In den Häusern der „Arche Noah“ in Halstenbek leben junge Familien, Senioren und Menschen mit Behinderung in einer Gemeinschaft. Gegenseitige Hilfe ist kein Muss, aber oft selbstverständlich.

Wenn die Sonne scheint, sitzt Marc manchmal in seinem Rollstuhl an der offenen Tür seiner kleinen Terrasse. Die geht nach hinten raus zum Hof, dort, wo die anderen unweigerlich vorbeikommen, wenn sie die „Arche Noah“ verlassen. Dann gibt ein Wort das andere, und wenn Jan nicht pünktlich an seinem Arbeitsplatz in der Gärtnerei sein müsste, würde er ja gern auch ein längeres Schwätzchen halten. „Bis heute abend“, sagt er stattdessen. „Wir kochen zusammen!“ Und winkt.

Wir“ – das sind 15 junge Erwachsene, die im ambulant betreuten Wohnen der „Arche Noah“ in Halstenbek leben, etwas versteckt hinter dem gleichnamigen evangelischen Gemeindezentrum. Warum sie hier sind, hat ganz individuelle Gründe. Gemeinsam ist ihnen, dass sie zwar selbständig leben wollen und dies in eigenen kleinen Wohnungen auch tun, aber trotzdem Hilfe im Alltag brauchen – pädagogische Assistenz. Die gibt es bei dieser modernen Version der „Arche“. Und „Noah“, das ist hier quasi Stefan Frost. Er leitet das Wohnprojekt der gemeinnützigen GmbH „prosocial“, die zur Evangelischen Stiftung Alsterdorf gehört. „Unser Angebot richtet sich an erwachsene Menschen mit leichten geistigen Behinderungen, psychischen und/oder körperlichen Behinderungen“, sagt er. Noch seien nicht alle 24 Ein-Zimmer-Appartements belegt. Aber das habe Methode: „Wir nehmen nach und nach neue Bewohner auf, damit die Gemeinschaft sukzessive wachsen kann.“

Jan war einer der ersten, der in die Arche zog. Der 27-Jährige kam im Sommer 2013 von Pinneberg in den Haselweg in Halstenbek. Kurz nach ihm richtete Sabine sich in einem der 25 Quadratmeter großen Appartements mit Küchenzeile und Badezimmer ein. Mit 44 ist sie hier eine der Älteren und als Epileptikerin im Notfall auf andere angewiesen. „Früher hatte ich immer das Gefühl, ich müsste mich verkrümeln, würde sonst immer nur zur Last fallen“, sagt sie und lächelt. „Aber als ich hier das erste Mal fragte, ob ich störe, haben mir die anderen geantwortet, Nein! Wieso? Diese Gemeinschaft, das hat mir früher sehr gefehlt.“ Tagsüber arbeitet sie als Floristin, freut sich abends jedes Mal auf ihr neues Zuhause. Und für den Notfall hat sie jetzt ihre Nachbarin. Die hat gelernt, was zu tun ist, wenn Sabine einen Anfall hat.

Ein ganz neues Gemeinschaftsgefühl erleben nicht nur die Bewohner des betreuten Wohnprojekts untereinander. Zur „Arche Noah“ gehören nämlich noch zwei weitere Gruppen: junge Familien mit Kindern auf der anderen Seite des Hofs und ältere Menschen in einem seitlich gelegenen Gebäudekomplex. Gegenseitige Unterstützung ist kein Muss, aber offenbar selbstverständlich. Jeder bringt seine Fähigkeiten ein. So sagt Birgit, 73, dass man bei Computerproblemen am besten Marc fragt. Der junge Mann im Rollstuhl könne so was. Einer der Familienväter von gegenüber macht sich auf Nachfrage gern als Elektriker nützlich. Manche Seniorinnen passen abends auf die Kinder der Familien auf.

Klingt, als gäbe es nie Streit. „Wenn doch, dann nennen wir das Gesprächsbedarf!“, sagt Ulla, 75. „Und am Ende wird abgestimmt.“ Wie vor kurzem in Sachen Hofgestaltung. Die geht schließlich jeden an. Am Ende einigten sich alle auf ein großes Sonnensegel für die Mitte ihrer Arche. Da ist es jetzt aufgespannt, schützt nicht nur vor Sonne, sondern auch vor Regen, und wurde beim ersten großen gemeinsamen Sommerfest gleich feierlich eingeweiht.

„Prosocial“ bietet regelmäßige Angebote für alle Bewohner dieses inklusiven Mehr-Generationen-Wohnprojekts an. Es werden Ausflüge organisiert, gebastelt oder auch Poker gespielt. Doch das eindeutig liebste Ritual ist das gemeinsame Kochen einmal die Woche. Das beginnt am großen Tisch im Gemeinschaftsraum mit der Besprechung, was gekocht werden soll. Wer Zeit hat, macht mit. Heute ist Jan da, Sabine auch. Und Claudia und Pauline sind gekommen. Die beiden wohnen erst seit kurzem im Projekt. Auf Claudias vorgeschlagenen Zucchini-Auflauf haben am Ende alle am meisten Lust. Alle überlegen gemeinsam was man dafür braucht,

Mit Einkaufstaschen geht’s erst einmal zum nahe gelegenen Supermarkt. Vor dem Kühlregal wird der Einkauf zum Unterricht. Während die Arche-Bewohner die Inhaltsstoffe verschiedener Käsesorten vergleichen und überlegen, welche Milch am gesündesten ist, baut sich hinter ihnen ein kleiner Stau auf, den sie bis zum Ausgang hinter sich herziehen. Aber das scheint hier niemanden zu stören.

Auf dem Laufband an der Kasse werden alle Zutaten verteilt. Jan zahlt den Speck, Claudia die beiden großen Zucchini, Sabine die Milch, Pauline den Käse. Und Stefan Frost achtet darauf, dass jeder am Ende ungefähr dieselbe Summe zum gemeinsamen Abendessen beigesteuert hat. „Wir nutzen Alltagssituationen wie diese auch, um bei unseren Bewohnern zum Beispiel ein Bewusstsein für gesunde Ernährung zu schaffen“, sagt der Heilerzieher.

Gesundheit, Finanzen, soziale Kompetenz, Wohnen und Arbeit – das seien die Themen, bei denen die betreuten Arche-Bewohner hauptsächlich Unterstützung bräuchten. Zurück in der Arche weiß jeder, was zu tun ist. In der Gemeinschaftsküche wird geschnippelt und gemixt. Und bald duftet es im Erdgeschoss schon nach leckerem Auflauf.

Mehr Infos zum Projekt unter: www.prosocial-sh.de, Tel. 04532/2830120.