Die Facebook-Initiative „Deutschland findet Euch“ unterstützt die Polizei bei der Fahndung nach verschwundenen Mädchen und Jungen
Neun Tage lang wurde die 17 Jahre alte Yael aus Hamburg vermisst. Rund 216 Stunden bangten die Eltern um ihre Tochter, nicht wissend, ob etwas passiert ist. Der Albtraum jeder Mutter, jedes Vaters. Tausende Menschen teilten die Vermisstenmeldung zu Yael auf der Facebook-Seite „Deutschland findet euch“. Gaben Kommentare ab, wünschten Glück für die Suche, äußerten die Hoffnung, dass das hübsche Mädchen bald wieder auftaucht. Dann kam die gute Nachricht auf der gleichen Facebook-Seite, „dass die als vermisst gemeldete Yael nach einem eingegangenen Hinweis in einer Wohnung in Hamburg wieder angetroffen und ihren Eltern übergeben wurde. Vielen Dank an alle, die sich an der Suche beteiligt haben.“
Für Lars Bruhns, Vorstand der Hamburger „Initiative Vermisste Kinder“ und Betreiber der Facebook-Seite „Deutschland findet euch“, ist jeder gelöste Fall eine riesige Erleichterung. „In über 99 Prozent der Fälle taucht der Junge oder das Mädchen nach ein paar Tagen wieder auf“, sagt Lars Bruhns, der Jura und katholische Theologie studiert hat und die Initiative seit zwölf Jahren mit 21 Ehrenamtlichen führt.
Die meisten Vermissten sind zwischen zehn und 17 Jahre alt
In Deutschland gibt es pro Jahr rund 100.000 vermisste Kinder und Jugendliche, die meisten sind männlich und zwischen zehn und 17 Jahre alt. Oft sind Stress mit den Eltern, schlechte schulische Leistungen, Liebeskummer, Mobbing oder eine Internetbekanntschaft Gründe für das Verschwinden der Jungen und Mädchen.
Neben der Polizei sei sein Verein die einzige weitere Anlaufstelle für verzweifelte Eltern, sagt Lars Bruhns. Seine Mutter hatte den Verein 1997 gegründet. Auslöser war die Entführung der beiden Mädchen Sabine Dardenne und Laetitia Delhez durch Marc Dutroux in Belgien, an deren Schicksal auch viele Deutsche Anteil nahmen.
Vor allem durch die sozialen Medien und durch eine Kampagne der Hamburger PR-Agentur fischerAppelt, die den 36-Jährigen ehrenamtlich unterstützt, wurde die „Initiative Vermisste Kinder“ bekannt. Sie arbeitet auch mit dem Opferverein Weisser Ring, dem Internationalen Sozialdienst und anderen internationalen Hilfsorganisationen, die vermisste Kinder suchen, zusammen. „Aber unser Hauptpartner ist die Polizei, von der wir die Vermisstenanzeigen erhalten, die wir bundesweit über unsere Netzwerke weiterverbreiten“, sagt Bruhns. Neben den Bildern und Fakten über Facebook kann die Initiative auch über Infoscreens der Firma Ströer zum Beispiel an Hauptbahnhöfen und Bushaltestellen nach den Vermissten suchen.
