Am 6. Februar 1916 eröffnete Anna Falkenhagen an der Schanzenstraße ihr Geschäft. Heute führt Urenkelin Sabine die Firma in vierter Generation.Von Oliver Schirg

Hüte machen Leute. Es war eine aufregende Zeit. Anfang des 20. Jahrhunderts entfaltete sich weithin sichtbar die Aufbruchstimmung in Hamburg. Die Mönckebergstraße wurde geschaffen, Rathaus und Hauptbahnhof wurden errichtet, die U-Bahn gebaut. Anna Falkenhagen zog im Jahr 1913 aus dem schleswig-holsteinischen Husum in die Hansestadt. Sie hatte einen unehelichen Sohn, das Leben in der Großstadt war unter solchen Umständen damals deutlich leichter als auf dem Lande.

Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, arbeitete Anna Falkenhagen in einem Hutgeschäft als Putzmacherin – so nannte man damals jene Handwerkerinnen und Handwerker, die Hüte herstellten. Drei Jahre, tagein, tagaus, schaffte die junge Mutter für andere, bis sie ihre Idee umsetzen und in der Schanzenstraße ein eigenes Hutmachergeschäft eröffnen konnte. Am 6. Februar 1916 meldete sie ihr Geschäft an. Die Situation schien denkbar ungünstig zu sein: Schließlich tobte der Erste Weltkrieg schon zwei Jahre.

Allerdings brauchten die Soldaten Hüte, und die Hutmacherei von Anna Falkenhagen erhielt Aufträge. Rund 20 Angestellte beschäftigte die Geschäftsfrau in jener Zeit. Auch nach dem Ende des Ersten Weltkrieges lief das Geschäft erfolgreich. Ein Hut gehörte seinerzeit zur Alltagsbekleidung. Zudem lag das Geschäft von Anna Falkenhagen in der Nähe des Schlachthofs, und offenbar ergab sich für die junge Unternehmerin so manches Tauschgeschäft.

In den 20er-Jahren etablierte Anna Falkenhagen ihr Hutunternehmen. Die Geschäfte liefen so gut, dass sie im Jahr 1934 am Valentinskamp einen zweiten Laden eröffnen konnte. Damit gelang der „Sprung“ in die Hamburger Innenstadt, was eine nicht unerhebliche Aufwertung darstellte, auch in den Augen der bestehenden Kundschaft, und ihr natürlich zusätzliche Kunden bescherte.

Anna Falkenhagen führte fortan das Geschäft in der Innenstadt, ihr Sohn Hans stand nun dem Laden an der Schanzenstraße vor. Der Junge hatte Hutmacher gelernt. Anfang der 50er-Jahre zog sich die Firmengründerin aus dem Alltagsgeschäft zurück. Ihre beiden Enkel Sünke und Uwe übernahmen den Laden am Valentinskamp. Sünke hatte Kürschner in Berlin gelernt. Uwe war in der Mönckebergstraße bei einem Mützenmacher in die Lehre gegangen. Die Jahre des Wiederaufbaus Deutschlands und der wirtschaftlichen Erholung ließen das Hutmachergeschäft der Falkenhagens aufblühen. 1972 kam ein drittes Geschäft hinzu, 1979 wurde eine Filiale in der Großen Johannisstraße eröffnet. „Den Laden am Valentinskamp gab es nicht mehr, weil das Gebäude abgerissen wurde“, erzählt Sabine Falkenhagen, die heute in vierter Generation die Geschäfte führt.

Mit der neuen Zeit jedoch änderten sich die modischen Bedürfnisse der Menschen. Nach und nach verlor der Hut seine Bedeutung im Alltag und entwickelte sich mehr und mehr zu einem besonderen Accessoire. Mit Aufkommen der Studentenbewegung galt das Huttragen sogar plötzlich als verstaubt, manchem gar als reaktionär und ewig gestrig.

Als sich Großvater Hans in den 80er-Jahren zur Ruhe gesetzt habe, sei der Laden in der Schanzenstraße geschlossen worden, erzählt Sabine Falkenhagen. Nach weiteren Geschäftsschließungen blieb nur noch der Laden in der Johannisstraße übrig, den Sünke und Uwe Falkenhagen führten – bis sie im Jahr 2002 den Staffelstab an Sabine Falkenhagen weiterreichten.

Inzwischen, nach einem weiteren Umzug im Jahr 2014, liegt das Hutgeschäft in der Schauenburgerstraße. Die Stammkundschaft sei ihr trotz der Umzüge treu geblieben, erzählt Sabine Falkenhagen. „Ich habe Kunden, die kennen noch meinen Urgroßvater.“ Das ändert aber nichts daran, dass das Hutmacherhandwerk inzwischen weit von seiner Blütezeit entfernt ist. In ganz Deutschland gibt es gerade mal noch rund 600 Hut-Fachgeschäfte.

Allerdings hat sich die Situation in den vergangenen Jahren etwas zum Besseren gewendet. „Die Kinder jener Leute, die Hüte als spießig ablehnten, sehen das deutlich lockerer“, sagt Sabine Falkenhagen. Zumal viele von ihnen mit Kopfbedeckungen wie Strickmütze oder Basecaps aufgewachsen seien.

Allerdings gilt ein Hut nach wie vor als etwas Besonderes. Wer sich mit ihm schmückt, will sich von der Masse abheben. Das gilt vor allem für Männer. „Wer heute einen Hut trägt, der hat den Mut, angeschaut zu werden, und ist extrovertiert“, sagt die Unternehmerin. „Er widersetzt sich bewusst dem Mainstream.“

Da verwundert es wenig, dass es oft Künstler sind, die Mut zum Hut beweisen. US-amerikanische Schauspieler wie Johnny Depp, Brad Pitt oder Robert Redford fallen einem da ein. Sabine Falkenhagen zählt deutsche Künstler wie Udo Lindenberg und Roger Cicero zu ihren Kunden. Ein Hut biete jedem Menschen die Möglichkeit, seine Persönlichkeit zu betonen, glaubt sie. „Männer können sich ausleben, ohne weiblich zu wirken. Und außerdem sehen sie mit Hut einfach besser aus.“