Viele Jugendliche und junge Erwachsene spielen exzessiv am PC. Die Drogen- und Suchtambulanz der Uniklinik bietet Hilfe an.

Die schnellen Erfolgserlebnisse waren nur einen Knopfdruck entfernt. Immer wieder schaltete Moritz, 14, (alle Namen von der Redaktion geändert) seine Spielkonsole ein, startete die fiktive Welt eines Rollenspiels, in dem er online mit anderen Mitspielern gegen Monster und böse Mächte kämpfte. „Je mehr man spielt, desto erfolgreicher wird man, erhält weitere Rüstungsteile für die Spielfigur und steigt im Rang auf“, sagt der Schüler über das Spiel „Destiny“. Aus den anfänglichen zwei bis drei Stunden am Nachmittag wurden fünf und in der Spitze auch schon mal bis zu neun Stunden. Die Fristen, die ihm seine Mutter setzte, umging er, und selbst als die Mutter das Stromkabel an sich nahm, fand er einen Weg. Er besorgte sich ein neues Kabel und spielte heimlich, wenn die Eltern nicht zu Hause waren. „Ein schlechtes Gewissen hatte ich schon, aber ich wollte unbedingt weiterspielen“, sagt er.

Das Spielen an PC und Playstation sowie das Surfen im Internet gehören für viele Jugendliche heutzutage zum Alltag. Doch zusammen mit anderen Faktoren kann der exzessive Gebrauch dieser Medien schleichend zu einer Abhängigkeit führen. Für die Sucht gibt es in der Internationalen Klassifikation für psychische Störungen (ICD-10) noch keine eigene Diagnose-Kategorie, wohl aber in dem amerikanischen Pendant, dem DSM, das acht Kriterien für die „Internet Gaming Disorder“ festlegt. Danach sehen Experten auch hierzulande in der Praxis immer mehr Jugendliche, die die Anzeichen einer Computerspiel- und Internetsucht zeigen. Nach den Daten verschiedener Studien sind etwa vier Prozent der 14- bis 16-Jährigen computerspiel- oder internetabhängig.

Jugendliche sollten nicht mehr als zwei Stunden am Tag am Computer sitzen

Auch in der Drogenambulanz im Universitätsklinikum Eppendorf melden sich mehr Jugendliche mit Anzeichen eines „pathologischen Internetgebrauchs“, sagt Professor Rainer Thomasius, Ärztlicher Leiter der Suchtabteilung für Jugendliche und junge Erwachsene. Von den rund 1600 Behandlungsfällen, die pro Jahr in der Suchtabteilung behandelt werden, sind etwa 300 bis 400 betroffen.

Ihre Abhängigkeit mache sich darin bemerkbar, dass sich ihre Gedanken nur noch um das Spiel drehten und sie sich von der Realität immer mehr abkoppelten, sagt Thomasisus, der die Computersucht auch wissenschaftlich untersucht und 2008 das Deutsche Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am UKE gegründet hat. Hier wurden auch Informationsbroschüren und ein Selbsttest für Jugendliche zum Thema Internetsucht entwickelt. „Normalerweise sollten die Jugendlichen nicht mehr als zwei bis zweieinhalb Stunden pro Tag am Computer spielen“, sagt der Mediziner. Doch in seinem klinischen Alltag sieht er Jugendliche mit Online-Zeiten von bis zu zwölf Stunden. Und es ist nicht nur die Länge der Nutzungszeit, die auf ein Suchtverhalten hinweist. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen ziehen sich immer mehr von der realen Welt zurück. Sie geben Sport und andere Freizeitaktivitäten allmählich auf und treffen sich nicht mehr mit Freunden. Kontakte finden nur noch online über Foren statt. Typische Folgen für die Computerspielsucht sind nachlassende schulische Leistungen, Schulversagen und schließlich das Fernbleiben von der Schule. Auch die Konflikte in der Familie nehmen zu, denn alles dreht sich nur noch um den massiven PC-Gebrauch.

Es seien vorwiegend Jungen von der Computerspielsucht betroffen, sagt Rainer Thomasius. Anders als Mädchen, die sich eher in sozialen Foren austauschen, werden Jungen von den überwiegend männlichen Attributen der Computerspiele angezogen. Derzeit beliebte Spiele wie „World Of Warcraft“ oder „League Of Legions“ sind Rollenspiele, bei denen die Spieler imaginäre Gestalten selber mit Macht und Stärke ausstatten und Siege erringen können. Dazu schließen sich die Spieler auch in Gilden mit anderen zusammen. Sie erleben für einen Moment Gemeinsamkeiten und Machtpositionen, fühlen sich in ihrem Selbstwert gestärkt. Und in sogenannten Ballerspielen wie „Counterstrike“ können sie ihre Aggressionen ausleben. Doch wenn eine Flucht in die Scheinwelt zur Sucht wird, stecken immer andere Probleme dahinter. „Manche haben das Gefühl, nicht anerkannt zu werden, leiden unter Mobbing in der Schule oder mangelnder emotionaler Zuwendung. Das wird mit den scheinbaren Erfolgen im Netz kompensiert“, sagt Thomasius.

Und so gehe es in der Behandlung dieser Süchte auch nicht darum, die Computernutzung ganz zu verbieten, sondern um „ein sinnvolles Heranführen an das Internet“. Denn der Umgang damit ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken und hat auch viele Vorteile. Anders als bei stoffgebundenen Süchten wie Cannabis und Alkohol, die nach dem Entzug tabu seien, „kann der Umgang mit den Medien gelernt werden“, sagt Thomasius.

Je nach Ausprägung der Computerspielsucht und der Probleme, die sich in Schule, Familie oder Umfeld entwickelt haben, werden im UKE Einzeltherapien, ein Gruppenprogramm oder teil- und vollstationäre Behandlung angeboten.

Als Michaela S., die Mutter von Moritz, entdeckte, dass ihr Sohn ihre Abmachungen missachtete und trotzdem spielte, handelte sie. „Für mich war eine Grenze überschritten“, sagt sie. Es kam zum großen Krach in der Familie. Michaela S. suchte nach Hilfe. „Als Mama mir vorschlug, dass wir uns an die Drogenambulanz wenden, war ich gleich einverstanden“, sagt Moritz. Bei Moritz stellte sich heraus, dass der Schüler noch nicht süchtig, aber bereits gefährdet war. Er wurde in das Gruppenprogramm „Lebenslust statt Online-Flucht“ aufgenommen. In acht wöchentlichen Sitzungen kommen dabei bis zu acht suchtgefährdete Jugendliche und junge Erwachsene für jeweils 90 Minuten unter Anleitung eines Therapeuten zusammen. In den Gruppen sollen die „realen Beziehungen gestärkt, alternative Kräfte entwickelt und Körper- und Sinneswahrnehmung gestärkt werden“, sagt Psychologin Bettina Moll, die die Kurse am UKE leitet.

Für Moritz war die Gruppe ein Gewinn. Dort wurde er angeregt, ein Gefühl für sein Verhalten zu entwickeln. Er durfte weiter spielen, aber nur maximal zweieinhalb Stunden am Tag. Er schätzte den vertrauten Rahmen der Gruppe, in dem er und die anderen Teilnehmer über ihr Verhalten frei sprechen konnten. Auch die Beziehung zwischen Mutter und Sohn hat sich verbessert. „Wir können uns wieder vertrauen“, sagt Michaela S.

Drogen- und Alkoholambulanz am UKE, Tel. 741 05 42 17, www.dzskj.de. Weitere Infos www.computersuchthilfe.info.de und www.ins-netz-gehen.de