Vor 250 Jahren schloss die Hansestadt mit den Dänen den Gottorper Vertrag. Das kostete sie viel, sicherte ihr aber die Eigenständigkeit. Sonst wäre sie heute vermutlich die Hauptstadt Schleswig-Holsteins. Von Sven Kummereincke
Ob ihnen bei der Unterzeichnung die Hand gezittert hat, ist nicht überliefert. Aber überraschen würde es kaum. Denn mit den Unterschriften der Senatoren Anton Wagener, Hieronymus Burmester, Justus Vincent Ritter und des Senatssyndicus Jacob Schuback unter den Vertrag war Hamburg um 100.000 Kilogramm Silber ärmer. Diese Summe – vier Millionen Mark Banco – verpflichtete sich die Stadt an jenem 27. Mai 1768 an das dänische Königshaus und das Haus Holstein-Gottorp zu zahlen. Beziehungsweise auf Schulden in entsprechender Höhe zu verzichten. Es war die teuerste Entscheidung, die Hamburgs Stadtväter jemals getroffen hatten. Und eine der besten.
Die Stadt kam nicht nur in den Besitz aller Elbinseln zwischen Billwerder und Finkenwerder sowie der Veddel und der Peute, sondern hatte nun den unerschütterlichen Status einer „freien Reichsstadt“. Ohne den wäre Hamburg heute kein eigenständiges Bundesland, sondern wahrscheinlich die Landeshauptstadt Schleswig-Holsteins. Kein Wunder also, dass manche Historiker den „Gottorper Vergleich“ als den wichtigsten Vertrag in Hamburgs Geschichte ansehen.
Zugleich markierten die Unterschriften das Ende einer fast 1000-jährigen Feindschaft zu Dänemark, die mehr als einmal in Krieg ausgeartet war. Und da kann man zurückgehen bis in die Anfänge Hamburgs, als die hölzerne Hammaburg gerade einmal 200 Bewohner hatte – sie wurde 845 von dänischen Wikingern erobert und vollständig zerstört.
Die Grenze zwischen Deutschland und Dänemark ist oft verschoben worden. Doch 1214 schienen die Dänen alle ihre Ziele erreicht zu haben: Der deutsche König und spätere Kaiser Friedrich II. akzeptierte die Elbe als Grenzfluss, womit ganz Holstein und Hamburg dänisch waren. Den norddeutschen Fürsten war der meist auf Sizilien residierende Kaiser allerdings ziemlich egal: Sie führten Krieg, und 1227 gelang der entscheidende Sieg über König Waldemar II. Erst jetzt konnte der Aufstieg Lübecks, Hamburgs und der Hanse so richtig beginnen.
Über die Jahrhunderte blieben die Dänen Hamburg feindlich gesinnt. Die Könige taten später auch alles, um die eigenen Städte Altona und Wandsbek zu fördern. Und auch die Gründung Glückstadts und das Erheben von Elbzöllen waren Teil eines Handelskriegs, der nun geführt wurde.
Auch auf juristischem Feld waren die Dänen aktiv. Und begannen einen Rechtsstreit vor dem Reichskammergericht. Wer meint, dass Gerichte heutzutage langsam arbeiten, der sollte sich trösten: Das Verfahren begann 1584 und endete erst mit dem Gottorper Vergleich 184 Jahre später.
Mit der Zarin kam die große Politik in die Verhandlungen
In der Sache ging es dabei um die „Reichsunmittelbarkeit“. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, wie der Staat damals hochoffiziell hieß, war ein politischer Flickenteppich. Neben dem Kaiser (über Jahrhunderte fast immer ein Habsburger Österreicher) und großen und mächtigen Ländern wie Preußen und Bayern gab es unzählige mittlere, kleine und kleinste Herrschaften, von denen viele kirchlich waren. Und dann gab es die Reichsstädte, die sich selbst regierten und keinem Landesherrn unterstanden – so wie Hamburg. Über ihnen kam direkt der Kaiser, ganz „reichsunmittelbar“.
Nun waren die Hamburger bekanntermaßen Kaufleute. Und knauserig. Einerseits wollten sie keinesfalls unter die Herrschaft eines Fürsten fallen, andererseits wollten sie aber auch keine Reichssteuern zahlen. Das hätten sie bei einem Urteil zu ihren Gunsten aber tun müssen. Also versuchte der Senat alles, um das Verfahren zu verzögern.
Das änderte sich, als Christian IV. dänischer König war. Er verfolgte Großmachtpläne und machte den Hamburgern Angst. Jetzt stellten sie dem Gericht gezielt Informationen und Urkunden zur Verfügung, und tatsächlich entschieden die Juristen 1618 im Sinne Hamburgs: Die Stadt war reichsunmittelbar. Doch Dänemark strengte ein Revisionsverfahren an und zwang Hamburg, den Status quo bis zur endgültigen Entscheidung beizubehalten.
Wegen des Dreißigjährigen Krieges (1618 bis 1648) geschah erst einmal aber gar nichts. Das änderte sich auch nach dem Friedensschluss kaum, weil die Hamburger jetzt ihr Geld arbeiten ließen – sie gaben den Herzögen von Holstein-Gottorp (die dem dänischen König eigentlich unterstanden, sich aber als Konkurrenten sahen) Darlehen.
Und nun kam auch noch die ganz große Politik ins Spiel: in personam Katharinas der Großen, der russischen Zarin (eine gebürtige deutsche Prinzessin aus dem Haus Anhalt-Zerbst). Ihr Gatte Peter III. entstammte nämlich dem Haus Holstein-Gottorp, und fast hätte er Krieg gegen Dänemark geführt, um sein Stammhaus zu stärken. Katharina aber wollte, nachdem sie den Gatten hatte ermorden lassen und selbst den Thron bestiegen hatte, einen Ausgleich: Sie tauschte Gebiete in Holstein gegen andere in Oldenburg. Jetzt war der dänische König wieder Herr im eigenen Hause. Die holsteinischen Länder, über die er nun wieder verfügte, waren aber zum Teil als Sicherheit für die Darlehen an Hamburg verpfändet, unter anderem die Ämter Reinbek und Trittau. Und das war der Ansatz für die Verhandlungen, die dann 1768 abgeschlossen wurden.
Hamburg erhielt neben den später für den Hafenausbau und die Industrialisierung so bedeutenden Gebieten an und auf der Elbe auch ein paar Enklaven auf Hamburger Gebiet (zum Beispiel den Schauenburger Hof an der Steinstraße) und nicht zuletzt wichtige Handelsvorteile in Dänemark und Norwegen. So wurde der Sundzoll für Hamburger Schiffe ermäßigt.
Die Stellung der Stadt als selbstständige Metropole war nun gefestigt. So sehr, dass Hamburg zusammen mit Lübeck und Bremen als Einzige die großen Reformen Anfang des 19. Jahrhunderts überstand und auch im neuen Deutschen Bund (1815 nach dem Sieg über Napoleon gegründet) als Reichsstadt autonom blieb. Daran haben weder die Preußen (1866 wurde Holstein preußisch) noch die Weimarer Republik (1919 bis 1933), die Nazis (bis 1945) und auch nicht die Bundesrepublik 1949 etwas geändert: Hamburg war, ist und bleibt eine „Freie und Hansestadt“.