Zwei Hamburgerinnen erlebten mit ihren narzisstischen Partnern eine psychische Achterbahnfahrt. Sie gründeten eine Selbsthilfegruppe

Für Andrea L.* begann die Beziehung beinahe märchenhaft. Als sie sich vor einigen Jahren in den attraktiven Tom U.* verliebte, glaubte sie, ihren Traummann gefunden zu haben. Der offenherzige und aufmerksame Mann warb mit großzügigen Einladungen und Geschenken um die alleinerziehende Mutter zweier Kinder. Nach rund zwei Jahren Partnerschaft heirateten die beiden und zogen zusammen. Ab diesem Zeitpunkt veränderte sich das Verhalten ihres Mannes ihr gegenüber gravierend.

„Auf einmal machte er mir Vorwürfe, war voller Eifersucht, sobald wir anderen Männern begegneten. Ich war völlig überrascht, denn es gab überhaupt keinen Anlass dafür“, sagt Andrea L. Anfangs entschuldigte sie diese zunächst nur gelegentlichen Entgleisungen ihres Mannes mit seiner Vorgeschichte, „er hatte ja auch eine Scheidung hinter sich“, sagt Andrea L. Doch er wurde immer misstrauischer. Er kontrollierte sie, versuchte sie von Freunden und Familie zu isolieren und beschimpfte sie wegen Nichtigkeiten. Es ging so weit, dass er glaubte, sie würde nachts aufstehen, um heimlich mit einem anderen Mann zu telefonieren oder zu mailen. „Mit all meinen Klärungsversuchen erreichte ich ihn nicht, er wandte sich ab und redete tagelang nicht mehr mit mir“, erinnert sie sich. Darauf folgten Phasen, in denen er ihr überschwänglich seine Liebe beteuerte. Die wiederhergestellte Nähe versöhnte Andrea L. zunächst, doch unterschwellig spürte sie, dass in ihrer Beziehung etwas nicht stimmt. Als die Beschimpfungen ihres Mannes immer häufiger wurden und sie körperlich unter zunehmender Übelkeit und Angstattacken litt, suchte sie eine Psychologin auf. „Ich schob die Symptome erst mal auf Stress bei der Arbeit.“ Doch die Therapeutin öffnete ihr die Augen. „Sie erklärte mir, dass mein Partner Zeichen einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung aufweise und ich nur eine Chance habe, aus dieser Beziehung herauszukommen: die Sachen zu packen und zu gehen.“ Sie konnte es zunächst nicht glauben, dass sie in einer sogenannten toxischen Beziehung mit einem narzisstischen Partner lebt, für den ausschließlich seine eigenen Befindlichkeiten eine Rolle spielen.

„Narzissten sind selbstbezogene Menschen, die stark geltungsbedürftige Wesensmerkmale aufweisen“, sagt Psychiaterin Christa Roth-Sackenheim vom Berufsverband Deutscher Psychiater. Die Selbstbezogenheit dient dazu, das innere Gleichgewicht sowie den Selbstwert aufrechtzuerhalten. Das ist nicht zwangsläufig krankhaft. Doch es gibt extreme, unflexible Ausprägungen. „Krankhafte Narzissten versuchen ihr brüchiges Selbstwertgefühl mit einem überhöhten Selbstkonzept von Großartigkeit, Überlegenheit sowie Verachtung gegenüber anderen Menschen zu kompensieren“, so die Medizinerin.

Verachtung gegenüber ihrer Person erlebte auch Sabine P.* „Mein Partner trat immer perfekt und makellos auf, was ich bewunderte. Zugleich war nur wichtig, was er wollte und dachte. Er suggerierte mir, wie ich zu sein hätte, damit er mit mir leben kann. Und ich versuchte ständig, seinen hohen Ansprüchen zu genügen“, sagt Sabine P. Oft habe sie sich klein und unfähig gefühlt. Dann lobte er sie wieder mit großen Worten als „die tollste Frau der Welt“. „Ich befand mich in einem Strudel von Idealisierung und Abwertung“, sagt sie. Erst als ihr Partner sie wegen einer anderen Frau verließ, erkannte sie, wie sich die psychische Achterbahnfahrt auf sie ausgewirkt hatte.

