Immer mehr langjährige Ehen werden geschieden. Zwei Seniorinnen berichten über ihre Erfahrungen nach der Trennung.
Es war ein Abschied auf Raten. Innerlich hatte sich Monika Schmidt (Name geändert) schon zehn Jahre früher von ihrem Mann getrennt. „Als ich 2005 erneut Hautkrebs hatte, er mich mit der Diagnose alleinließ und arbeiten ging, war schon ein Punkt erreicht“, sagt Schmidt. Doch erst 2015 hat sie nach 51 Jahren Ehe einen Schlussstrich gezogen und ist von ihm weggezogen. „Das war eine Befreiung. Und ich bereue es keinen Tag“, sagt die 74-Jährige.
Trennung im Alter ist ein Trend, der zunimmt. Während es 1993 noch rund 14.300 Ehescheidungen nach 26 oder mehr Jahren Ehe waren, hat sich die Zahl 2016 mit 25.300 fast verdoppelt – inzwischen sind es mehr als 15 Prozent aller Ehescheidungen.
Die Schweizer Psychologieprofessorin Pasqualina Perrig-Chiello von der Universität Bern hat die Gründe dafür in ihrer Studie „Wenn die Liebe nicht mehr jung ist – Warum viele langjähriger Partnerschaften zerbrechen und andere nicht“ (2017) zusammengefasst. Sie hat dafür 1000 spät Geschiedene und 1000 langjährig Verheiratete befragt. Ihre Beobachtung: Die jetzige Seniorengeneration ist von dem dramatischen Wertewandel der 1968er-Jahre geprägt. Sie will sich selber entfalten, alte Rollenbilder fallen weg, die Frauen sind finanziell unabhängiger. Das alles hat zur Folge, dass „die gestiegenen Ansprüche an die moderne Ehe altersunabhängig geworden sind. Man akzeptiert keine faulen Kompromisse mehr“, so Prof. Perrig-Chiello.
In zwei Dritteln aller Scheidungen ab 65 Jahren ziehen die Frauen den Schlussstrich. Und für 80 Prozent ist die fehlende Kommunikationsfähigkeit der Männer ein Hauptscheidungsgrund. Ein weiterer Trennungsgrund ist laut der Forscherin die „Inkompatibilität“: das Gefühl, dass es mit dem Partner einfach nicht mehr geht, dass die Lebensweisen unvereinbar geworden sind. So war es auch bei Monika Schmidt. „Ich war es leid, dass er nicht mit mir gesprochen hat und er so gleichgültig war. Er hat alles bestimmt und eigentlich immer sein Leben gelebt und ich meins, außer dass ich neben meiner Arbeit auch noch für alles andere – also Kind, Haus und Alltag – zuständig war“, erzählt die pensionierte Sachbearbeiterin. Während sie beide gearbeitet hätten, sei es für sie in Ordnung gewesen, „aber als wir als Rentner immer noch keine Gemeinschaft hatten, sondern er laufend unterwegs war, wurde mir klar, dass ich innerhalb der Ehe vereinsame“.
Er sei kein schlechter Mann und habe immer gut für die Familie gesorgt. Aber das reichte ihr irgendwann nicht mehr. Erst zog sie in die Wohnung über der gemeinsamen – „das hat er gar nicht ernst genommen“ – und vergangenes Jahr dann ganz weg. Jetzt wohnt sie alleine in Hamburg. „Er hat mir beim Umzug geholfen, doch bis heute hat er nichts zur Trennung gesagt, kein Wort.“
Wie Forscherin Perrig-Chiello festgestellt hat, ist ein Haupttrennungsgrund für die Männer die Entfremdung: Die ehemals Verliebten haben sich auseinandergelebt und nichts mehr zu sagen. Männer werfen den Frauen vor, nicht aus ihrer Mutter- und Hausfrauenrolle herausgefunden zu haben, während sie selbst sich hingegen weiterentwickelt hätten. Das sorgt meistens für viel Streit. Die Untreue des Partners oder der Partnerin ist ein weiterer Hauptgrund.
Das musste Lisa Meintz (Name geändert) nach 30 gemeinsamen Jahren erfahren. Ihr Mann, der wegen psychosomatischer Beschwerden bei einer Kur war, hatte sich dort in eine zehn Jahre jüngere Frau verliebt. „Er war wie unter Drogen, kam zurück und stellte sich vor, dass wir zwar getrennt sind, aber weiter zusammenwohnen und er nebenher eine Geliebte hat“, sagt Meintz (63), die das kategorisch ablehnte. Sie war damals 58 Jahre alt und für sie war seine Untreue „ein tiefer Schock, über den ich jahrelang nicht hinwegkam. Ich wollte mit ihm alt werden.“
Sie ging sofort zu einer Anwältin, besorgte ihm eine Wohnung und erwirkte nach 18 Monaten die Scheidung. Er hat sich nach einem Jahr wieder von seiner Geliebten getrennt. „Doch ein Zurück gibt es für mich nicht mehr. Ich lebe inzwischen ganz gern allein“, sagt Lisa Meintz. Allerdings geht es ihr finanziell nicht so gut. Da sie immer nur Teilzeit als Bibliothekarin gearbeitet und sechs Jahre für die Erziehung der fünf gemeinsamen Kinder pausiert hat, bekommt sie nun nur 937 Euro Rente im Monat.
„Eine Scheidung kann den finanziellen Ruin beider Eheleute bedeuten, da die gemeinsam erworbenen Rentenansprüche oft nicht für eine doppelte Haushaltsführung ausreichen“, sagt Josef Linsler vom Interessensverband Unterhalt und Familienrecht. Auch beim Verband fragen immer mehr – vor allem ältere Frauen – um Rat für ihre Trennung. „Wir geben den Tipp, eine Scheidung zu überdenken, weil sie ein hohes Risiko birgt. Denn wenn einer der Partner früher als der andere stirbt, fällt für den Überlebenden die Hälfte der Rentenansprüche weg“, so Linsler. Er rät deswegen bei Rentnern zu einem Trennungsvertrag, der auch rechtlich bindend ist und in dem man vom Unterhalt, der Immobilie, Wohnrecht bis zur Aufhebung der gegenseitigen Pflegeverpflichtung selber alles klären kann. „Bei der Scheidung trennt ein Richter das Vermögen, das ist nicht immer im Interesse beider Beteiligter und die Kosten für die Anwälte und den Prozess sind zudem teuer“, sagt Trennungsexperte Linsler.
Monika Schmidt hat nicht vor, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen. „So geht es uns finanziell beiden besser. Ich habe zum Glück schon während der Ehe immer vorgesorgt und mein eigenes Vermögen erarbeitet. Doch vor allem möchte ich keinen Rosenkrieg, sondern ihm auch noch begegnen können. Wir haben eine gemeinsame Tochter und hatten ein gemeinsames Leben“, sagt die Rentnerin.
Bitter war bei ihr, dass sich alle Freunde abgewandt hätten. „Die konnten nicht verstehen, dass ich ihn alleinlasse. Keiner hat sich darum gekümmert, wie es mir geht, dass ich lange Rücksicht genommen habe und auch noch ein paar erfüllte Jahre verleben möchte“, sagt Schmidt. Sie hat eine Anzeige aufgegeben, um gleichgesinnte Frauen für Freizeitaktivitäten zu finden – 16 haben sich bei ihr gemeldet. Ihr Leben sei nun abwechslungsreich und vor allem selbstbestimmt. Eine Partnerschaft möchte sie nicht mehr. „Mit dem Kapitel bin ich durch.“