Ungemütliche Bänke, Unkraut und Unvermögen: Auf vielen Freiflächen der Stadt, wo das Leben toben soll, herrschen Ödnis und Ideenarmut. Eine Bestandsaufnahme von Matthias Iken und Roland Magunia (Fotos)
Das muss man einem Weltkulturerbe erst einmal nachmachen: Jahrelang hatte die Hansestadt darum geworben, in die prestigeträchtige Liste der Unesco aufgenommen zu werden. Direkt vor den ausgezeichneten Meisterwerken des Backstein-Expressionismus – dem Chilehaus, dem Mohlenhof und dem Sprinkenhof – liegt der Burchardplatz. Anderswo wäre dieser Platz ein Postkartenmotiv, ein Ort zum Verweilen und Vorbeischauen, ein gastronomisches Kleinod. In Hamburg ist er ein Parkplatz.
Und was für einer: Den Platz mögen Ikonen der Baugeschichte begrenzen, in der Mitte aber wuchert das Unkraut am Rande des Asphalts. Architektonische Höhepunkte des Burchardplatzes sind bemalte Stromkästen und Fahrradbügel. Wie gut, dass man sie vor lauter Zweite-Reihe-Parkern kaum sieht.
Das Drama vom Burchardplatz ist ein Klassiker in Hamburg, in den Vierteln wie der City fremdeln die Menschen mit ihren Plätzen. Sogar auf dem stolzen Rathausmarkt. Eigentlich war er mit der Kleinen Alster, den Alsterarkaden und der großen Treppe zum Wasser hin dem Markusplatz in Venedig nachempfunden; in seiner hilflosen Bespielung aber ähnelt er eher Wanne-Eickel. Napoleon nannte den Markusplatz den „schönsten Salon Europas“, doch was würde er zum Rathausmarkt sagen? Die „Zeit“ lästerte über einen „Eventplatz von ästhetischer Abwegigkeit und Verhunzungsfuror“. Das mag überzogen sein, aber die Hamburger sind mit ihrem wichtigsten Bürgerplatz nie so recht warm geworden – die Pavillons am Rande sind touristische Durchlauferhitzer, es fehlen Flächen zum Niederlassen, der Rathausmarkt bietet viel Raum, aber wenig Platz.
Dabei wollte der damalige Bürgermeister Hans-Ulrich Klose den früheren Verkehrsknotenpunkt zu einem echten Platz aufwerten, sein Auftrag lautete: „Macht es mit Würde! Der Platz muss mit Anstand leer sein können.“ Was folgte, war ein Aufstand: Die 83.000 rötlich-grauen Granitplatten aus Westschweden empörten die Hamburger. Von „Pomp auf Pump“ war die Rede, von „Kloses rotem Platz“; immerhin aber blieben die Umbauten exakt im Kostenplan von 38,5 Millionen Mark. Der Platz wurde durch den Umbau 1982 besser, aber wurde er gut? Es wirkt wie eine Aufmarschfläche mit touristischer Randbebauung: Souvenirs, Schals, Pommes und Moravia (!) Pils, Tinnef und Tand unter einem Glasdach, als stünde man auf einem zugigen Bahnsteig. Vor wenigen Tagen kam heraus, dass die Glasdächer der denkmalgeschützten grünen Pavillons einsturzgefährdet sind. Es besteht also noch Hoffnung. Immerhin: Die Architektur des Rathauses überstrahlt die Tristesse des Marktes.
Hamburgs scheidender Oberbaudirektor Jörn Walter sieht Hamburgs Platzkultur kritisch: „Barcelona, Rom oder Amsterdam können das besser“, sagt er. Walter definiert, was einen guten Platz ausmacht: „Die Proportionen müssen stimmen. Wenn Sie auf dem Platz stehen, und Sie sehen mehr Wand als Himmel, bekommen Sie ein intimes Platzgefühl.“ Dominiere indes der Himmel, gehe dieses Gefühl und damit die Aufenthaltsqualität verloren. So bewertet er den Rathausmarkt, aber auch den Gänsemarkt oder den Großneumarkt durchaus positiv. „Hier stimmen die Proportionen.“ Kritisch hingegen sieht er den Burchardplatz: „Die Nutzung als Parkplatz macht ihn unwirtlich. Die Umgestaltung ist eine überfällige Aufgabe“, sagt Walter.
