Mit dem richtigen Lebewesenan ihrer Seite blühen Senioren auf. Wer die Verantwortung scheut: Tierheime vermitteln Hunde zum Gassigehen
Wenn Hildegard Schnabl (91) morgens mit ihrem Papagei in den Tagesclub der Kursana Residenz Hamburg kommt, wirft Poldi erst einmal ein freundliches „Guten Morgen!“ in die Runde. Sobald die Gelbstirn-Amazone eine flotte Melodie pfeift oder laut keckernd lacht, zaubert sie ein Lächeln auf die Gesichter der demenziell erkrankten Bewohner. Aufmerksam verfolgen die Senioren jede Regung des Vogels und animieren ihn amüsiert zum Sprechen oder Pfeifen. „Poldi ist ein geselliger Typ“, sagt seine Besitzerin stolz. „Und er schätzt es sehr, dass er hier oft im Mittelpunkt steht.“
Ein Leben ohne Poldi, der ihr vor mehr als 40 Jahren zugeflogen ist, wäre für Hildegard Schnabl undenkbar. Vor allem nach dem Tod ihres Mannes ist er für die Hamburgerin zu einer wichtigen Konstante in ihrem Leben geworden und hat sie sogar schon zum Einkaufen ins Farmsener Einkaufszentrum begleitet. „So bin ich immer schnell mit Menschen ins Gespräch gekommen“, erinnert sie sich lächelnd. Beim Umzug in eine Senioreneinrichtung hat sie sich für die Niendorfer Residenz entschieden, weil sie Poldi ins neue Zuhause mitnehmen konnte.
„Haustierhaltung war bei uns von Anfang an erlaubt und wir haben noch nie schlechte Erfahrungen damit gemacht“, sagt Direktorin Bärbel Eickhoff. Einzige Bedingung des Hauses ist, dass der Bewohner selbst für sein Tier sorgen kann und für den Krankheitsfall jemanden hat, der sich um die Bedürfnisse des Tieres kümmert. „Die Hunde, Katzen und Vögel sind ein wichtiger Anker im Leben der Senioren, der ihnen Halt und Sicherheit gibt. Den darf man ihnen nicht nehmen. Außerdem bringen die Tiere viel Freude und Gesprächsstoff in unser Haus, sodass alle von ihnen profitieren.“
Alleine die Anwesenheit eines Tieres im Raum wirkt bei Älteren blutdrucksenkend und stressreduzierend.
Dass Haustiere die Gesundheit und das Wohlbefinden ihrer Halter fördern, ist mittlerweile durch zahlreiche Studien belegt: Danach wirkt allein die Anwesenheit eines Tieres im Raum blutdrucksenkend und stressreduzierend. Beim Spiel mit ihm wird gelacht, der Körper schüttet Endorphine aus und das Wohlbefinden steigt. Besonders Hunde, mit denen wir Menschen seit 15.000 Jahren in Sozialpartnerschaft leben, haben sich als Therapeuten mit Kuschelfaktor bewährt: Hundehalter bewegen sich deutlich mehr in frischer Luft, ihre Blut- und Herz-Kreislaufwerte sind im Allgemeinen besser und sie sind seltener in ärztlicher Behandlung, wie eine Untersuchung des Zentrums für Gesundheit der Deutschen Sporthochschule Köln ergab. Besonders Senioren können davon profitieren, dass Tiere einen strukturierten Tagesablauf und soziale Kontakte fördern.
„Als unser Hund vor acht Monaten gestorben ist, bin ich in ein tiefes Loch gefallen“, sagt Birgit Griephan (72), die zusammen mit ihrem Mann Jörn (78) das aktive Leben mit einem Vierbeiner an ihrer Seite genossen hat. „Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt, ob wir uns in unserem Alter noch ein neues Tier zulegen können. Erst als unsere Tochter versprochen hat, im Krankheitsfall für den Hund da zu sein, haben wir uns im Tierheim nach einem neuen Gefährten umgesehen.“ Die Hamburger Tierheime begrüßen die Vermittlung von Tieren an Senioren, wenn sie mit realistischen Vorstellungen verbunden ist. „Manchmal wünschen sich sogar hochbetagte Menschen einen jungen Hund, obwohl sie seinen Bedürfnissen nicht mehr gerecht werden können“, sagt Sabine Löwenstrom, stellvertretende Leiterin des Franziskus-Tierheims in Lokstedt. „In den Tierheimen warten viele ältere Tiere, die in der Regel ruhiger und gelassener sind, auf ein liebevolles Zuhause. Wir raten dazu, diese Tiere kennenzulernen, und schauen zusammen mit dem Interessenten genau, welches Gegenüber passen könnte.“ Vögel oder Kleintiere wie Meerschweinchen oder Kaninchen sind keine „Schoßtiere“. Sie brauchen einen Artgenossen an ihrer Seite und eignen sich eher zur Beobachtung. Die Reinigung ihrer Käfige ist pflegeaufwendig. „Die meisten Senioren suchen, besonders wenn sie allein leben, ein Tier zum Kuscheln“, hat Sabine Löwenstrom festgestellt.
Wer nicht mobil genug für einen Hund ist, findet oftmals Gefallen an einer Katze. „Allerdings vermitteln wir einzeln nur ältere Katzen, die früher bereits allein gehalten wurden.“
Der Hamburger Tierschutzverein sucht für die Hunde im Tierheim in der Süderstraße immer wieder Ehrenamtliche, die mit ihren Vierbeinern Gassi gehen. Hier sind auch ältere Menschen, Tierliebhaber mit Handicap und Interessierte ohne Vorerfahrung mit Hunden willkommen, da alle vor dem Einsatz eine Schulung durch erfahrene Hundetrainer erhalten. Für jeden wird ein nach Größe und Temperament passendes Tier ausgesucht, und auf den ersten Runden werden die Ehrenamtlichen von erfahrenen Kollegen begleitet. „Unsere aktivste Gassigeherin ist 80 Jahre alt“, erzählt Sven Fraaß, der im Hamburger Tierschutzverein die Ehrenamtlichen betreut. „Gerade Senioren, die früher Hunde gehalten haben, möchten dieses Lebensgefühl nicht missen. Ich habe bei den Einsätzen schon viele ältere Leute aufblühen sehen. Und manch einer hat sein Herz an einen älteren Hund verloren, den er schließlich adoptiert hat.“
Birgit und Jörn Griephan konnten mit ihrer Erfahrung bei der Hundehaltung genauso wie mit ihrer Tochter als Patin für Notfälle bei der Vermittlung punkten. Im Franziskus-Tierheim lernte das Paar den fast achtjährigen Yorkshire-Terrier-Mix Nelly von der Insel Fuerteventura kennen. Der Hündin aus dem Tierschutz fehlen einige Zähne, ein Fuß war durchgetreten und sie war im Umgang mit anderen Hunden und Menschen eher misstrauisch. Dennoch konnte sie bei mehreren Kennenlern-Treffen im Tierheim das Herz der Griephans erobern. „Ich genieße, dass mit ihr wieder Lebensfreude bei uns eingezogen ist“, sagt Birgit Griephan.
Hamburger Tierschutzverein sucht ehrenamtlich Gassigeher
Der Hamburger Tierschutzverein von 1841 e. V. in der Süderstraße 399 sucht Ehrenamtliche, die an Wochentagen mit Hunden Gassi gehen möchten. Infos: www.hamburger-tierschutzverein.de/spenden-und-helfen/ehrenamt/gassi-gehen. Kontakt: Sven Fraaß, Tel. 21 11 06 34.