Annette Tabbara vertritt die Stadt in Berlin, in Brüssel und in aller Welt. Wie praktisch, dass Europa in ihrer Wiege lag und sie an der Spree eine alte Hafenbarkasse hat. Porträt von Insa Gall
Den Titel „Hamburger Außenministerin“ mag sie nicht, schließlich ist sie ja nicht Ministerin, sondern Staatsrätin. Da ist Annette Tabbara korrekt. Doch die 47-Jährige vertritt seit Kurzem die Hansestadt in Berlin, in Brüssel und aller Welt. „Staatsrätin und Bevollmächtigte der Freien und Hansestadt Hamburg beim Bund, bei der Europäischen Union und für Auswärtige Angelegenheiten“ heißt ihre Amtsbezeichnung etwas sperrig, und sie meint im Grunde nicht weniger als eben dies: Annette Tabbara ist Hamburgs neue Außenministerin.
Es ist warm in ihrem Büro im ersten Stock des Rathauses. Durch das Fenster fällt der Blick auf den Rathausmarkt und die Kleine Alster. Wenn Annette Tabbara von dem erzählt, was sie sich vorgenommen hat, beginnen ihre hellen Augen zu leuchten. Die Interessen Hamburgs zu vertreten, vor allem aber Stärken und das große Potenzial der Stadt über deren Grenzen hinaus bekannt zu machen, sei für sie eine Herzensaufgabe, erzählt sie, und der Enthusiasmus, mit dem sie ans Werk geht, wird spürbar.
Für die gebürtige Frankfurterin, die die vergangenen eineinhalb Jahrzehnte in Berlin verbrachte, schließt sich dennoch mit dem neuen Amt in Hamburg ein Kreis. Denn hier hat sie in den 1990er-Jahren Jura studiert, am reformierten Studiengang. Gewohnt hat sie damals am Großneumarkt. Wenn sie heute beim Pendeln aus Berlin kommend in Hamburg übernachtet, wohnt sie im Motel One um die Ecke vom Großneumarkt. „Ich bin quasi wieder zu Hause“, sagt sie. „Meine neue Aufgabe ist eine gute Art, nach Hamburg zurückzukommen, ohne Berlin zu verlassen.“
Anders als ihr umtriebiger Vorgänger Wolfgang Schmidt, der mit Olaf Scholz als dessen Staatssekretär ins Finanzministerium wechselte, ist Annette Tabbara der Hamburger Öffentlichkeit noch wenig bekannt. Auch ist sie zurückhaltender als der große Kommunikator Schmidt. Doch es wäre ein Fehler, die promovierte Juristin zu unterschätzen. Denn die 47-Jährige hat nicht nur viel Verwaltungs- und Führungserfahrung, sie hat in den vergangenen 13 Jahren im Bund auf verschiedenen Ebenen und Positionen Politik gemacht und ist in der Bundespolitik bestens vernetzt – eine entscheidende Voraussetzung für ihr neues Amt.
Nach kurzer Zeit als Anwältin kam sie 2005 ins Bundesarbeitsministerium, befasste sich zunächst als Referentin mit Sozialverwaltungsverfahren und durfte, wie sie es formuliert, am Ende ab 2011 das Grundsatzreferat der Grundsatzabteilung leiten. „Das klingt fürchterlich trocken“, sagt sie und muss selbst lachen. „Aber es ist hoch spannend, da können die Grundzüge der Arbeits- und Sozialpolitik in den großen Linien gedacht werden.“
2015 wechselte sie ins Kanzleramt und wurde Büroleiterin für die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Staatsministerin Aydan Özoğuz aus Hamburg. Sie leitete auch deren am Ende 70-köpfigen Arbeitsstab – und das in „spannenden Zeiten“, als der große Zustrom von Flüchtlingen in Deutschland zu bewältigen war. Nach der Bundestagswahl 2017 fiel das Amt der Integrationsstaatsministerin an die CDU, und Tabbara war frei für neue Aufgaben.
So kam der Anruf aus Hamburg, ob sie als Nachfolgerin von Wolfgang Schmidt als Hamburgs neue Außenstaatsrätin zur Verfügung stünde, zwar unerwartet, das Angebot erwies sich aber aus ihrer Sicht als „glückliche Fügung“. Nur kurz musste sie nachdenken, ob das Familienleben in Berlin mit den Aufgaben, die sie mindestens an zwei Tagen in der Woche nach Hamburg führen, vereinbar ist. Tabbara hat zwei Kinder, 14 und 18 Jahre alt. Doch das müsste hinzukriegen sein, sagte sie sich. Und tatsächlich: „Das kriegen wir gut hin.“ Ein Gespräch mit dem neuen Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) bestärkte sie in ihrer Entscheidung für Hamburg. „Das hat sehr gut zusammengepasst. “
Die vielen Kontakte, die Tabbara in der Bundespolitik hat – in den Ministerien, in der SPD, aber auch in der CDU („Da habe ich keine Berührungsängste“) –, kommen ihr jetzt zugute. Denn als Außenstaatsrätin vertritt sie Hamburg nicht nur im Bundesrat, sie muss auch die Interessen der Stadt abstimmen, Mehrheiten in den Ländern für eigene Anträge organisieren, die Hamburger Landesvertretung in Berlin leiten, ein Gespür haben für politische Themen, die für die Hansestadt wichtig werden könnten, und möglichst viele Hindernisse auf möglichst kurzem Dienstweg aus dem Weg räumen. „Mir ist es wichtig, gerade für unseren neuen Bürgermeister Peter Tschentscher Zugänge zu eröffnen. Das nützt der Stadt“, sagt sie. Das dürfte ihre größte Herausforderung sein: Hamburg in Berlin weiterhin Gewicht zu verleihen, nachdem das Bundes-Schwergewicht Olaf Scholz ins Finanzministerium gewechselt ist und Hamburgs Interessen nicht mehr oder kaum noch vertreten kann. Und Tschentscher, der bisher auf der Bundesebene wenig in Erscheinung getreten ist, in der Hauptstadt zu Sichtbarkeit und Einfluss zu verhelfen.