Die alten Griechen hatten ihre Agora, die Römer ihr Forum, die Hamburger ein Problem. Selbst Hamburgs Keimzelle, der Domplatz, ist eine Leerstelle. Hier stand bis 1805 eine gotische Basilika, die Zeitgenossen als „ungeheure, dunkle, fürchterliche Höhle“ beschrieben – nach dem Reichsdeputationshauptschluss wurde die Kirche abgebrochen. Der Folgebau, das Johanneum, fiel im Zweiten Weltkrieg; die Reste wichen, der Leser ahnt es, einem Parkplatz. Der Landschaftsplaner Hinnerk Wehberg kreierte für diese Brache im Herzen der Stadt den Begriff „Trümmerrestzwischennutzungsgrundstück“.
Erst Jahrzehnte später wagte sich die Stadt an eine neue Bebauung – doch der Kristall, der in einem Glaskörper die Zentralbibliothek unterbringen sollte, scheiterte am Widerstand der Hamburger. Stattdessen entschied sich Hamburg für ein weiteres Provisorium. Eine Diskussion im Internet ergab den Wunsch nach einem grünen „Archäologie-Park“ – und das ist er auch geworden: 39 weiße Acrylkissen symbolisieren die Pfeiler des Mariendoms, Wallfragmente aus Stahl die Umrisse der Domburg. Immerhin nehmen die Hamburger diesen begrünten Platz am Fuße des Biergartens Hofbräu München an, in sonnigen Mittagspausen ist jeder Platz besetzt. Trotzdem fehlen dem Domplatz die Einfassung und die Pflege; Teile des Rasens sind verbrannt, Unkraut wuchert. „Der Domplatz ist in seiner jetzigen Form eine Lücke – das kann keine Dauerlösung sein“, sagt Walter. „Er stoppt die Verbindung in die HafenCity.“
Noch unwirtlicher präsentieren sich andere Innenstadt-Plätze: Der Ida-Ehre-Platz unterhalb einer namenlosen Skulptur des Künstlers Hans-Joachim Frielinghaus, die Unbekannte beschmiert und beklebt haben, ist eine Zumutung. Die wenigen Sitzmöbel sind unbequem, lehnen- und seelenlos, der Raum zum Verweilen ist privatisiert worden: Das ist kein Ida-Ehre-Platz, sondern ein McDonald’s-und-Schanzenbäcker-Platz – eine Schande für das Andenken an die große Schauspielerin und Ehrenbürgerin. Aber warum sollte es ihr besser ergehen als Heidi Kabel am Hauptbahnhof, Arno Schmidt am Hühnerposten oder den Beatles auf St. Pauli? Selbst der Platz der Deutschen Einheit am Kaiserkai wirkt wie ein armer Verwandter der reichen Elbphilharmonie.
Der Name des Dramatikers Gerhart Hauptmann wird für den Platz zwischen Karstadt und HSH Nordbank missbraucht. Zwar spielt die Fläche auf verschiedenen Ebenen, sie überwindet die Leere aber nicht. Nur einen Steinwurf von der Mö entfernt regiert Ödnis, Karstadts Schaufenster sind fast leer, seltsame Zweisitzer und noch seltsamere Einsitzer stehen unmotiviert auf dem Platz. Wollen Hamburger stets ihre Ruhe haben? Zumindest lockern ein Brunnen und die Gastronomie den Platz etwas auf.
