Vor 35 Jahren eröffnete das Hanse-Viertel, Europas damals längste Einkaufspassage. Sie markierte den Aufstieg der Stadt zu einer internationalen Shopping-Metropole, obwohl das Bauwerk hanseatischer nicht hätte ausfallen können. Von Martina Goy
Ein kaum spürbarer Luftstrom aus den Windschleusen sorgte für angenehme Temperaturen. Die hohen Glasschächte an der Decke ließen dank perfekter Beleuchtung vergessen, dass draußen der trübe November bereits die Herrschaft übernommen hatte. Die Steinfliesen am Boden glänzten fast ebenso wie die Schaufensterscheiben der Läden, die festlich herausgeputzt und geöffnet waren. „Ich erinnere mich noch genau an die Jubelstimmung bei der Eröffnungsfeier“, sagt Volkwin Marg, einer von Hamburgs Architektenlegenden und inzwischen 76 Jahre alt. „Wir saßen unter der kleinen Glaskuppel, und der damalige Bausenator Volker Lange lobte uns für den Mut zu einem einmaligen Pilotprojekt, den Bau der ersten Einkaufspassage in Hamburg.“ Mut deshalb, weil Innenstadtlagen zu jener Zeit noch als anrüchig und wenig attraktiv galten. Bauherr war die Allianz Leben. Den Auftrag übernommen hatte das Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner.
Es war Freitag, der 14 November 1980 und wie Chronisten später voller Stolz schreiben sollten, kamen schon an diesem ersten Wochenende 20.000 Besucher ins neu eröffnete Hanseviertel zwischen Große Bleichen und Poststraße gelegen, dort wo das Herz der Stadt besonders vital schlägt. Senat und Handelskammer, Stadtplaner aber auch Bauherren und Architekten einte damals die Sehnsucht nach etwas Besonderem für die Innenstadt, die nicht nur Hamburger sondern auch nationale und internationale Besucher anlocken sollte. In Paris, London, Mailand gab es längst Shoppingcenter als Touristenattraktion. Ein Hauch Pariser Flair, britische Eleganz oder italienische Grandezza sollte also her für die in der Welt eher zurückhaltend wahrgenommene norddeutsche Einkaufsmetropole. Sogar eine eigens vom Senat dafür zusammengestellte Kommission zur Wiederbelebung der westlichen Innenstadt war zuvor gebildet worden. Am Ende wurde es allerdings ein Gebäudeensemble wie man es sich hanseatischer kaum vorstellen kann.
Für die Umstrukturierung entlang von drei Straßenzügen waren massive Erdbewegungen nötig. Schon zwei Jahre vor Eröffnung hatten Arbeiten am berühmten Broschekhaus, einem Bau des Hamburger Architekten Fritz Höger an der Ecke Große Bleichen und Hohe Bleichen begonnen. Hier sollten neben einem Hotel künftig Geschäftshäuser mit Klinkerfassaden entstehen, um diesem Straßenteil ein einheitliches Gesicht zu geben. Hinter den aufgehübschten Gebäudeaußenwänden sollte dann die geplante „City in der City“ entstehen, das modernste Einkaufsviertel Hamburgs. Und so geschah es dann auch.
Auf einer Fläche von 30.000 Quadratmetern wurden mehr als 175.000 Kubikmeter Raum umgebaut. 100 Millionen Mark sollte das Mammutprojekt kosten. Am Ende wurde es natürlich erheblich mehr. Bauherrn sowie Architekten war es wichtig, den Charakter des Viertels möglichst zu erhalten. So blieben in der Poststraße bis auf eine Ausnahme die Fassaden der Gebäude erhalten. Am Ende wurden allein für die Einkaufspassage 1,35 Millionen rötliche Klinkersteine verbaut. Die glasgedeckten Gänge und eine gläserne Kuppel auf 21,5 Metern Höhe machten die Passage zum gewünschten Anziehungspunkt in der Stadt. In die Böden wurden bronzene Intarsien mit einer Auflistung der Hansestädte, Urkundentexten sowie Ladungslisten von Schiffen sowie ein Kompass eingelegt, dessen Nadel sich nach Norden einpendelt. Ein gläserner Fahrstuhl führte ins Untergeschoss unter der Kuppel, wo Möwenpick einen „Gourmettempel“ mit 300 Sitzplätzen bewirtschaftete. Bis 2005, damals wurde er 100 Jahre alt, spielte dort mit Hans Rahner zudem einer der wohl ältesten Bar-Pianisten auf.
