Strafrichterin Birgit Woitas erkrankte vor zwei Jahren an Brustkrebs. Seither setzt sie sich mit dem Sterben auseinander und engagiert sie sich ehrenamtlich als Sterbebegleiterin im Hospizdienst

Es gab nur einen einzigen schwachen Moment. Unmittelbar nach der Diagnose. Als der Arzt in der Klinik ihr mitteilte, dass sie an Brustkrebs erkrankt ist. Und Birgit Woitas für einen kurzen Moment nicht wusste, wie es nun weitergehen soll. Sie machte Termine für die Chemotherapie. Besprach mit dem Arzt den Zeitpunkt der Bestrahlung. Sie sprach mit ihrem Mann und mit den drei Kindern. Nachdem sie alles geregelt hatte, bewegte sie sich wieder in festen Strukturen. Den Kopf erhoben, ohne Angst und Zweifel begegnete sie ihrer Erkrankung. Bereit, sich damit auseinanderzusetzen. Mehr sachlich, weniger emotional. So wie es zu ihr passt.

Birgit Woitas ist Richterin am Landgericht Hamburg. Eine Frau, die in ihrer Branche als taff gilt, konsequent, klar. 51 Jahre alt. Vorsitzende einer Großen Strafkammer am Sievekingplatz. Eine Frau, über die andere sagen, sie lasse sich nicht so leicht in eine Schublade stecken. Eine Frau, die ohne Zweifel ist, penibel, stringent. Die das offene Wort liebt, verständnisvoll ist und scheinbar nicht aus der Fassung zu bringen. Nicht einmal dann, wenn sie selbst betroffen ist. „Ich stelle mich der Situation. Ich will keine Angst haben“, sagt sie.

Die meisten Menschen, die Zeitung lesen, Fernsehen schauen oder Radio hören, haben ganz sicher schon mal von ihr gehört. Dieser Richterin, die dem medienträchtigen Prozess gegen den Unfallfahrer Alexander S. vorgesessen hat. Sie war es, die den jungen Mann, der an einer belebten Kreuzung im Stadtteil Eppendorf die Kontrolle über seinen Wagen verloren hatte, mit einen anderen Auto kollidiert war und in eine Passantengruppe geschleudert wurde, die an einer Ampel gewartet hatte, zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilte. Ein Urteil, das nicht nur für Wohlwollen sorgte.

Sie muss häufiger Kritik einstecken. Aber sie lässt sich nicht beirren. Nicht in ihrer Arbeit. Nicht in ihrem Privatleben. Und auch dann nicht, wenn es um das Thema Sterben geht. „Ich finde, wir gehen mit dem Tod falsch um“, sagt sie, „und tun stattdessen so, als würden wir ewig leben. Dabei sterben wir alle.“

Wie schnell das Thema Krankheit und Sterben ins eigene Leben rücken kann, wird ihr klar, als sie im Januar 2011 zur routinemäßigen Mammografie geht. Anders als sonst, dauert die Untersuchung länger. Die Radiologin bittet, ein paar weitere Bilder machen zu dürfen. Dann geht alles ganz schnell. Die Ärzte entnehmen eine Gewebeprobe. Am nächsten Morgen hat Birgit Woitas das Ergebnis: Brustkrebs. Damals steckt die Richterin mitten in einem Verfahren, das sie unbedingt zu Ende führen will. Es geht um eine Massenschlägerei in Neuwiedenthal. Die Öffentlichkeit schaut gespannt auf den Prozess. „Es ist wichtig, dass ich meine Arbeit zu Ende führe“, das ist ihr erster Gedanke. Der zweite: „Wie kann ich die Therapien so legen, dass sie meinen beruflichen Alltag nicht beeinträchtigen.“ Sie findet eine Lösung. Legt die Termine der Chemotherapie auf montags, weil sie weiß, dass es ihr erst vier, fünf Tage später schlecht gehen wird. So kann sie die Woche über ins Gericht fahren. Am Wochenende muss sie sich ausruhen. Sie verliert ihre Haare, lässt sich eine Perücke anfertigen. Die Kollegen, die Öffentlichkeit, keiner merkt etwas. Sie macht sich Mut. „Du erlebst mit dieser Krankheit etwas, das andere nicht erleben. Du lernst dazu. Das ist auch eine Chance“, sagt sie sich. Und sie trifft Menschen, die ihr helfen. Ärzte, die ihr die bestmögliche medizinische Versorgung zukommen lassen. Sie erlebt Mitmenschlichkeit. Noch selbst gegen ihre Krankheit ankämpfend, trifft sie eine Entscheidung. „Wenn du das alles durchgestanden hast, nimmst auch du dir Zeit, anderen zu helfen.“

