Für Menschen mit Behinderung gibt es immer mehr Möglichkeiten, Teil des Arbeitslebens zu sein. Wir stellen vier Betriebe vor

Morgens um neun Uhr deckt Julian immer die Frühstücksteller ein. Er zieht sich dann weiße Handschuhe über, damit alles sauber bleibt und hygienisch abläuft. Mit den weißen Händen legt der 19-Jährige jeweils eine Serviette und Besteck auf jeden Teller. Später wird er in der Vorbereitungsküche Paprika schnippeln oder dort den Ofen putzen. Julian hat Trisomie 21 und arbeitet im Kesselhaus-Restaurant am Alsterdorfer Markt gemeinsam mit anderen Menschen mit Behinderung. Das Projekt ist Anfang des Jahres an den Start gegangen und ist für Behinderte eine Möglichkeit, vollbeschäftigt am Arbeitsleben teilzunehmen.

Von Anfang an arbeiten Julian, Mandy, die Epileptikerin ist, Lars und Sonja, die beide geistig eingeschränkt sind, im Kesselhaus. Sie sind im Service tätig, in der Spülküche oder in der Küche – bis zu sechs Stunden täglich und auch mal am Wochenende oder abends, wenn es erforderlich ist. Sie arbeiten gemeinsam mit Gastro-Profis. Profis nennt Ingrid Brandt, die pädagogische Leiterin des Projekts, die Mitarbeiter ohne Einschränkungen. Julian, Sonja und die anderen sechs gelten als „Beschäftigte“. Diese Bezeichnung sagt viel aus darüber, dass hier alle gleichberechtigt arbeiten, dass nicht die Behinderung im Vordergrund steht. Sieben Profis und acht Beschäftigte gehören zum Team mit dem Unterschied, dass Julian, Mandy und Sonja von Pädagogen bei der Arbeit unterstützt und begleitet werden.

„Wir finden für jeden eine sinnvolle Aufgabe, jedem hier ist klar, warum wir etwas machen“, sagt Jost Engelbert. Der Sozialpädagoge oder Anleiter, wie er sich nennt, ist gerade mit Lars und Rashid in der Vorbereitungsküche. Heute gibt es Joghurt mit Honig und Walnussöl zum Nachtisch. „Lars, kommst du mal bitte zum Abschmecken?“, ruft Herr Engelbert. Lars sitzt auf einem Stuhl in der Küche und spielt lieber mit seinem Gameboy. Ärger gibt es keinen – es ist hier eben doch ein bisschen anders als in einer herkömmlichen Küche.

Das schnelle Tempo in der Gastronomie ist nicht gerade die Stärke von Lars und den anderen. Ganz im Gegenteil. Und dennoch klappt es, weil jeder das macht, was er schafft. In seinem Tempo. Wer eine Pause braucht, darf sie sich nehmen. „Dann darf ich mich entspannen und mir eine Auszeit nehmen“, erklärt Julian. Es geht um Förderung, nicht um Überforderung.

Die Motivation unter den Beschäftigten sei riesengroß, sagt Ingrid Brandt. Und das liege auch daran, dass sie eine sinnvolle Arbeit machen und nicht irgendeiner Beschäftigungsmaßnahme nachgehen. Die seien für manche genau das Richtige, andere aber bräuchten mehr. Die Arbeit in der Spülküche ist so viel mehr als eine bloße Tätigkeit: Seitdem Sonja dort arbeitet, ist die 48-Jährige selbstständiger geworden, selbstbewusster. Sie hat den großen Schritt gewagt und ist zu Hause ausgezogen. Oder Lars: Zu Beginn seiner Arbeit musste er mit dem Fahrdienst gebracht werden. Mit dem Job im Kesselhaus ist auch er selbstbewusster geworden und kommt nun jeden Tag mit öffentlichen Verkehrsmitteln aus Allermöhe zur Arbeit. „Das Verhalten vieler hat sich positiv verändert“, sagt Stefani Burmeister, Kesselhaus-Geschäftsführerin. Durch die sinngebende Arbeit steige die Konzen­tration, Unruhe oder körperliche Übergriffe seien zurückgegangen. Auch Arbeitsverweigerung gebe es unter den Beschäftigten gar nicht mehr. Für ihre Tätigkeit bekommen die Beschäftigten eine Aufwandsentschädigung. Julian jedenfalls ist voller Begeisterung dabei und ist stolz auf das, was er jeden Tag schafft. „Jeder hat Verständnis für uns, man versteht sich“, sagt Mandy.

Obstsäfte-Projekt: „Das Geld hängt an den Bäumen“

Darum, etwas Sinnstiftendes zu tun, geht es auch bei dem Projekt „Früher nannte ich mich Flasche, jetzt hab’ ich eine eigene!“ Dort ernten Menschen mit Behinderung, betreut von Gärtnern und Ehrenamtlichen, das Obst ab, das sonst hängen bleiben würde. Hinzu kommt Obst von heimischen Streuobstwiesen. „Daraus machen wir bei einer Mosterei köstlichen Saft und verkaufen diesen im persönlichen Vertrieb, um Arbeitsplätze für Randgruppen zu schaffen“, sagt Jan Schierhorn.

