Seit Jahren boomt Vinyl wieder, auch in Hamburgs Plattenläden. Grund für die Redaktion, zum Record Store Day am 22. April in ihrer privaten Diskothek zu stöbern

Für das ideale Leben mit einem eigenen Plattenladen keimte schon Mitte der 90er-Jahre ein kleines bisschen Hoffnung in all den gemütlichen, etwas geschwätzigen, kulturgeschichtlich aber durchaus bewanderter Zeitgenossen dieser Welt. Dank Rob Fleming, Top-5-Listen bastelnder Besitzer von Championship Vinyl und Hauptfigur in Nick Hornbys Erfolgsroman „High Fidelity“, erschien es wieder erstrebenswert statt existenzbedrohend, den ganzen Tag mit Conaisseuren des Pop abzuhängen, dauernd über Musik zu parlieren, viel zu rauchen und die eher lästige Kundenfrage „Hast du Soul?“ mit einem spitzfindigen „Kommt ganz drauf an“ zu beantworten. „High Fidelity“ löste 1995 einen kleinen Hype um die Popkultur im Allgemeinen und die darin verankerten Plattenläden im Besonderen aus. Dabei galt das Geschäft mit der Schallplatte schon damals als mausetot.

Mehr als 20 Jahre, etliche CDs, MP3-Börsen und Streamingdienste später muss das Sterben des traditionellen Trägermediums Vinyl weiter verschoben werden. Während die Kassette fast verschwunden ist, boomt die Schallplatte. Zuletzt zogen die Verkäufe republikweit an, 2016 wurden laut Bundesverband Musikindustrie 3,1 Millionen Stück veräußert, eine Million mehr als im Vorjahr. Analog dazu verkauften Elektronikhändler 106.000 fabrikneue Plattenspieler, ein Zuwachs von 33 Prozent. Nahezu alle Medien jubeln deshalb schon über die Rückkehr der Schallplatte. Auch der zur Unterstützung der Plattenläden ins Leben gerufene „Record Store Day“ am kommenden Sonnabend feiert schon seine zehnte Auflage und wird mit einer Liste spezieller Pressungen wieder etliche Musikfans in die Verkaufsstellen ziehen.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass der anhaltende Vinyl-Boom ein Nischengeschäft bleibt, nur 4,4 Prozent des Gesamtmarkts ausmacht und den Tod einiger Hamburger Plattenläden nicht verhindern konnte. Knapp 30 inhabergeführte Spezialgeschäfte halten sich aber in der Stadt, von der nicht wenige behaupten, sie weise zwischen Karoviertel, Schanze und St. Pauli die bundesweit höchste Dichte, größte Qualität und erstaunlichste Vielfalt an Plattenläden auf. „Oberes Weltniveau“ schrieb Gereon Klug, Gründer des Plattenladens Hanseplatte, neulich für „Geo“.

Ob Selekta am Schulterblatt (Reggae), Groove City an der Marktstraße (Funk & Soul), Smallville an der Hein-Hoyer-Straße (Elektro), Remedy am Stellinger Steindamm (Metal) oder all die anderen sehenswerten Verkaufsstuben – „jeder Plattenladen ist wie eine Persönlichkeit, er verfolgt ein Konzept, ist Futterstelle und Badeplatz“, hält Viktor Marek im Vorwort des Bildbands „Recorded – Live in Hamburgs Plattenläden“ fest. Die darin gezeichneten Por­träts machen deutlich, dass es sich um Überzeugungstäter handelt, die nicht gerade die Lizenz zum Gelddrucken haben – wieder erwärmte Vinylleidenschaft hin oder her. Ohne Internetbörsen wie Dis­cogs würde es vielerorts nicht gehen.

Fast 500 Plattenläden in Deutschland bleiben aber faszinierende Orte für Liebhaber. Als Relikte belächelt zeugen sie nun wieder vom Zeitgeist. Übrigens nicht nur am Record Store Day, sondern an jedem Verkaufstag. Weil viele Musik wieder anfassen wollen. Und weil es einfach seltsam klingt, wenn man nur noch fragen kann: Weißt du noch, wo du dein erstes Album runtergeladen hast?

Am Record Store Day (22. April) teilnehmende Shops: About Songs & Books, Schwenckestraße 68; Back Records, Wohlwillstraße 24; Freiheit & Roosen, Kleine Freiheit 80; Hanse CD, Große Bleichen 36; Michelle Records, Gertrudenkirchhof 10; OTAKU records, Bleicherstraße 3; Plattenkiste, Gärtnerstr. 16; Remedy Records, Stellinger Steindamm 2; Selekta Reggae Record Shop, Schulterblatt 18