Auf dem benachbarten Gertrudenkirchhof, wo derzeit das Umspannwerk Mitte erneuert wird, klafft die nächste Platz-Wunde. Zwei Gaststätten haben auf den erhöhten Platz, der nicht einmal gepflastert ist, Tische gestellt, dahinter können Kinder auf einem gefalteten Holzband turnen. Eine Zumutung ist der Rest vom Hopfenmarkt, einst ein spektakuläres Stück Stadt, das der Krieg und die Ost-West-Straße gemordet haben. Eine grobschlächtige Steinmauer begrenzt den Parkplatz. Das Unkraut wuchert zwischen den Steinplatten, die Hecken wachsen über die Bänke. Ein kleines Schild wirkt wie Hohn: „Grünpate E.on Hanse“. So schlecht kann es nicht einmal Versorgern gehen.
Park Fiction ist gelungen, weil man Anwohner beteiligt hat
Beim Gänsemarkt gibt es zumindest Hoffnung, der Platz wird wieder einmal umgestaltet, die Pflasterarbeiten sind fast fertig. Er hat ein anderes Problem: Gleich fünf Passagen münden in den Platz. Wer als Konsument stets in künstliche Einkaufszentren gezwungen wird, verliert vielleicht das Gespür für die Ästhetik Freiraum.
In den Stadtteilen das gleiche Bild: Der Hans-Albers-Platz ähnelt eher einer Betonwüste als einer Freifläche – zwar durfte Jörg Immendorff seine Bronzeplastik des blonden Hans hier errichten, der Rest ist architektonische Abschreckung: Der Asphalt bricht, die Poller stehen schief, ein einsamer Baum betont noch die völlige Abwesenheit von Grün. Auch der Hein-Köllisch-Platz lebt mehr von den Altbauten am Rand als der Gestaltung. Granitplattenbahnen, seltsame Steine als Kunstwerke geben dem Platz keinen rechten Halt. Und den Hydranten als Wasserspender hat die Stadt abgestellt – aus Kostengründen.
In Ottensen gibt es ebenfalls Verbesserungsbedarf: Der Spritzenplatz oder der Alma-Wartenberg-Platz funktionieren nicht wegen ihrer Gestaltung, sondern trotz der hilflosen Möblierung und des lieblosen Pflasters.
Der Joseph-Carlebach-Platz im Grindelviertel, auf dem bis 1940 die Bornplatzsynagoge stand, leidet an einem weiteren Hamburger Problem: Auch ohne Autos sieht man noch immer seine alte Bestimmung, den ehemaligen Parkplatz. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Haben lauschige Plätze in Hamburg keinen Platz? Hat die Stadt Platz-Angst? Gibt es überhaupt ein Problembewusstsein? Auf der stadteigenen Website dichtet man selbstverliebt über die Freiflächen der Stadt: „In Hamburg hat man gelernt, draußen zu sitzen. Sein Mineralwasser, seinen Labskaus außerhalb der eigenen vier Wände zu sich zu nehmen. Gleichzeitig betonen diese Plätze die einzelnen Stadtquartiere, machen sie schöner und wohnlicher.“ Der Wahrheitsgehalt darf angezweifelt werden – schöne und wohnliche Plätze trifft man so häufig wie Open-Air-Labskaus.
Die funktionierenden Plätze stechen allein deshalb heraus, weil sie so untypisch sind – Park Fiction auf St. Pauli ist so einer. Eigentlich war hier am Pinnasberg ein weiteres Büro- und Wohnhaus vorgesehen, das im Stadtteil auf erbitterten Widerstand stieß. Die Menschen wollten 1994 einen Park – und bekamen ihn ein Jahrzehnt später; Künstler und Anwohner brachten Ideen ein und verwirklichten sie. So bietet Park Fiction ein wellenförmiges Rasenstück, den sogenannten Fliegenden Teppich, Basketballkörbe sowie Palmeninseln. Ein Park, in dem man verweilen möchte. Und der auch Lob von ganz oben bekommt. „Park Fiction ist eine große Leistung aller Beteiligten“, sagt Oberbaudirektor Walter. Hier haben sich Anwohner einen Gemeinschaftsgarten geschaffen.
