Hamburg. Gebrauchtes aufarbeiten – das ist das Ziel von Nutzmüll e.V. in Bahrenfeld. Das gibt auch Arbeitslosen wieder Sinn in ihrem Alltag.

Klaus-Peter ist ein Mensch, der gerne zupackt. Der hagere Mann mit den kräftigen Armen gräbt auf dem Gelände von Nutzmüll e.V. in Bahrenfeld die Erde für ein neues Beet um. „Ich bin hier für die komplette Gartenpflege zuständig“, sagt der 57-Jährige. Dabei ist er gar kein ausgebildeter Gärtner, sondern gelernter Schlachter. Er war zunächst im Einzelhandel beschäftigt, dann viele Jahre für den Hamburger Hafen in der Logistik tätig. „Bis zu meinem Unfall 2010. Da hat man bei einer Untersuchung zufällig einen Hirntumor bei mir entdeckt“, sagt er. Es folgten lange Krankenhausaufenthalte und Reha-Phasen. Doch nach ersten Heilerfolgen war der Tumor wieder da.

Das bedeutet erneute Chemo- und Strahlentherapie. Jeden Morgen. An manchen Tagen geht es ihm danach sehr schlecht, aber nicht immer. Dann möchte er nichts anderes als arbeiten. „Ich brauche das, sonst fällt mir die Decke auf den Kopf“, sagt er. Für ihn und andere Menschen, die nicht voll arbeitsfähig sind, gibt es das Projekt „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ bei Nutzmüll e.V.

Klaus-Peter kümmert sich um den Garten
Klaus-Peter kümmert sich um den Garten © Andreas Laible | Andreas Laible

„Das Programm wurde von der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles (SPD), aufgelegt und wendet sich an arbeitslose Menschen in besonderen Problemlagen, die keine Chance am ersten Arbeitsmarkt haben“, erklärt Susanne Franke, Projektleiterin und Geschäftsführender Vorstand von Nutzmüll. Insgesamt 20 Stellen bietet der Verein in diesem Programm an. Neben Mitarbeitern mit körperlichen Einschränkungen gehören auch Alleinerziehende mit mehreren Kindern zu den Beschäftigten.

Langsam an Arbeitswelt gewöhnen

Die Arbeitszeit dauert von acht bis maximal 14 Uhr. „Die Menschen können sich langsam wieder in die Arbeitswelt eingewöhnen und sich neu orientieren“, sagt Susanne Franke. Sie brauchen keine Fachkenntnisse. „Es reicht die Motivation“, so die ausgebildete Tischlerin. Die Aufgaben sind unterschiedlich, je nach dem, was anfällt. Und das ist viel. Denn der Verein engagiert sich nicht nur sozial, sondern auch für die Umwelt. Er sammelt Müll. Genauer gesagt: Gebrauchte Gegenstände und Wertstoffe, die zum Wegwerfen zu schade sind. Von Kleiderresten bis Fahrradschläuchen, von Holzlatten bis Computerteilen. Alles kann gespendet werden.

Kunden mit wenig Geld sind willkommen

Aus den vielen Dingen, die eingehen, können die Mitarbeiter von Nutzmüll wieder etwas Brauchbares machen. Dazu gibt es in der Sammelstelle in Bahrenfeld, in einer alten Eisfabrik aus den 1950er Jahren, mehrere Bereiche, wie die Holzwerkstatt mit Tischlerei und Polsterei, die Textilwerkstatt und die Fahrradwerkstatt. Hinzu kommen an zwei weiteren Standorten des Vereins, der vor 33 Jahren als Bürgerinitiative gegen die Wegwerf-Gesellschaft entstand, noch eine Computerwerkstatt. Und die Gruppen der Naturschutzhelfer und Stadtteilpfleger werden in Hamburger Parks eingesetzt. In all diesen Bereichen bietet der Verein zusätzlich 204 Jobgelegenheiten für Langzeitarbeitslose an. Sie erhalten für ihre Arbeit eine Aufwandsentschädigung.

