Manchmal kann der Wechsel zur Vollzeitpflege eine Chance für ein stabileres Leben sein. Zwei Jugendliche berichten, wie es für sie war

Als Manuel Michler in seine Pflegefamilie kam, war er elf Jahre alt. Schon länger standen er und seine jüngere Halbschwester damals unter der Obhut des Jugendamtes. Seine Mutter war aufgrund psychischer Probleme mit der Erziehung überfordert und allein. Der Vater von Manuel hatte sie verlassen, auch Manuels Großmutter war keine Entlastung. „Mit ihr gab es viel Stress“, erinnert sich der heute Zwanzigjährige. Als er eines Tages aus der Schule kam, erklärten ihm seine Mutter und ein Betreuer, dass er und seine Schwester noch am selben Tag, getrennt voneinander, in eine Pflegefamilie gebracht werden und seine Mutter in eine Klinik geht. Dass er auf Dauer in der Pflegefamilie bleiben würde, die ihn zunächst nur für einige Monate aufnahm, war damals noch nicht abzusehen. Heute weiß er, dass es „ein Glück war, in der Pflegefamilie aufzuwachsen“, sagt der ausgeglichen wirkende junge Mann. Ähnlich erging es Mariama Jentz (19). Die Schülerin kam schon mit zehn Monaten in ihre Pflegefamilie. Mittlerweile wurde sie von den Pflegeeltern adoptiert, nahm ihren Namen an. „Sie sind mein sicherer Hafen geworden“, sagt sie.

So wie Mariama und Manuel leben laut Bundesverband der Pflege- und Adoptiveltern gGmbH (PFAD) bundesweit etwa 89.000 Kinder in Pflegefamilien. In Hamburg waren es bis Juni dieses Jahres 1225 Kinder, die in neue Familien kamen. Pflegeeltern werden eingesetzt, wenn das Kindeswohl gefährdet ist, wenn in den Ursprungsfamilien Gewalt oder Vernachlässigung herrschen. Sie bieten den Kindern Schutz, Halt und Zuwendung. „Und zu mehr als 90 Prozent klappt das auch“, erklärt Ralf Portugall von Pfiff. Der Fachdienst für Familien ist neben den Jugendämtern ein anerkannter freier Träger in der Hamburger Pflegekinderhilfe. Pfiff gründete die Hamburger Pflegeelternschule und vermittelt Kinder in Pflegefamilien. Kinder werden entweder dauerhaft in Vollzeitpflege oder bei akuter Gefährdung auch in Bereitschaftspflege gegeben. „Für die Bereitschaft gibt es in Hamburg nur 37 Familien, das sind viel zu wenig. Allein im vergangenen Jahr wurden für 211 Kinder Pflegefamilien gesucht“, sagt Ralf Portugall.

Für Manuel stand die Familie Scheible bereit und er erinnert sich noch gut an die ersten Tage dort. „Die waren überraschend, es herrschte für mich ungewohnter Trubel, denn durch die vier eigenen Kinder der Pflegeeltern war immer etwas los“, sagt er. Schnell nahm er Unterschiede zu seiner Ursprungsfamilie wahr: „Sie waren im Umgang viel freundlicher und herzlicher, als ich es bis dahin kannte. Wir haben viel zusammen unternommen, Spiele gespielt, Ausflüge und Urlaub gemacht“, sagt Manuel. Das Eingewöhnen sei ihm nicht schwergefallen, „ich bin immer sehr anpassungsfähig gewesen“, sagt er.

Obwohl er von da an in einem anderen Stadtteil wohnte, bald auch die Schule wechselte, seine Pflegeeltern nicht Mama und Papa, sondern Christine und Didi nennt, wurde das Gefühl allmählich größer, mehr dorthin zu gehören als in seine Ursprungsfamilie. „Man sieht sich jeden Tag, macht etwas zusammen, das Verhältnis wird mit der Zeit enger“, sagt er. Seine leibliche Mutter traf er zu Beginn einmal in der Woche, später übernachtete er einmal im Monat bei ihr. „Sie die ersten Male zu treffen war komisch, denn mein Zuhause war nun woanders“, sagt er.

Er gewöhnte sich daran. Und als er von seinen Pflegeeltern gefragt wurde, ob er bei ihnen bleiben wolle, stimmte er zu. „Es war das Optimale, ich fühlte mich bei ihnen voll angenommen“, sagt Manuel. Er war froh, dass auch seine Mutter damit einverstanden war.

