Im Projekt „Step by Step“ lernen Schüler mehr als Choreografien. Ein Besuch in der Stadtteilschule Altrahlstedt

Erst in die Hocke gehen, nach rechts drehen, dann nach links oder doch andersherum? Die Kinder der Klasse 5d der Stadtteilschule Altrahlstedt versuchen den Anweisungen der Choreografin Meike Klapprodt zu folgen. Doch so ganz will es mit der Schrittfolge noch nicht klappen. Also nächster Versuch. „Eins, zwei, drei, drehen, rechts, links, rechts!“, ruft die Choreografin mit fester Stimme in die Turnhalle und der Block der 21 Schüler bewegt sich tatsächlich einheitlich in eine Richtung. Die zehn- bis elfjährigen Mädchen und Jungen sind voll konzentriert. Hier und da hilft noch Klassenlehrerin Susanne Ziesche. Schließlich klappt es schon ganz gut.

Tanzunterricht in der Stadtteil- und Kulturschule Altrahlstedt. Zwei Stunden in der Woche steht das Training auf dem Stundenplan der beiden fünften Klassen des Profils Bühne und Bewegung. Es ist Teil von „Step by Step“, einem Tanzprojekt, an dem insgesamt fünf Hamburger Schulen teilnehmen. In Altrahlstedt läuft das Projekt bereits im dritten Jahr. Das Besondere: Unter Anleitung eines professionellen Choreografen entwickelt eine Klasse während eines Schuljahres ein eigenes Tanzstück. Dabei lernen die Kinder mehr als nur tanzen. Am Ende des Schuljahres führen sie ihr Stück bei einer Veranstaltung mit den anderen teilnehmenden Schulen im Ernst Deutsch Theater auf. Doch davon sind die Kinder der heutigen Tanzstunde noch ein Stück weit entfernt. Sie proben erst seit Ende August miteinander. „Die Klasse entstand erst mit Beginn des Schuljahres, die Kinder kamen aus neun verschiedenen Grundschulen und ihre Eltern stammen aus vielen verschiedenen Nationen“, sagt Klassenlehrerin Susanne Ziesche. Das Tanzprojekt hilft dabei, dass sich ein guter Klassenverband entwickelt. „Ich kannte keinen, als ich in die Klasse kam“, sagt Hadis (11). Mittlerweile hat er viele Freunde gewonnen und das Tanzen macht ihm großen Spaß, obwohl er als begeisterter Fußballer erst ins Sportprofil wollte.

„Wir schauen, was die Schüler an Bewegungspotenzial mitbringen, und bauen darauf auf. Sie probieren freie Bewegungen, lernen wahrzunehmen, wie sie im Raum stehen und sich durch ihn bewegen“, sagt Choreografin und Tanzpädagogin Meike Klapprodt. So entwickeln die Kinder allmählich ein Gespür dafür, sich mit ihrem Körper auszudrücken. Das ist eines der Ziele des Tanzprojekts: „Von der eigenen Körperwahrnehmung über die Bewegungskontrolle bis zur Teamfähigkeit und dem künstlerischem Ausdruck stößt das Projekt die Entwicklung der Kinder in vielen Bereichen an und bietet zugleich einen Zugang zu Kunst und Kultur“, sagt Stina K. Bollmann, Projektleiterin von „Step by Step“.

Entstanden ist das Projekt als Nachfolger von „Focus on YOUth“. In dieser Initiative hatte John Neumeier 2006 mit einigen Eleven des Hamburg Balletts und Schülern der Gretel-Bergmann-Stadtteilschule aus Neuallermöhe eine Ballettcollage erfolgreich auf die Bühne gebracht. Die positiven Erfahrungen und die kulturelle Teilhabe wollten die BürgerStiftung Hamburg und der Verband Stadtkultur Hamburg auch anderen Kindern aus strukturschwachen Stadtteilen ermöglichen. So entstand 2007 „Step by Step – Tanzprojekte in Hamburger Schulen“. Umgesetzt wird es von conecco gUG – Kultur, Entwicklung und Management. Die BürgerStiftung Hamburg übernimmt als Kooperationspartner „80 Prozent der Kosten pro Schuljahr, die beteiligten Schulen müssen die restlichen 20 Prozent für das Tanzprojekt aufbringen“, sagt Kathrin Günther von der Bürger Stiftung Hamburg. In den zehn Jahren, die das Tanzprojekt nun existiert, haben bereits 36 Hamburger Schulen und mehr als 3100 Kinder teilgenommen.

Das Projekt stärkt das Selbstvertrauen der Kinder. „Für die Schüler ist es eine Chance, sich hier anders zu erleben als sonst in der Schule“, sagt Lehrerin Ziesche. Oft werden laute Schüler ruhiger und zurückhaltende trauen sich, ihre Gefühle auszudrücken. Die neuen Erfahrungen wirken sich positiv auf den Schulalltag aus. „Beim Tanzen lernen die Kinder, sich zu fokussieren, die erhöhte Konzentrationsfähigkeit lässt sich auch auf andere Fächer übertragen“, so Ziesche. Zudem verbessere sich das soziale Miteinander der Kinder, denn sie lernten in unterschiedlichen Gruppen zusammenzuarbeiten.

Zum Tanzprojekt gehört auch Wissensvermittlung, etwa durch eine sogenannte Lecture Performance. „Das ist ein getanzter Vortrag, wir zeigen den Schülern mit Worten, aber auch mit dem Körper, wie eine Choreografie entsteht, indem wir selbst tanzen“, sagt Tanzpädagogin Meike Klapprodt. Das Konzept haben die Choreografen von „Step by Step“ gemeinsam entwickelt. Ein weiterer wichtiger Punkt im Programm sind gemeinsame Exkursionen mit den Schülern zu Aufführungen und professionellen Tänzern wie etwa dem Besuch der Contemporary Dance School Hamburg. Für Jette (11) war das ein Höhepunkt: „Erst haben wir den Tänzern zugeschaut und dann selbst etwas vorgeführt vor den Profis“, sagt sie begeistert. Ein Rollentausch, der das Selbstvertrauen ebenfalls steigert. Und die Kinder zum Weitertanzen motiviert.

Die größte Herausforderung, welche die Schüler meistern müssen, ist das Tanzen vor großem Publikum. Den Auftritt im Ernst Deutsch Theater haben Rosa (11) und Juda (12) aus der 6. Klasse schon im vergangenen Jahr mitgemacht. „Wir dachten immer, unsere Choreografin Anastassia ist streng, aber vor unserem Auftritt hat sie uns voll beruhigt, weil wir so aufgeregt waren“, sagt Rosa. Disziplin gehört genauso zum Projekt wie Lob und das Erkennen der eigenen Fähigkeiten.

Das Projektthema für alle an „Step by Step“ beteiligten Schulen lautet in diesem Jahr „Impuls“. Die Klasse 5d übt schon fleißig an passenden Ausdrucksformen zu diesem Thema. Ein Impuls für gute Erfahrungen in der Schule ist das Tanzprojekt aber schon jetzt.