35 Jahre ist das jetzt her und es gibt sie immer noch, die Passage im Hanseviertel mit ihren 56 Shops und Restaurants , einem Parkhaus mit 440 Stellplätzen, 14 Wohnungen und dem Hotel Renaissance Hamburg Hotel direkt nebenan. Äußerlich nahezu unverändert steht sie dort im Zentrum der Stadt, wuchtig und doch elegant, während der Hamburger Hof zweimal umgebaut wurde und auch die Gänsemarkt-Passage und die Colonnaden ihr Gesicht längst dem Zeitgeist anpassten. „Damals gab es das Modewort Nachhaltigkeit noch nicht“, sagt Marg. „Aber gebaut haben wir genau diesen Maßstäben entsprechend.“ Architektonisch habe man sich in jenen Jahren gerade von der Nachkriegsmoderne verabschiedet. Er habe sich deshalb auf die Hanse und ihre Geschichte sowie den traditionellen Backsteinbau besonnen, eine neue Backsteinbau-Kultur kreiert. Entsprechend sollte die Einkaufspassage aller Modernität zum trotz nicht Center sondern ganz altmodisch Viertel heißen.
Dass sie heute vielleicht nicht mehr ganz so außergewöhnlich wahrgenommen wie in den ersten Jahren ihres Bestehens hat mit dem veränderten Einkaufsverhalten auch in Hamburg zu tun. Damals war es für die sogenannte Schickeria angesagt, sich in der Mittagspause am Austern- und Hummerstand auf einen Langustencocktail zu treffen- flankiert von einem Glas Champagner oder bestem Chablis und danach einen kleinen Bummel durch die angesagten Modegeschäfte zu machen. Den Hummerstand gibt es immer noch und auch heute genießen seine Kunden das „Wir –gönnen-uns-mal etwas-Besonderes-Konzept, erweitert durch die Angebote von Delikatessen-Lindner und köstlich-schokoladigen Leysieffer-Spezialitäten gegenüber. Doch gesehen wollen und gesehen werden wird woanders.
Längst hat sich die Exklusivität der internationalen Nachfrage an den Neuen Wall verlegt, dorthin in die sogenannte 1-A-Lage der Innenstadt, wo sich wie in den meisten Metropolen Flagshipstores der Luxusartikler zu höchsten Mietpreisen niedergelassen haben. Mit insgesamt elf Passagen in der City hat sich zudem die Konkurrenz für die „Mutter aller Hamburger Einkaufspassagen“ vergrößert. Doch geliebt wird sie dennoch. Eine, die Tradition neben Moderne zu schätzen weiß, ist City-Managerin Brigitte Engler. „Ich liebe es, im Hanseviertel zu bummeln“, sagt sie. „In den vergangenen Jahren wurde diese Passage behutsam renoviert. Sie ist heute mit der Auswahl des Shoppingangebots und der Gastronomie am Puls der Zeit.“ Engler hat es besonders der Zigaretten- und Spirituosenhändler von Duske & Duske im Außenbezirk der Passage sowie der Buchladen Stories angetan. „Dort komme ich ganz selten ohne eine Neuerwerbung vorbei“.
Ab morgen feiert das Hanseviertel eine Woche lang sein 35-jähriges Bestehen sowie die ungebrochene Zuneigung von Hamburgern und Touristen zu ihrer hanseatischsten aller Shopping-Malls wie es neudeutsch heißt. Und auch wenn bei den Events mit Late-Night-Shopping und kostenlosem Registrieren bei Car2go sowie Goldtalersuche und dem Jubiläums-Hauptgewinn, eine Kreuzfahrt, dem Zeitgeist gehuldigt wird, steht in Stein gemeißelt die Vergangenheit dabei. Nicht nur, dass die polnischen Maurer die roten Backsteine so verarbeitet haben, dass die dunklen Steine das Wort Polen ergeben, in einer Wandnische nahe dem Hotelgebäude erinnert eine kleine Figur an den Architekten Höger und die 28 Bronzeglocken draußen an der runden Gebäudespitze, deren gespeicherte Melodien stündlich erklingen, scheinen ebenfalls ein Relikt anderer Zeit.
