Kathrin Milan hat vor zehn Jahren mit ihrem Kreativgarten einen Wohlfühlort geschaffen. Dafür erhielt sie den Budnianer Hilfe-Preis
Der Fußweg in die Grünanlage von der Veringstraße in Wilhelmsburg führt vorbei an einem Autohandel, Geräusche von Containern sind zu hören, die von einer benachbarten Firma hin und her transportiert werden. Doch nur einmal um die Ecke über eine Wiese hinweg steht man plötzlich vor einem bunten Gatter, an dem ein Holzschild mit der Aufschrift „Stadtmodell“ hängt. Dahinter öffnet sich ein kleines Paradies für Kinder und Erwachsene: der Kreativ- und Heilgarten der Künstlerin Kathrin Milan. Hochbeete voller Kräuter, Blumen und Gemüse säumen den Weg durch die rund 700 Quadratmeter große umzäunte Fläche. Dort gibt es zudem eine mit Planen überdeckte Werkstatt, drei Bauwagen, Hühnerställe und Bienenstöcke.
Kathrin Milan hatte vor zehn Jahren die Idee, das Stadtviertel Wilhelmsburg als Modell gemeinsam mit Kindern nachzubauen – ursprünglich war es ein zeitlich begrenztes öffentliches Kunstprojekt. „Aber das Bezirksamt und die Sponsoren waren so begeistert von dem Projekt, dass es nun eine Dauereinrichtung ist“, sagt die bildende Künstlerin sichtlich stolz. Ihr „Stadtmodell Wilhelmsburg“ gewann gemeinsam mit drei weiteren Hamburger Projekten einen Budnianer Hilfe-Preis, der am Donnerstag während der großen Feier zum 20. Jubiläum des Budni-Vereins im Rathaus verliehen wurde. Der Wettbewerb stand unter dem Motto „Stadtteileroberer“.
Das passt bei diesem Projekt hervorragend. Denn fast jeden Wochentag von April bis Dezember begrüßt Kathrin Milan Kindergruppen aus Kitas und Grundschulen der Umgebung in ihrem Garten und baut mit ihnen kleine Häuser aus Ytong-Klötzen. Die Kinder sägen Dächer aus, kratzen Fenster und Türen in den weichen Stein, bemalen ihr Kunstwerk und stellen es auf die große Wiese vor der Werkstatt. Dort ist auf 300 Quadratmetern die Inselfläche von Wilhelmsburg nachempfunden – es gibt zwei mit Kies gefüllte Gräben, welche die Elbarme repräsentieren, Sandecken stellen die Hafenflächen dar und dazwischen stehen Hunderte von Häuschen. „Das ist ein kreativer, allen zugänglicher Spielplatz, der gleichzeitig die Identifikation mit dem Quartier stärken soll“, sagt die Künstlerin.
Am Wochenende ist der Kreativgarten offen für alle Stadtteilbewohner, die Lust auf Bauen, Basteln, Matschen und – vor allem – Gärtnern haben. Etliche Erwachsene, aber auch Kinder haben hier ein kleines Beet, das sie selbstständig bepflanzen und pflegen. „Viele Kinder, die mich besuchen, kommen aus schrecklichen, oft von Gewalt geprägten Familien und haben nichts Eigenes für sich. Im Kreativgarten haben sie nun ein eigenes Beet, für das sie sorgen können“, erzählt Milan, die sehr nah an den Kinderschicksalen dran ist, viele Mädchen und Jungen auch zu Hause besucht und so einen guten Einblick in deren Lebensverhältnisse bekommt. Für etliche ist Milans kleines Paradies „Fluchtort, Ankerpunkt und Familienersatz zugleich“. Und gleichzeitig erfahren sie noch etwas über gute Ernährung. Denn am Sonnabend und Sonntag sowie in den Ferien kocht Milan gemeinsam mit den Besuchern ein Abendessen – häufig gibt es selbst geerntete Kartoffeln, Kräuterquark und frisches Gemüse.
Das Schöne ist, dass auch verschiedene Generationen am Wochenende aufeinandertreffen. Viele ältere Ehrenamtliche engagieren sich, Studenten kommen vorbei und auch Eltern mit ihren kleinen Kindern. Tom kommt seit fast zwei Jahren mit seinem Vater in den Kreativgarten. Gemeinsam bewirtschaften sie ein drei Quadratmeter großes Hochbeet. Und so kennt sich der Erstklässler natürlich gut auf dem Gelände aus, als er an einem Mittwochnachmittag mit seiner Hortgruppe die Werkstatt besucht. „Das ist meine Rote Bete, hier sind Karotten und dort ist Dill und Rhabarber“, erklärt der Sechsjährige seinen Spielkameraden stolz. Viele von ihnen sind zum ersten Mal im Kreativgarten. Die Erzieherinnen aus der katholischen Bonifatiusschule kommen jede Woche mit einer ihrer elf Gruppen vorbei, um Häuser zu bauen oder Kräuter zu erkunden. „Was Kathrin Milan hier aufgebaut hat, ist großartig“, sagt Pädagogin Katrin Reiher. „Sie traut den Kindern so viel mehr zu als deren Eltern. Viele Jungen und Mädchen können nicht mal mit einem Messer schneiden, hier bekommen sie eine Säge in die Hand, bauen etwas und kommen mit Dreck in Berührung. Das ist quasi das Kontrastprogramm zu den virtuellen Computerspielen.“