„Ich lebte während der Beziehung in einem emotionalen Dauerstress.“ Es war ihr Partner, der sie mit seiner Verachtung in einen Strom von selbstabwertenden Gedanken hinabzog und sie mit seinen überschwänglich lobenden Worten wieder aus dem Tief herausholte. „Ich war wie abhängig von seinem Verhalten und fühlte mich nun wie auf einem Entzug.“ Es dauerte mehr als ein Jahr, um sich aus dieser inneren Spannung zu befreien. Mit therapeutischer Hilfe gelang es ihr, „meinen eigenen Wert zu finden“, sagt sie heute. Die Verarbeitung dieser Erfahrung hat sie viel Energie gekostet. „Doch der Prozess hat mir auch unheimlich viel Kraft gegeben“, berichtet Sabine P.

So erging es auch Andrea L. Als sie merkte, dass sie die Vorhaltungen, Verdrehungen von Tatsachen und Drohungen ihres Mannes nur noch mit Alkohol ertragen konnte, zog sie die Reißleine. „Ich musste heimlich ausziehen, er hätte mich nicht gehen lassen“, sagt sie. Sie bereitete ihre Flucht sorgfältig vor und schrieb ihrem Mann nach ihrem Auszug per E-Mail, dass sie ihn verlassen müsse. Er reagierte mit Drohungen, aber auch mit flehenden Bitten, sie möge zurückkommen, willigte später in die Scheidung ein. Ebenso wie für Sabine P. begann auch für Andrea L. nach der Trennung ein langer Weg der Genesung.

„Ich fiel zunächst in ein tiefes Loch und war körperlich total erschöpft. Es fühlte sich fast ein Jahr lang an, als trüge ich einen schweren Sack auf den Schultern“, so Andrea L. Sie setzte ihre Therapie fort, las in Büchern und Internet alles zum Thema Narzissmus und tauschte sich in Foren mit anderen aus, auch mit Sabine P. „Es war hilfreich, mit anderen Betroffenen über ähnliche Erfahrungen zu sprechen, und weil es in Hamburg keine Selbsthilfegruppe gab, wohl aber viele Betroffene, beschlossen wir, eine Gruppe zu gründen“, sagt An­drea L. Die beiden Frauen wandten sich an die Kontakt- und Informationsstellen für Selbsthilfegruppen in Hamburg (Kiss Hamburg). Dort erhielten sie Hilfe bei der Gründung ihrer Gruppe „Toxische Beziehungen“. „Eine Selbsthilfegruppe ist ein freiwilliger Zusammenschluss von Menschen, die von der gleichen Lebenssituation oder Krankheit betroffen sind. In regelmäßigen, vertraulichen Treffen unterstützen sich die Betroffenen durch gemeinsame Gespräche und Aktivitäten und helfen sich so, ihre besondere Situation zu bewältigen“, sagt Christa Herrmann, Leiterin von Kiss Hamburg.

„Unsere Gruppe richtet sich an Frauen, die Ähnliches erlebt haben, die ihre traumatisierenden Erlebnisse verarbeiten und sich aus der toxischen Beziehung lösen möchten“, sagt Sabine P. Der Austausch könne auch dabei helfen, tiefer liegende seelische Verletzungen aufzuspüren. „Es geht nicht darum, den ehemaligen Partner zu verteufeln, sondern zu schauen, wo die eigenen wunden Punkte liegen, an denen der Partner andocken konnte“, ergänzt Andrea L. Diese Erkenntnis, sind sich beide Frauen einig, berge auch die Chance, alte innere Verletzungen zu überwinden und das Selbstbewusstsein zu stärken. Sie sind selbst auf diesem Weg und möchten andere Frauen dabei unterstützen. (*alle Namen geändert)

Frauen, die an der Gruppe „Toxische Beziehungen“ teilnehmen möchten, melden sich bei Kiss Hamburg unter Tel. 39 57 67 (Mo–Do 10 bis 18 Uhr). Unter dieser Nummer sowie in den vier Kontaktstellen der Organisation können sich Interessierte auch über andere Selbsthilfegruppen informieren. Zurzeit gibt es rund 1300 Selbsthilfegruppen für viele Lebenslagen in Hamburg. Träger von Kiss ist der Paritätische Wohlfahrtsverband. Weitere Infos: www.kiss-hh.de