Bundesligaspieler der BG Baskets kommen in Schulen und zeigen Jugendlichen, wie spannend der Rolli-Sport auch für Nichtbehinderte ist

Marvin Schütt ist voll dabei. Er kämpft, er fährt sich frei, er ist angestrengt und konzentriert. Jetzt setzt er einen Block, das knallt auch mal. Der Schweiß steht dem 16-Jährigen auf der Stirn. Den Rollstuhl beherrscht er schon ganz gut – dafür, dass er sich erst vor etwa 40 Minuten erstmals hineingesetzt hat. Marvin ist frei unter dem Korb, Alireza Ahmadi sieht das natürlich, der Pass ... Nun aber – vorbei! Und trotzdem: „Es war ein unfassbares Erlebnis. Ich wusste nicht, dass es so krass ist, so spannend“, sagt Marvin nach dem Basketballspiel. Und klatscht mit Ali ab, „High Five“. Marvin Schütt besucht die zehnte Klasse am Gymnasium Finkenwerder. „Fußball ist mein Leben“, sagt er, „ich bin großer HSV-Fan.“ Natürlich kickt er in seiner Freizeit, wann immer es möglich ist. Und dann sagt Marvin noch etwas, voller Überzeugung: „Wenn ich mal nicht mehr Fußball spielen könnte, nach einem Unfall oder so, dann würde ich Rollstuhlbasketball spielen.“

Inken Pfeiffer lächelt, sie kennt solche oder ähnliche Reaktionen inzwischen. So soll das sein. Die Sportstudentin, die kurz davor ist, ihre Masterarbeit abzugeben, organisiert seit Januar beim Hamburger SV als Koordinatorin für Inklusionsprojekte Besuche der HSV-Rollstuhlbasketballer von den BG Baskets in Schulen oder auch Unternehmen. Ihre 20-Stunden-Stelle wird von der HSV-Campus gGmbH bezahlt. „Wir wollen den Schülern Berührungsängste nehmen und ihnen zeigen, was mit einem Rollstuhl möglich ist“, sagt sie.

Zwei Profi-Spieler kommen zum Sportunterricht

Also kommt sie in der Regel mit zwei Spielern des Bundesligateams in die Schulen. Oft im Rahmen einer Projektwoche wie an diesem Tag auf Finkenwerder. Gerne aber auch als Ergänzung zum Sportunterricht zum Beispiel. „Die Resonanz ist bislang sehr, sehr gut“, sagt Pfeiffer, „die Schulen, in denen wir schon waren, fragen oft gleich nach einem neuen Termin im kommenden Jahr.“

Schüler von Gymnasium Finkenwerder übern Rollstuhlbasketball
Schüler von Gymnasium Finkenwerder übern Rollstuhlbasketball © Roland Magunia/Funke Foto Services | Roland Magunia

Im dritten Jahr ist der HSV so aktiv. Allerdings konnte das Projekt seit diesem Jahr durch die Unterstützung der Aurubis AG deutlich ausgeweitet werden. Sechs weitere Sportrollstühle konnte der HSV anschaffen und das Unternehmen trägt auch Teile der Aufwandskosten. Immerhin muss man für so einen Sportrollstuhl mehr als 3000 Euro bezahlen. 19 der Sportgeräte wurden nun in einem Transporter nach Finkenwerder gefahren. Vier Klassen nacheinander haben sich angemeldet. „Die Kinder haben sich freiwillig entschieden, da mitzumachen, es ist schließlich im Rahmen einer Projektwoche“, sagt Schulleiter Rüdiger Dartsch, „und natürlich habe ich dieses Projekt sofort genehmigt.“

In der Sporthalle hat jetzt aber Ahmadi das Sagen. Der 42-jährige Iraner spielt seit zwei Jahren im Bundesligateam der BG Baskets. Mit seiner Ausstrahlung, seinem Charisma und seiner natürlichen Autorität fängt er die Kinder ein. Wenn es mal lauter wird, dann klatscht er in die Hände – und es ist ruhig. Dass er die meisten seiner Ansagen in Englisch hält, ist egal. Die Kinder verstehen ihn, schon durch sein Handeln.