In den Werkstätten wird mit viel Kreativität gearbeitet. So werden aus alten Fahrradschläuchen Taschen oder Fußmatten hergestellt, aus Fahrradfelgen Sessel gebaut und aus Textilresten vor allem neue Kinderkleider genäht. Es gibt aufgearbeitete Holzmöbel und wieder flott gemachte Fahrräder. All das wird zu günstigen Preisen vor Ort oder in Kooperationsläden an bedürftige Menschen verkauft. Auch bei Nutzmüll direkt können Menschen mit Nachweisen zu Sozialhilfe, Bafög, Rente oder anderen niedrigen Einkommen etwas kaufen. „Wir freuen uns über alle, die zu uns kommen und über alle, die uns etwas spenden“, sagt Susanne Franke.

"Wir können alles gebrauchen"

Ob Bettwäsche, Stoffreste, Vollholz- oder Polstermöbel, gebrauchte PCs oder Tastaturen, „wir können hier alles gebrauchen“, sagt Helga Detjens. Sie ist im Verein für die Koordination der Transporte von Spenden angestellt und zudem als Anleiterin im Projekt „Soziale Teilhabe“ tätig. In ihrem Arbeitsraum stehen in einer Ecke zwei zu Rollstühlen umgebaute Einkaufswagen. In der Mitte des Raumes stapeln sich Posterrahmen. „Die haben wir heute abgeholt, aus einem Bücherladen, der aufgelöst wurde“, sagt Helga Detjens. Ebenso wie jede Menge Bücher. Die sortiert Karl-Heinz, genannt Kalle (60), schon den ganzen Vormittag in die Buchregale ein. „Ich bin eine Leseratte, interessiere mich für Zeitgeschichte und Politik“, sagt der gelernte Stahlbauschlosser, der lange zur See fuhr.

Kalle humpelt zum nächsten Regal. Sein Fuß wurde amputiert. „Nach einer Thrombose, die zu spät erkannt worden ist“, sagt er. Seit 2009 ist er schwerbehindert. Langes Laufen fällt ihm schwer. „Wenn ich hier arbeite, habe ich eine Prothese an, doch weil die nach längerer Zeit schmerzt, sitze ich nach der Arbeit im Rollstuhl“. Aber das ist für ihn kein Grund, ganz zu Hause zu bleiben. „Da war ich lange genug, ich möchte unbedingt was tun“, sagt er. Er sieht wenig Chancen auf Wiedereinstellung in einen festen Job und ist froh über diese Tätigkeit, für die er jeden Tag mit dem Bus von Billstedt nach Bahrenfeld fährt, die Wege läuft er mit Stützen.

Mit dem Job zufrieden

Zufrieden mit seinem Job ist auch Rüdiger (62) aus der Fahrradwerkstatt, die zum Programm der Arbeitsgelegenheiten für Langzeitarbeitslose gehört. Jürgen ist gelernter Trockenbauer, war lange auf Montage. „Dann wurde die Firma geschlossen“, sagt er. Und er bekam nur noch Hilfsjobs und Maßnahmen vom Arbeitsamt. „Auf dem Amt hat man mir gesagt, ich bin nicht mehr vermittelbar, in meinem Alter. „Doch die Arbeit hier macht mir so viel Spaß, dass ich das Arbeitsamt darum gebeten habe, die Maßnahme zu verlängern, die haben sich gewundert, es aber genehmigt“, freut er sich. „Das soziale Miteinander mit den Kollegen in den verschiedenen Projekten tut allen sichtbar gut“, sagt Susanne Franke. Die Arbeit gebe wieder Struktur in den Tag und lasse andere Sorgen etwas nach hinten rücken, hat sie beobachtet. „Die Menschen erleben, dass sie hier gebraucht werden“, so Helga Detjens. „Das ist ein sehr gutes Gefühl“, bestätigt Klaus-Peter.

Kontakt: Sammelstelle Nutzmüll e.V., Boschstr. 15b, Tel. 890 663 28, kontakt@nutzmuell.de, www.nutzmuell.de Geöffnet (Mo–Fr): 8– 15 Uhr