Eng verknüpft mit der Geschichte der Passage sind die Geschichten ihrer Mieter. Nicht immer mit einem Happy-End, so wie bei Hanse-CD. Als der Plattenladen vor vier Jahren wegen zu hoher Mietforderungen wegziehen wollte, war der geäußerte Kunden-Protest per Unterschriftensammlung so groß, dass sie Hanse-Viertel-Betreiber ECE und ihren Chef Alexander Otto erweichten und den Verbleib möglich machten.
Neben vielen Mieterwechseln traf die Aufgabe der Möwenpick-Gastronomie 2007 nach 27 Jahren die Passage besonders hart. Ein Nachmieter konnte bislang nicht gefunden werden. Inzwischen liegt eine riesige Steinplatte über der ehemaligen Gastronomiefläche und ein Kugelbrunnen ziert die Mitte.
In diesem Jahr trübt die Insolvenz des langjährigen Mieters Schacht & Westerich die Vorfreude auf die anstehenden Feierlichkeiten. Der Papier und Schreibwarenhändler, 1826 in Hamburg gegründet, konnte sich gegen die Konkurrenz von Billiganbietern und Internet nicht mehr halten. Nach dem Weihnachtsgeschäft ist erst einmal Schluss. „Das ist ganz bitter“, sagt Center-Manager Uwe von Spreckelsen. „Dennoch wollen wir unseren Kunden ein fröhliches Fest bieten“. Und vielleicht gibt es für die Haupt-Filiale noch eine Lösung, so wie für die anderen Geschäfte, für die sich traditionsverbundene Käufer gefunden haben.
Ein kaum spürbarer Luftstrom aus den Windschleusen sorgte für angenehme Temperaturen. Die hohen Glasschächte an der Decke ließen dank perfekter Beleuchtung vergessen, dass draußen der trübe November herrschte. Die Steinfliesen am Boden glänzten fast ebenso wie die Schaufensterscheiben der Geschäfte. „Ich erinnere mich noch genau an die Jubelstimmung bei der Eröffnungsfeier“, sagt Volkwin Marg, Hamburger Architektenlegende und inzwischen 76 Jahre alt. „Bausenator Volker Lange lobte uns für den Mut zu einem einmaligen Pilotprojekt, dem Bau der damals längsten Einkaufspassage in Europa.“ Innenstadtlagen galten zu jener Zeit noch als wenig attraktiv. Bauherr war die Allianz Leben. Der Gestaltungsauftrag ging an das Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner.
Es war Freitag, der 14. November 1980, und wie Chronisten später voller Stolz schreiben sollten, kamen schon an diesem ersten Wochenende 20.000 Besucher ins neu eröffnete Hanse-Viertel zwischen Große Bleichen und Poststraße. Alle Beteiligten an dem Bauvorhaben einte damals die Sehnsucht nach einem Fixpunkt für die Innenstadt, der nicht nur Hamburger, sondern auch internationale Gäste anlocken sollte.
In Paris, London, Mailand gab es längst Shoppingcenter als Touristenattraktion. Ein Hauch französisches Flair, britische Eleganz oder italienische Grandezza sollten also die in der Welt eher zurückhaltend wahrgenommene norddeutsche Einkaufsmetropole auffrischen. Sogar eine eigens vom Senat zusammengestellte Kommission zur Wiederbelebung der westlichen Innenstadt war zuvor gebildet worden. Am Ende entstand allerdings ein Gebäudeensemble, wie man es sich hanseatischer kaum vorstellen kann.
Für die Umstrukturierung entlang von drei Straßenzügen waren massive Erdbewegungen nötig. Schon zwei Jahre vor Eröffnung hatten Arbeiten am berühmten Broschekhaus, einem Bau des Architekten Fritz Höger an der Ecke Große Bleichen und Hohe Bleichen, begonnen. Hier sollten neben einem Hotel Geschäftshäuser mit Klinkerfassaden entstehen, um dem Straßenteil ein einheitliches Gesicht zu geben. Dahinter war die „City in der City“ geplant, das modernste Einkaufsviertel Hamburgs mit zwei Kreuzgängen unter Glaskuppeln.