„Auch wenn ein Kind auf Dauer in einer Pflegefamilie lebt, sollte es – wenn möglich – regelmäßigen Kontakt zu seinen Eltern haben, damit es seine Wurzeln kennt“, sagt Ralf Portugall von PFIFF. Wünschenswert sei es, dass die Pflege- und Herkunftseltern dafür „möglichst gut zusammenarbeiten“.

Das gelang auch bei Mariama. Ihre aus Ghana stammende Mutter sei damals zu jung gewesen, um sie und ihre jüngere Schwester gut zu versorgen. Und in der Beziehung zu dem aus Burkina Faso stammenden Vater gab es immer wieder Streit. Das Jugendamt brachte Mariama deshalb als Baby in einem Kinderschutzhaus unter, von dort kam sie in die Pflegefamilie. „Meine leibliche Mutter war damit einverstanden, dass meine Schwester und ich jeweils bei ihrer Pflegefamilie bleiben, sie fand, dass das besser für uns wäre, als zur Großmutter zu kommen.“ Für diesen Mut sei sie ihrer Mutter dankbar. Sie hat noch Kontakt zu ihr und zur Schwester.

„Meine Mutter ist für mich wie eine gute Bekannte und ich bin froh, dass auch meine Pflegemutter einen guten Draht zu ihr hat“, sagt Mariama. Für die Schülerin sind ihre Pflegeeltern und deren beiden leiblichen Söhne ihre Familie. Dass ihre Pflegeeltern hell- und sie dunkelhäutig ist, sei nie ein Problem gewesen, auch nicht in der Schule, sagt Mariama, die auch nie verschwieg, dass sie ein Pflegekind und nun ein Adoptivkind ist. „Meine jetzige Familie hat mir Struktur gegeben und ich bin in guten Verhältnissen aufgewachsen“, sagt Mariama. Die gute Schülerin freut sich über die Chancen und Einblicke, die sie dank der Pflegeeltern bekommen hat. „Wir gehen viel ins Theater, ich konnte bei Jugendreisen und Schüleraustauschen mitmachen und viele Sportarten ausprobieren“, sagt die Hockeyspielerin, die nach dem Abitur einen helfenden Beruf ergreifen möchte.

Manuel hat bereits eine Ausbildung als Erzieher abgeschlossen. Er wohnt noch bei seinen Pflegeeltern und arbeitet in einer Kita des Kirchenkreises Hamburg-Ost. Die Berufswahl sei der Vorschlag eines Lehrers gewesen. Aber ohne die Unterstützung, die er bei seinen Pflegeeltern fand, wäre er vielleicht nicht so weit gekommen. „Sie haben sich viel Zeit genommen, mir das Fahrradfahren und Schwimmen beigebracht, mit mir viel für die Schule geübt. Von ihnen habe ich Ausdauer gelernt, wenn ich etwas schaffen will, das wäre in meiner Herkunftsfamilie so nicht möglich gewesen“, ist er überzeugt.

So wird man eine Pflegefamilie

Wer Pflegekinder aufnehmen möchte, sollte Freude am Umgang mit Kindern haben, belastbar und bereit sein, mit Jugendämtern und Behörden zu kooperieren. Bewerben können sich verheiratete oder unverheiratete heterosexuelle wie auch gleichgeschlechtliche Paare, Familien mit Migrationsgeschichte oder auch Alleinerziehende mit ausreichend Zeit für ein Pflegekind.

Man unterscheidet zwischen Bereitschafts- und Vollzeitpflege, das Kind bleibt danach entweder kurzzeitig bis zu sechs Monaten oder ganz in der Pflegefamilie, bis es volljährig ist. Bei weiterem Interesse gibt es eine intensive Kennenlernphase und Gespräche mit einer Fachkraft.

Zu den formalen Voraussetzungen gehört, dass die Bewerber über ausreichend Zeit, Wohnraum und finanzielle Sicherheit verfügen. Zudem müssen sie ein
erweitertes polizeiliches Führungszeugnis, einen Drogentest und ein Gesundheitszeugnis vorlegen.

Potenzielle Pflegeeltern müssen an einer Grundqualifizierung teilnehmen. Diese findet in der Pflegeelternschule von Pfiff statt, umfasst 30 Stunden und schließt mit einem Zertifikat ab. Für anerkannte Pflegeeltern gibt es weitere Fortbildungsangebote.

Nächste Info-Abende zur Vollzeitpflege bei Pfiff sind am 10.9. und 24.9. von 19 bis 21.30 Uhr.Der nächste Infoabend zur Bereitschaftspflege ist am 17.10. von
19 bis 21.30 Uhr. Bitte anmeldenunter Tel. 41 09 84 60 oder www.pfiff-hamburg.de