In dieser Woche hat Tabbara Peter Tschentscher und seine Delegation auf seiner ersten Auslandsreise ins südschwedische Malmö begleitet. Wenn der Erste Bürgermeister die Fehmarnbelt-Tage besucht, sich mit dem Kopenhagener Bürgermeister Frank Jensen trifft und ein Kooperationsabkommen zwischen den Metropolregionen Hamburg und Großkopenhagen sowie der südschwedischen Provinz Schonen unterzeichnet, dann müssen diese Dinge vorbereitet sein.
Die Mutter Griechin,der Vater Schlesier
International gesehen sind die Zeiten keine einfachen: Die Welt ist im Wandel, unverbrüchlich geglaubte Bündnisse wie die mit den USA sind fragil geworden, die Beziehungen zum Partner Russland schwierig, und in einigen Staaten der EU scheint die Rechtsstaatlichkeit bedroht. Annette Tabbara ist jedoch ein Mensch, der in Problemen nicht zuallererst Hindernisse sieht, sondern vor allem eine Aufgabenbeschreibung. Das gilt auch für Hamburgs auswärtige Beziehungen.
„Wir erleben aktuell in der Bundespolitik, dass sich zu manchen ausländischen Regierungen die Fronten verhärten. Und es ist gut, wenn Hamburg – beispielsweise über die Partnerstädte – auf der lokalen Ebene weiter im Dialog mit diesen Ländern bleibt. Denn daran kann man später auch auf der nationalen Ebene wieder anknüpfen“, sagt sie. Gerade jetzt sei es wichtig, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen.
Überzeugte Europäerin ist Tabbara ohnehin – qua Geburt gewissermaßen. Ihre Mutter war Griechin, ihr Vater stammte aus Schlesien, zur Schule ging sie in Aachen; Belgien und die Niederlande lagen um die Ecke. „Ich habe noch Schlagbäume erlebt – und das Gefühl der Befreiung, als sie fielen und sich Räume öffneten“, sagt sie.
Im Arbeitsministerium hat Tabbara unter vielen Ministern gearbeitet – auch unter Olaf Scholz (SPD). Gehört sie, ebenso wie Wolfgang Schmidt und Aydan Özoğuz, zu seinem politischen Dunstkreis? „Eigentlich nicht“, sagt sie. Es habe aber eine für sie „wichtige Erfahrung“ gegeben: Als Olaf Scholz 2007 das Arbeitsministerium übernahm, wurde Tabbara persönliche Referentin seines beamteten Staatssekretärs. „In dieser Funktion hatte ich viel mit der Mannschaft von Olaf Scholz zu tun“, erinnert sie sich. „Das war ein sehr gutes, unglaublich produktives Arbeiten, das sehr viel Spaß gemacht hat“, sagt sie. „Die Kontakte sind geblieben, und ähnlich erlebe ich jetzt Peter Tschentscher.“
In die SPD ist sie allerdings erst spät eingetreten. Lange Zeit war es eher nicht ihre Sache, sich politisch zu binden. Doch dann fand sie: „Ich unterstütze diese Politik, es ist Zeit, Farbe zu bekennen, die SPD – das bin auch ich. Denn für mich steht die SPD wie keine andere Partei für die Zuversicht, dass es möglich sei, jedem und jeder Einzelnen – ohne Ansehen der Herkunft, des Geschlechts, des Alters oder sonstiger Faktoren – ein Leben in Frieden und Würde zu ermöglichen.“ Tabbara bekennt sich auch dazu, Idealistin zu sein. Die Tätigkeit als Anwältin bei einer amerikanischen Großkanzlei war auch deshalb nichts für sie, weil sie ihr nicht gemeinwohlorientiert genug war. „Das hat mich nicht so richtig erfüllt.“
Wenn Annette Tabbara gerade nicht im Zug zwischen Hamburg und Berlin sitzt oder auf Auslandsreise mit Bürgermeister Tschentscher ist, in Brüssel bei der EU vorstellig wird oder in einer von Hamburgs neun Partnerstädten unterwegs ist, dann findet man sie auf den Berliner Gewässern. Dort schippert sie mit ihrer Familie auf einer historischen Hamburger Hafenbarkasse. Beim Spazierengehen hatte sie das Schiff aus dem Jahr 1920 entdeckt und sich sofort verliebt, auch wenn viel Arbeit hineingesteckt werden musste. Die alte Barkasse war in den 1960er-Jahren zum Hausboot umgebaut worden, sie liegt an der Müggelspree und fährt maximal zwölf Stundenkilometer. Für Annette Tabbara „eine herrliche Form der Entschleunigung“.
Nächste Woche: Kirsten Boie,
Kinderbuchautorin