Bestattungen, Erinnern und Gedenken haben sich dem gesellschaftlichen Wandel angepasst. Erlaubt ist fast alles, was gefällt

Ein Kuscheltier aus Papas Pullovern geschneidert, das gemeinsame Eheleben als berührender Video-Zusammenschnitt, Omas Leben als Geschichte aufgeschrieben oder Beruhigungspastillen aus Bachblüten und Verhaltenshilfen auf Büttenpapier in einer Notfall-Box – wenn der Tod ins Leben eindringt, ist die Trauer groß und das Angebot an Bewältigungsmechanismen längst vielfältig. Das zeigte jedes Jahr eine Messe in Hamburg zu dem Thema.

„Dein Leben verdient ein Happy End“, lautet die frohe Botschaft an die Besucher, die sich auch im kommenden Herbst unter anderem wieder die neuesten Trends bei Grabsteinen, Urnen und Gedenksteinen anschauen können. Egal ob künstlerisch gestaltet, aus Glas oder Metall, mit einer Zusatzfunktion als Verbindung zum Internet und einem dort eingerichteten virtuellen Trauerraum, den Gestaltungswünschen zur letzten Ruhe sind kaum noch Grenzen gesetzt. Die bunte Mischung an Dienstleistungen für Demnächst-Hinterbliebene zeigt aber vor allem eines: den Versuch, den Tod als Event zu vermarkten. Ihm durch Ästhetik, liebevolles Erinnern oder auch Distanz durch Daten den Schrecken zu nehmen.

Die ehemalige Gemeinde-Pastorin Sabine Erler findet diese Entwicklung nicht schlimm: „Menschen lassen sich nicht mehr vorschreiben, wie sie zu trauern haben“, sagt sie. „Und das ist gut so.“ Im Auftrag der evangelischen Kirche Hamburg erforscht sie den „Wandel der Trauerkultur“. War es früher zumeist den Familien und Kirchen vorbehalten, Hinterbliebenen den Tod als unausweichliche Lebenskomponente annehmbar zu machen und Trost zu spenden, sind es heute zunehmend sogenannte Sterbeammen, Reise-Begleiter, innovative Bestatter und Laien als Trauerredner, die einen Teil der Aufgaben übernehmen und die Standards setzen. Louise Brown, 42, ist so ein Mensch. Die britisch-deutsche Journalistin und Autorin lebt seit neun Jahren mit Freund und Kind in Hamburg. Zwar hatte sie sich in ihrem erlernten Beruf schon mit Tod und Trauer beschäftigt, doch als ihre Eltern 2011 kurz hintereinander starben, stand auch sie vor der Frage, wie sie die Menschen, die sie liebte, bestatten lassen wollte. Und wie sollte sie mit dem Gefühl des Verlassenseins, des Verlustes umgehen? „Trauer macht viel mehr mit den Menschen, als wir heute oft glauben wollen“, sagt sie. „Als ich davon hörte, dass es den Beruf Trauerredner gibt, sah ich in dieser Arbeit eine neue sinnstiftende Aufgabe für mich.“

Seit etwa zwei Jahren ist sie beim Bestattungsunternehmen Bade in Wedel als Trauerrednerin und Trauerbegleiterin angestellt. Mindestens zwei Stunden verbringt sie zur Vorbereitung auf ihre Rede bei den Angehörigen und hat dabei festgestellt, „dass es in diesen Gesprächen weniger um den Tod als um das Leben geht. Das finde ich sehr ermutigend und es hat etwas Tröstliches.“ Den nötigen inneren Abstand zu den Gefühlen der Trauernden kann Brown gut herstellen. „Ich fühle mit, ich höre zu, ich tröste, so gut ich kann“, sagt sie. „Ich kann den Trauernden ihren Schmerz nicht nehmen, aber ich kann versuchen, eine Brücke von den schmerzhaften zu den schönen Gefühlen zu bauen.“ Eigene Gefühle kommen später nach oben, dann, wenn sie spürt, dass sie den Trauernden mit den richtigen Worten geholfen hat, würdevoll und innig Abschied zu nehmen. „Das ist ein sehr schönes Gefühl für mich.“ In diesem Jahr moderiert sie erstmals Treffen eines sogenannten Death Cafés (Modern Life School), bei dem sich Interessierte bei Kaffee und Kuchen zum Thema Tod austauschen.