Die Passage wurde bewusst „Viertel“ genannt und nicht „Center“
Auf einer Fläche von 40.000 Quadratmetern wurden mehr als 175.000 Kubikmeter Raum umbaut. 100 Millionen Mark waren für das Mammutprojekt veranschlagt. Der Charakter des Viertels sollte möglichst erhalten bleiben. In der Poststraße blieben bis auf eine Ausnahme die Fassaden der Gebäude erhalten. 1,35 Millionen rötliche Klinkersteine wurden verbaut, in die Böden bronzene Intarsien mit Urkundentexten und Wappen der Hansestädte sowie ein Kompass eingelegt, dessen Nadel sich nach Norden einpendelt. 63 Läden und acht Gastronomie-Variationen mieteten sich ein. Parkhaus, Wohnungen und Büros kamen hinzu. Ein gläserner Fahrstuhl führte ins Untergeschoss, wo Möwenpick einen „Gourmettempel“ betrieb. Von 1982 an spielte dort Bar-Pianist Hans Rahner. Als er 2005 aufhörte, war er 100 und der älteste seiner Zunft weltweit.
35 Jahre ist die Eröffnung nun her, und eigentlich hat sich nicht so viel verändert. Das Hotel nebenan wechselte ein paarmal den Namen. Wärme- und Energieeffizienz hielten Einzug. Doch im Kern ist sich das Hanse-Viertel treu geblieben. „Ende der 70er gab es das Modewort Nachhaltigkeit noch nicht“, sagt Marg. „Aber gebaut haben wir genau diesen Maßstäben entsprechend.“ Architektonisch habe man sich damals gerade von der Nachkriegsmoderne verabschiedet. Er habe sich deshalb auf die Hanse und ihre Geschichte sowie den traditionellen Backsteinbau besonnen. „Dazu passte der altmodische Name Viertel besser als Center“, sagt er.
Dass die hanseatischste aller Passagen heute nicht mehr ganz so als außergewöhnlich wahrgenommen wird, hat mit dem veränderten Einkaufsverhalten zu tun. Damals war es angesagt, sich in der Mittagspause am Hummerstand auf einen Langustencocktail zu treffen – flankiert von einem Glas Champagner. Inzwischen genießen auch Kunden die Krustentiere, die sich mal etwas Besonderes gönnen wollen. Dennoch hat sich auch das Hanse-Viertel dem Zeitgeist angenähert. „Mit der Auswahl des Shoppingangebots und der Gastronomie ist die Passage am Puls der Zeit“, sagt City-Managerin Brigitte Engler.
Nicht alle Geschichten enden so gutwie die um das Geschäft Hanse-CD
Von diesem Sonntag an wird eine Woche lang 35-jähriges Bestehen gefeiert. „Normalerweise ist das keine Jubiläumszahl“, sagt Centermanager Uwe von Spreckelsen. „Aber wir hatten Lust auf ein Fest.“ Mit Late-Night-Shopping, kostenlosem Registrieren bei Car2go und vielem mehr wirbt man zwar um den modernen Kunden, doch die Vergangenheit ist in Stein gemeißelt dabei. In einer Wandnische nahe dem Hotelgebäude erinnert eine kleine Figur an den Architekten Höger, und die Melodien der 23 Bronzeglocken draußen am Eingang, die stündlich erklingen, sind ebenfalls ein Relikt aus anderer Zeit.
Eng verknüpft mit der Geschichte der Passage sind die Geschichten ihrer Mieter. Nicht immer gingen sie mit einem Happy End aus wie bei Hanse-CD. Als der Laden wegen zu hoher Mietforderungen wegziehen wollte, war der Kunden-Protest so groß, dass er bleiben konnte. Das Ausscheiden der Möwenpick-Gastronomie nach 27 Jahren hatte sogar bauliche Veränderungen zur Folge. Weil kein Nachmieter gefunden wurde, liegt jetzt eine riesige Steinplatte über der ehemaligen Restaurantfläche.
In diesem Jahr trübt die Insolvenz des langjährigen Mieters Schacht & Westerich die Vorfreude auf die anstehenden Feierlichkeiten. „Das ist ganz bitter“, sagt von Spreckelsen. Aber vielleicht gibt es für das Hauptgeschäft noch eine Lösung, so wie für die anderen Filialen, die traditionsverbundene Käufer gefunden haben.