Schierhorn hat vor sieben Jahren seine gemeinnützige Firma „Das Geld hängt an den Bäumen“ gegründet. Er beliefert Büros und Restaurants, das Hamburger Rathaus, die Speicherstadt-Kaffeerösterei mit naturtrübem Saft. Gepflückt wird das Obst von zehn psychisch kranken oder lernbehinderten Menschen, die auch Gartenarbeit erledigen und damit rund ums Jahr ihr Auskommen finden. Menschen, die es sonst sehr schwer hätten, eine sinnvolle Beschäftigung zu bekommen. Jan Schierhorn: „Wir suchen stets nach Situationen, die sonst eher am Rande der Gesellschaft stehenden Mitarbeiter ins rechte Licht zu rücken, ihnen die Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen, die sie verdient haben.“

Er hat seine drei Lager- und Logistik-Mitarbeiter gefragt, ob sie nicht ihr Gesicht auf einem Etikett sehen wollen. Die Antwort kam prompt und wohl von Herzen: „Ja, wir wollen!“ Gesagt, getan: Nun stehen „Mein Name ist Olaf“ (Apfel-Rhabarber-Schorle), „Mein Name ist Samuel“ (Apfel-Schorle) und „Mein Name ist Simon“ (Apfel-Johannisbeere-Schorle) im Lager.

Olaf (51) hat soziale Hemmnisse. Simon (27) hat das Asperger-Syndrom, eine Form von Autismus, Samuel (32) lernt langsam. „Dass unsere Jungs bald mit ,ihren‘ Flaschen in der Hamburger Gastronomie stehen sollen, macht sie so unglaublich stolz, dass ich Gänsehaut bekomme“, sagt Jan Schierhorn.

Behinderte kochen für Kitakinder

Als Maler, in der EDV, in der Haustechnik und Immobilienverwaltung sind zurzeit etwa 14 Mitarbeiter mit zum Teil schweren Behinderungen bei hamburg work tätig. Das ist fast die Hälfte aller Beschäftigten. „Unsere Mitarbeiter bringen richtig Leistung“, sagt Geschäftsführer Kai Gosslar. Das müssen sie auch, denn der Umsatz muss stimmen. Auch dort werden die Mitarbeiter, ob mit oder ohne Einschränkung, angeleitet. Diejenigen mit Einschränkungen vielleicht ein bisschen mehr. Die Anleiter gehen natürlich entsprechend feinfühlig an die Sache. Ohne Geduld hätten sie auch den falschen Job.

Im kommenden Jahr werden weitere Menschen mit Behinderungen dort Arbeit finden: Mit dem neuen Integrationsprojekt Kita Catering der hamburg work gGmbH sollen 31 Kitas der Pestalozzi-Stiftung und der beteiligten Kirchenkreise Hamburg-Ost und Hamburg-West/Südholstein täglich 2000 Essen bekommen – teilweise zubereitet von Menschen mit schweren Behinderungen. 50 neue Arbeitsplätze schafft das Integrationsprojekt in der geplanten Großküche an der Schnackenburgallee in Bahrenfeld. Die Hälfte der Mitarbeiter dort werden Menschen mit schweren geistigen und körperlichen Behinderungen sein, die unter anderem als Beiköche oder Küchenhelfer, in der Spülküche, im Lager, im Büro oder als Reinigungskräfte eingesetzt werden. Es sind Menschen, die bislang auf dem Arbeitsmarkt keine Chancen hatten.

Mode-Laden: Rosenblatt und Fabeltiere

Dass Menschen trotz ihrer Einschränkungen etwas leisten können, zeigt das Beispiel Rosenblatt & Fabeltiere auf
St. Pauli: Zurzeit arbeiten dort 15 Menschen mit psychischen Handicaps, die jede Menge Freude an Design, Produktion und dem Verkauf von Mode und Accessoires mitbringen. „Wir lieben Mode und schöne Dinge und die Idee, dass man nicht perfekt sein muss, um etwas zu erschaffen, das die Welt ein bisschen schöner, bunter und vielleicht sogar besser macht“, heißt es so schön auf der Internetseite. Das Projekt von der Johann-Wilhelm-Rautenberg-Gesellschaft beschäftigt vor allem Menschen mit psychischen Problemen wie Depressionen. Manche von ihnen sind ohne Ausbildung, andere haben ein Hochschulstudium, kennen die Berufswelt, können aber aufgrund ihrer Einschränkung nicht im ersten Arbeitsmarkt tätig sein. Seit zehn Jahren schon nähen die 15 Beschäftigten hinter dem Laden an der Clemens-Schultz-Straße Kleidung, verschönern und veredeln Taschen, Kleidung und Accessoires per Siebdruck oder Transferdruck, stehen hinter dem Ladentresen. „Wir sind sichtbar, Teil der Nachbarschaft und in der Mitte der Gesellschaft“, sagt Projektleiterin Katja Stechemesser. Das sei Inklusion, sagt sie. Die Menschen arbeiteten eben nicht versteckt in Werkstätten. Auch hier kommt jeder nach seinen Möglichkeiten zum Einsatz, manchmal nur für wenige Stunden, je nach Belastbarkeit. „Man kann sich ausprobieren und wieder Selbstvertrauen aufbauen“, sagt Frau Stechemesser.