zurück ins Leben.“
Für alte Menschen ist der Tod allgegenwärtig
Dass die Vorstellung von einem Trauerjahr bei solch dramatischen Verlusten von Hochaltrigen nicht greift, betont Prof. Reinhard Lindner, Facharzt für Neurologie und Spezialist für Psychotherapie alter Menschen. „Hochaltrige haben oftmals lange Zeit das Bedürfnis, über ihren Verlust zu sprechen. Es ist für sie eine Möglichkeit, das Geschehen zu bewältigen, aber auch die Beziehung zum Verstorbenen aufrechtzuerhalten“, sagt der Mediziner aus Kassel. Er weist auf die besondere Trauersituation bei alten Menschen hin: Für sie ist der Tod allgegenwärtig, es bleibt nicht mehr viel Lebenszeit für Neues.
Einige haben als Kriegskinder massive Verluste erlitten, die sie nicht verarbeiten konnten. Die damit verbundenen Gefühle können reaktiviert werden und die aktuelle Trauer verstärken. „Wer in seinem Leben Abschied und Trauer bewusst durchlebt und als Möglichkeit zur Weiterentwicklung nutzen konnte, ist im Alter besser dran“, sagt Lindner und appelliert an die Menschen im Umfeld, dem Hochaltrigen „offensiv und nachhaltig“ Gesprächsangebote zu machen. „Mit Sätzen wie ,Das Leben geht weiter‘ abgespeist zu werden, ist nicht hilfreich.“
Manchmal kann eine Psychotherapie helfen
Für den ehemaligen Oberarzt für Gerontopsychosomatik am Hamburger Albertinen-Haus liegt die Kunst des Gesprächs darin, gemeinsam neben dem Traurigen immer auch das Entlastende anzuschauen: Was war in der letzten Lebenszeit des Verstorbenen auch für den Trauernden eine schwere Bürde, von der er jetzt befreit ist? Wo liegen Möglichkeiten, die aktuelle Situation zu gestalten? Welche Unterstützung wäre dafür hilfreich? „Wenn so eine Pendelbewegung zwischen dem Gestern und dem Heute im Trauerprozess nicht möglich ist und der Hochbetagte kein Interesse mehr am Leben zeigt und keine Freude empfinden kann, sollte mit dem Hausarzt über die Möglichkeit einer Psychotherapie gesprochen werden. Sie kann auch im hohen Alter noch sinnvoll sein“, rät Professor Lindner.
Mittlerweile gibt es in Hamburg einige Angebote für Trauerbegleitung, die speziell auf die Bedürfnisse von Senioren zugeschnitten sind: Am Institut für Trauerarbeit in Eimsbüttel findet an jedem dritten Montag im Monat von 12 bis 14 Uhr eine offene Trauergruppe für ältere Menschen nach Partnerverlust statt. Die Frauen und Männer haben sich über den Gruppentermin hinaus vernetzt und gehen beispielsweise miteinander essen.
Mehrere Kirchengemeinden und ambulante Hospizdienste bieten regelmäßig Trauercafés an, die vorwiegend von älteren Betroffenen besucht werden. Neben einem Austausch untereinander gibt es dort die Möglichkeit, mit ausgebildeten Trauerbegleiterinnen ins Gespräch zu kommen.
Häufige Anrufe können ein Hilferuf sein
Einige Hospizdienste und Kirchenkreise bieten ebenfalls aufsuchende Trauerbegleitung für Ältere, die nicht mehr mobil sind, an. Pastorin Heide Brunow ist bei der Fachstelle „Leben im Alter“ des Kirchenkreises Hamburg-Ost für „Seelsorge im Alter“ zuständig. Sie betreut die Ansprechpartner ihres Fachgebiets in den Gemeinden und hat bereits zahlreiche Ehrenamtliche mit einer einjährigen Ausbildung für den seelsorgerischen Einsatz in Pflegeheimen und der Häuslichkeit ausgebildet.
„Viele Hochaltrige haben ihr Leben lang ihre Gefühle mit sich selbst ausgemacht. Wenn sie einen so schwerwiegenden Verlust erleben, entwickeln sie manchmal Verhaltensauffälligkeiten, die darauf schließen lassen, dass sie die Situation allein nicht bewältigen können“, sagt sie. Wenn die alte Mutter jetzt beispielsweise wegen jeder Kleinigkeit anruft, könne dies auch als Hilferuf verstanden werden. „Oftmals steckt der Wunsch nach liebevoller Zuwendung und Geborgenheit dahinter, der nicht ausgesprochen werden kann“, sagt sie. „Wenn dann der Angehörige über den eigenen Schmerz zu sprechen beginnt, kann er möglicherweise einen Zugang zu den Gefühlen des Hochaltrigen bekommen.
Oftmals bekommen Fremde leichter Zugang
Darin liegt die Chance, vielleicht zum ersten Mal im Leben eine emotionale Verbindung innerhalb der Familie aufzubauen.“ Manchmal gelinge es aber Fremden leichter, einen Zugang zu dem Trauernden zu bekommen. „Wir haben oft erlebt, dass im Gespräch mit den Ehrenamtlichen das Herz des alten Menschen übersprudelt und die Begegnung Entlastung bringt“, sagt sie.
Antonio Tabatabai aus dem Kursana Domizil Billstedt hat den trauernden Bewohner immer wieder motiviert, an Veranstaltungen im Haus teilzunehmen. Heute steht Heinz Witt Auszubildenden bei ihren Fragen als Interviewpartner zur Verfügung. Und er nimmt als ehemaliger Busfahrer bei den Ausflügen auf dem Beifahrersitz des Kleinbusses eine wichtige Rolle ein. „Als der Akku meines Navis bei einer Tour leer war, hat mich Herr Witt gerettet. Ich brauche ihn als Lotsen an meiner Seite“, so Tabatabai.
Angebote zur Trauerbegleitung gibt es unter www.koordinierungsstelle-hospiz.de (Stichwort „Trauer“) und www.trauergruppe.de.
Trauergruppe für Ältere nach Partnerverlust, Institut für Trauerarbeit, Tel. 36 11 16 83.
Heide Brunow ist Ansprechpartnerin für „Seelsorge im Alter“, Tel. 040/519 00 08 39 oder E-Mail: h.brunow@kirche-hamburg-ost.de. Für das Projekt werden weitere Ehrenamtliche gesucht.