Trainer Ali Ahmadi zeigt, wie man mit Rolli den Ball dribbelt

Er zeigt, wie man den Rollstuhl in Bewegung bekommt und wieder bremst, wie man einen Basketball vom Boden aufhebt („presst ihn beim Fahren ans Rad, er dreht sich dann mit hoch“), wie man steuert, dribbelt, spielt. Dass Ali Ahmadi nicht laufen kann, vergisst bei der Action jeder.

„Mir macht es unheimlichen Spaß, mit Kindern zu arbeiten“, sagt er, „das ist etwas, was ich in Zukunft weiter machen möchte.“ Gerade ist er dabei, seinen Trainerschein zu machen. Der HSV weiß genau, was er an dem stets gut gelaunt wirkenden Alireza Ahmadi hat, der mit seiner Frau dabei ist, sich in Hamburg fest einen neuen Lebensmittelpunkt aufzubauen. Für weitere zwei Jahre hat er Anfang Mai bei den BG Baskets unterschrieben. „Die Teilnahme als Referent bei den Projekttagen ist neben den Spielen in der Bundesliga ein wichtiger Teil seines Jobs“, sagt David Schulze, der Koordinator BG Baskets im HSV. Schulze hat das Konzept für die jeweils rund 90 Minuten langen Einheiten entwickelt.

Beim „Kriegenspielen“ haben die Schüler gegen Ali keine Chance

In einer Vorstellungsrunde am Anfang erzählt Ahmadi zunächst von sich. Wenn er von der Teilnahme an Weltmeisterschaften und Paralympischen Spielen berichtet, hat er meist schon den Respekt der Jugendlichen gewonnen. „Als er uns gezeigt hat, wie er nach einem Sturz mit Rollstuhl selber wieder aufsteht, das war schon krass“, sagt Laura-Marie Bartels (16), „es hat Spaß gemacht zu lernen, wie man sich in einem Rollstuhl bewegt.“ Und eben auch, wie man sich nicht bewegen kann.

Wenn die Rollen von Behinderten und Nichtbehinderten plötzlich umgedreht sind – beim „Kriegenspiel“ beispielsweise, wo auch eine ganze Horde Jugendlicher den flinken und wendigen Profi in seinem Rollstuhl in der Halle eben nicht stellen und abklatschen kann.

Lehrerin Alexa Heinemann, die den Besuch der BG Baskets auf Finkenwerder initiiert hatte, will genau dafür die Aufmerksamkeit schärfen. „Ich kann es nicht vertragen, wenn die Schüler den Spruch ,Bist du behindert‘ als Beleidigung nutzen“, sagt die 52-Jährige, „ich finde es deshalb super, dass die Schüler Einschränkungen selber erfahren.“

So bekommen auch schon Kleine eine Bewusstsein für Alltagshindernisse

Besuche im „Dialog im Dunkeln“ und von den Blindenfußballern des FC St. Pauli rundeten ihr Projekt ab. Als Inken Pfeiffer in einer Fragerunde die Unterschiede zwischen Sportrollstühlen und Alltagsrollstühlen erklärt, hängen die Jugendlichen geradezu an ihren Lippen. Das Bewusstsein für die kleinen Alltagshindernisse nimmt bei den Kindern offenbar zu. „Wie kommt ihr Kantsteine hoch?“, fragen sie Ali, aber auch: „Wie gehst du aufs Klo?“ Wobei die Hemmungen bei den Jüngeren noch deutlich geringer sind als bei den Älteren. Auch die Austauschschüler aus Toulouse, die gerade ihre Hamburger Partnerschule besuchen, sind hochkonzentriert dabei, melden sich, fragen nach. „Das ist eine ganz tolle Sache“, sagt ihre Lehrerin Astrid Meeder, die ins Französische übersetzt, „so etwas gibt es bei uns nicht.“

Etwa zehn Schulen hat der HSV bislang jährlich mit dem Projekt besucht, „unser Ziel ist es, in Zukunft jede Woche an eine Schule zu gehen“, sagt Schulze. Ab der dritten Klasse ist das möglich.

Interessierte Lehrer oder Schulen können eine E-Mail schreiben an: bgbaskets@hsv.de