Die Erfolgsgeschichte reimt sich übrigens mit der des Kemal-Altun-Platzes in Ottensen. Auch hier verhinderten Anwohnerproteste eine Bebauung; die Gestaltung mit Spiel- und Bolzplatz, Sprühwand, Hundeauslauffläche und Liegewiese nahm die Bedürfnisse der Anwohner auf.
Gelungen sind auch die platzähnlichen Terrassen in der HafenCity – ob Magellan- oder Marco-Polo-. Sie leben vom Wechselspiel zwischen Wasser und Architektur, von Schiffen und Bäumen, hellem Pflaster und plastischen Mauerziegeln, den Höhenunterschieden. Jede Stufe kann eben auch eine Bank sein.
Am Schulterblatt mit seiner Piazza gegenüber der Roten Flora pulsiert das Leben. Und auch der Jungfernstieg wird seit der Modernisierung 2006 viel besser angenommen als früher – die großzügige Treppenanlage erschließt die Fläche hin zur Binnenalster. Es geht also. „Diese besonderen Wasserplätze machen Hamburg aus“, sagt Walter. „Sie schaffen Weite, sind ein Hamburger Spezifikum – und vielleicht auch der Grund, warum es hier wenig klassische Stadtplätze gibt.“
Oftmals aber dürfte es in Hamburg an Interesse mangeln, die Flächen zu beleben. Der Streit um das sogenannte „Cornern“, die nächtlichen Treffen Jugendlicher an Straßenecken, wird zusehends zum Ärgernis, Anwohner ziehen schnell vor Gericht. Und beschaut man sich das Möblierungs-Design mit den Schalensitzen, Trenngittern und Rundungen, ahnt man: Sie sind so unbequem gehalten, damit sich kein Obdachloser freiwillig dort über Nacht niederlässt.
Zudem haben viele Freiflächen in der Hansestadt andere Aufgaben, als zu gefallen: Sie sollen Event- und Marktflächen sein, die sowohl Weihnachtsmärkte beherbergen sollen als auch Sportveranstaltungen oder Konzerte. Auch die Historie hat Hamburg die ganz großen Plätze verwehrt – die stolze Bürgerstadt ohne König, Kaiser und barocke Phase verlangte nie nach üppigen Repräsentationsflächen.
Vieles, was Platz heißt, ist nur noch ein Verkehrsknotenpunkt
Zudem sind die Plätze das Ergebnis einer Ideologie, die Städte als autogerechte Metropolen zugerichtet hat. Viele Plätze sind als solche gar nicht mehr zu erkennen, sondern zu Kreuzungen verkommen: Sie sollten nicht mehr Flächen zum Austausch der Menschen sein, sondern wurden zu Verkehrsknotenpunkten für Autos degradiert. Wer hält den Deichtorplatz noch für einen Platz? Oder die Esplanade? Sie war einst ein Ensemble, heute ist nur eine Straße geblieben.
Auch in der Verwaltung läuft einiges schief, wie Jörn Walter vor längerer Zeit schon kritisierte: „Wir haben uns Strukturen geschaffen, die nicht dazu neigen, von sich aus den Raum als eine Einheit zu begreifen.“ Einer sei für die Straße, der Nächste für Papierkörbe, ein Dritter für die Bäume und ein Vierter für das Licht verantwortlich. Wolfgang Peiner sieht ebenfalls Probleme in den Zuständigkeiten und empfiehlt ein Mittel, das zu Unrecht kritisiert werde – die Einbindung von Nachbarn und Investoren, um die Kreativität der Lösungen zu verbessern und auch Geld für Investitionen und Unterhalt zu mobilisieren. „Mit dem Business Improvement District wurde 2005 für Hamburg ein Instrument geschaffen, das dieses Zusammenwirken ermöglicht.“ Am Sachsentor in Bergedorf, am Wandsbeker Markt, am Neuen Wall und im Nikolaiviertel sieht er erfolgreiche Beispiele. „Aber es gibt noch viel zu tun.“ Wer will ihm da widersprechen?