Gestorben wird schon lange nicht mehr im Kreise der Familie, sondern in Altenheimen, Krankenhäusern oder Hospizen. Immer öfter lassen sich keine Angehörigen finden, entsprechend steigt die Zahl der Bestattungen von Amts wegen. Früher waren das auf Hamburgs zweitgrößtem Friedhof Öjendorf 20 Urnen alle 14 Tage. „Inzwischen sind es über 30“, sagt Pastorin Erler. „Und es sind nicht nur die Obdachlosen.“ Schlichte Grabfelder erinnern mit Namen an diese Menschen. Die Obdachlosen-Initiative Hinz&Kunzt hat zudem einen Gedenkbaum, behängt mit Namensplaketten. Erlers Fazit: „Auch unsere Begräbniskultur ist geprägt von Privatisierung, Individualisierung und Ökonomisierung.“ Die Zunahme von Feuerbestattungen, die billiger sind als Erdbegräbnisse, bestätigen den Trend.

Dass Trauern dennoch ein elementares Bedürfnis ist, zeigt die öffentliche Anteilnahme, wenn Prominente sterben. Zuletzt war es der Tod von Hamburgs Ehrenbürger Helmut Schmidt, der im November 2015 Massen von Menschen bewegte. Das Haus des Politikers in Langenhorn sowie der Eingangsbereich des Rathauses wurden nur wenige Stunden nach Bekanntwerden seines Ablebens zu einer Gedenkstätte mit Blumen, Kerzen und Erinnerungsfotos. Und beim Staatsakt im Michel sowie der anschließenden Fahrt zum Friedhof standen Zehntausende am Straßenrand, gaben ihm das letzte Geleit. Manchmal nimmt das Gedenken fast götzenhaften Charakter an. In München schmücken seit Jahren Fans der Pop-Ikone Michael Jackson den Sockel eines Komponisten-Denkmals, der zum Memorial für den verstorbenen US-Star umfunktioniert wurde.

Und weil Trauerkultur auch immer eine Parallele zu gesellschaftlichen Veränderungen ist, nimmt die Verlagerung des Erinnerns und Gedenkens ins Internet stark zu. Soziale Netzwerke, Blogs, Chatrooms, Trauerforen, Beileid-Apps oder in einen Gedenkstatus überführte Accounts sind die Spielflächen der modernen digitalen Trauerkultur. Früher wurden am Grab Stoßgebete gehalten, heute kommuniziert man mit den Toten im Netz, indem man einen Brief schreibt oder ein Foto hinterlässt. Selbst der Friedhofsbesuch erübrigt sich. Das selbstpflegende Grab mit Wassertank, Pumpe und Sensoren sowie eingebauter Kamera simuliert per Mausklick auf der Couch Nähe.

Auch die Beisetzung selbst hat inzwischen viele Spielarten. „Die neue Trauerkultur ist nicht mehr gebunden an Konventionen“, sagt Erler. Die Angebotspalette reicht von der anonymen Beisetzung in einem Friedwald, der Champagnerdusche am Grab bis zur Billig-Verbrennung im Ausland und dem Asche-Schmuckstück auf der Anrichte. Nicht alles ist allerdings in Deutschland erlaubt, wo Friedhofszwang – außer in Bremen – herrscht.

Chinesische Designer beispielsweise treiben den Totenkult schon auf die Spitze: Dort kann man die Asche von Verstorbenen in Material für einen 3-D-Drucker umwandeln. Wer den oder die Liebste bei sich behalten möchte, kann dessen Maße zu Lebzeiten einscannen lassen und sich den aschegetreuen Nachdruck neben das Bett stellen. Über Geschmack lässt sich auch im Angesicht des Todes nicht streiten.