Doch für Bruhns dauert der Weg von der Vermisstenmeldung bis zu einer Öffentlichkeitsfahndung oftmals viel zu lange. „Manchmal braucht es Tage, bis die Polizei sich an uns wendet, weil sie zuerst ermittelt, doch dann kann es für das vermisste Kind schon zu spät sein“, sagt Lars Bruhns. Über die rund um die Uhr besetzte Telefon-Hotline 11 60 00 bekommt seine Initiative bis zu 10.000 Anrufe besorgter Eltern pro Jahr. „Wir sprechen uns dann über das weitere Vorgehen eng mit den Polizisten ab, um Ermittlungen nicht zu gefährden.“
Der Zeitfaktor ist vor allem dann enorm relevant, wenn ein Kind entführt wurde. „Laut einer amerikanischen Studie haben von 700 entführten Kindern nur 78 Prozent die ersten drei Stunden überlebt. In so einem Fall haben wir eben nicht Tage Zeit, um bundesweit zu ermitteln, da ist jedes Detail wichtig und man muss blitzschnell per Öffentlichkeitsfahndung reagieren“, sagt Bruhns und erinnert an die Ermordung der Kinder Elias und Mohamed, die beide von Silvio S. entführt und am gleichen Tag von ihm ermordet wurden. „Da hätte sofort eine öffentliche Fahndung losgetreten werden müssen.“
Er plädiert für ein zentrales Melde- und Alarmierungssystem und eine Spezialeinheit der Polizei, wie es sie schon seit Jahren zum Beispiel in den Niederlanden, Belgien und auch Polen unter Namen wie „Amber Alert“ oder „Child Alert“ gibt und über die innerhalb kürzester Zeit die meisten Einwohner des Landes über die verschiedensten Kanäle wie digitale Autobahnschilder, Radio- und Fernsehsender, Handys, Internet, elektronische Anzeigetafeln und Unternehmensnetzwerke erreicht werden. „Child Alert“ wird immer dann ausgelöst, wenn ein Kind in unmittelbarer Lebensgefahr ist. „In den Niederlanden können durchschnittlich zwölf von insgesamt 16 Millionen Bürgern innerhalb einer Viertelstunde alarmiert werden“, so Bruhns. In Belgien läuft der „Child Alert“ in der Regel über einen Zeitraum von sechs Stunden. Dieser Zeitraum ist maximal dreimal verlängerbar. Die Entscheidung, ein solches Alarmierungssystem auszulösen, liegt in Belgien beim Staatsanwalt oder Ermittlungsrichter, der mit dem Vermisstenfall befasst ist, in anderen Ländern kann das auch die Polizei. „Diese Form der Öffentlichkeitsfahndung müsste bei uns den gleichen Stellenwert bekommen“, sagt Bruhns, der sein Anliegen schon dem Familienministerium und etlichen EU-Parlamentariern vorgetragen hat.
Der Verein benötigt derzeit Spenden, um auch zukünftig den Telefondienst und die Suchaktionen zu unterstützen – diese können schon mal rund um die Uhr gehen. Wie bei der Suche nach Inga. „Da waren wir eine Woche lang ständig im Dienst.“ Die damals Fünfjährige war am 2. Mai 2015 mit ihren Eltern im Diakoniewerk Wilhelmshof in der Nähe von Stendal in Sachsen-Anhalt zu Besuch. Inga verschwand, als sie an den Waldrand ging, um Holz zu sammeln. Insgesamt 1000 Polizisten und Helfer suchten anschließend nach ihr. Das Kind ist bis heute verschwunden. „Wir bekamen am nächsten Tag die Meldung und haben unsere Drohnen eingesetzt, um sie zu suchen. Neben Facebook-Aufrufen haben wir mit woistinga.de zusammen mit der zuständigen Polizeidirektion die erste offizielle Suchseite nach einem vermissten Kind in Deutschland gestartet und Plakate gedruckt“, sagt Bruhns. Für Mike von Hoff, Polizei-Pressesprecher Sachsen-Anhalt Nord, war die Zusammenarbeit mit der Initiative „sehr eng, sehr fruchtbar und eine tolle Ergänzung zu unseren Ermittlungen“. Der Verein habe durch seine Erfahrungen und Netzwerke die Öffentlichkeit viel schneller und vor allem umfassender informieren können als seine Behörde.
Bruhns’ Ziel ist eine staatliche Stelle, die den Alarm auslöst
Wie viele Kinder durch seine Suchmeldungen wiedergefunden werden, zählt Bruhns nicht mehr, da jeder Fall viele Faktoren hat, die zum Lösen beigetragen haben. Lars Bruhns’ Ziel ist die Überführung seines Vereins in eine staatliche Stelle, eine Zentrale, die als Koordinierungs- und Alarmierstelle für vermisste Kinder dient und ein System wie den „Child Alert“ auslösen kann. „Es ist ganz wichtig, dass Suchmeldungen koordiniert und nicht einfach wahllos verschickt werden“, sagt Bruhns. Wer privat eine Suchmeldung startet, löst unter Umständen einen unkontrollierbaren Schneeball aus. Denn die Meldung wird dann weiter geteilt, obwohl das Kind schon längst wieder zu Hause ist. Bei der „Initiative Vermisste Kinder“ wird die Suchanzeige sofort aus den sozialen Medien genommen, das Foto verschwindet und stattdessen erscheint die Meldung: „Positive Meldung im Fall der ...“ – also eine Entwarnung wie bei der 17 Jahre alten Yael aus Hamburg, die nach einem Streit wieder wohlbehalten bei ihren Eltern landete.
Wer mitmachen oder spenden möchte, meldet sich unter Telefon: 609 45 43 40,
E-Mail: info@vermisste-kinder.de,
Infos: www.vermisste-kinder.de