Vier Monate dauert die Chemotherapie, im Herbst beginnt die tägliche Bestrahlung. Sechs Wochen muss sie jeden Tag in die Klinik nach Altona. Da kann sie bereits ohne Perücke rausgehen. Die Kollegen gratulieren zu der neuen Kurzhaarfrisur.

Im Januar 2012 beginnt Birgit Woitas eine Ausbildung zur ehrenamtlichen Hospizbegleiterin. Sechs Monate dauert der Kursus, zwölf Samstage und jeden Montag ist sie im Unterricht. Sie erfährt viel über Erkrankungen, Demenz und Pflegemöglichkeiten, über Schmerzbehandlung, Biografiearbeit und Sterbehilfe. Sie lernt auch für sich. Wie man dem Sterben das Grauen nimmt und dass das Leben auch im Abschied voller Lebensfreude sein kann. Der erste Mensch, den sie im Sterben betreut, ist ein junger Mann, Benny, 22 Jahre alt, an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt. Sie erlebt, wie sich die Familie aufopferungsvoll um den Kranken kümmert. „So etwas zu sehen, gibt mir den Glauben an die Menschheit zurück“, sagt sie, die in ihrer Arbeit als Richterin immer wieder mit Fällen zu tun hat, die an jeder Form von Menschlichkeit zweifeln lassen.

Und sie erlebt, wie sehr es den Betroffenen helfen kann, wenn jemand kommt, der zuhört, der unterstützt und mitträgt. Einer, der nicht zur Familie gehört, der nicht persönlich eingebunden ist, sondern von außen kommt und Zeit mitbringt, sich auch einmal mit anderen Dingen zu beschäftigen als mit dem Abschiednehmen. Einer, der einfach nur mal da ist. „Ich habe viel zurückbekommen“, sagt Birgit Woitas über ihre Erfahrungen in der ambulanten Hospizbegleitung. „Lebensfreude, Dankbarkeit, Einblicke in das Leben der Anderen.“

In den vergangenen Monaten war sie jeden Mittwoch bei Herrn Maas. Er war 68 Jahre alt, schwer an Krebs erkrankt und dennoch voller Lebensfreude, ein so wertvoller Mensch. „Die Begegnungen mit ihm haben mir Mut gemacht“, sagt sie. Und insofern sei es schon fast etwas egoistisches, sich im Hospizdienst zu engagieren. Sie hatte sich für den 13. November einen Besuch bei ihm eingetragen. Doch Herr Maaß starb in der Nacht zuvor.

Sie fuhr trotzdem hin. Um mit den Hinterbliebenen zu reden. Zu trösten. Und gemeinsam Abschied zu nehmen. Sie war stark, so wie sie es im Beruf auch sein muss. Wie sie es mit ihrer eigenen Erkrankung ist, über die sie sagt, dass sie jederzeit zurückkommen könne. Angst davor hat sie keine. Vielmehr sieht sie es als Herausforderung, die sie annehmen wird und mit der sie wachsen kann. Oder um es in ihren Worten zu sagen: „Wenn ich einen Rückfall kriege, muss ich wieder das Beste draus machen.“

Informationen über den ambulanten Hospizdienst gibt es bei Siglinde van Huffel unter Telefon: 65908740, im Internet: www.bodelschwingh.com oder bei Stefanie Janssen, Tel. 43185416.

Internet: www.hospiz-stpauli.de