Immer häufiger engagieren sich auch Menschen mit Behinderung freiwillig. So wie Melanie Lux, die im Tierheim Süderstraße mitarbeitet. Das Diakonische Werk hat sie über das Projekt „Selbstverständlich freiwillig“ vermittelt.

Sie könnte sich in die Sonne legen. Faulenzen. Freunde treffen. Oder bummeln gehen. Sie könnte nach einer anstrengenden Arbeitswoche am freien Sonnabend einfach nur die Seele baumeln lassen. Oder eine ihrer Lieblingssendungen anschauen. Stattdessen steigt Melanie Lux jeden Sonnabend gegen zwölf Uhr in die U-Bahn. Fährt von Farmsen Richtung Innenstadt, dann weiter mit dem Bus Linie 160 vom Berliner Tor nach Rothenburgsort und weiter mit dem 130er Richtung Burgstraße bis zur Haltestelle Braune Brücke. Die restlichen 500 Meter geht sie zu Fuß. Sie sieht die Menschen in ihren Schrebergärten, die Familien, die ihre Zeit im Freibad Aschberg verbringen. Sie könnte das auch tun. Aber sie hat einen Termin, der ihr wichtig ist. So wichtig, dass sie jeden freien Sonnabend dafür opfert. Melanie Lux ist ehrenamtliche Gassigeherin im Tierheim Süderstraße. Sie kommt, um den Hunden, die dort leben, ein paar Stunden in der Natur zu schenken und mit ihnen zu laufen. Das, könnte man sagen, machen doch viele Menschen in Hamburg. Das, könnte man sagen, ist doch nichts Außergewöhnliches. Ist es aber. Weil Melanie Lux die Dinge nicht so einfach von der Hand gehen wie gesunden Menschen. Weil sie anders ist als andere und sich für alles, was sie tut, ein wenig mehr anstrengen muss. Melanie Lux ist eine Frau mit Behinderung.

Sie hat körperliche Einschränkungen, kann nur langsam sprechen, die Bewegungen sind unsicher. Und sie hat psychische Probleme, Angst davor, etwas falsch zu machen. Bei ihrer Geburt hat sie zu wenig Sauerstoff bekommen. Der Mangel hatte Folgen für das Gehirn. Es geht ihr manchmal nicht gut. Und dennoch möchte sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten helfen, damit es anderen besser geht.

Also hat sie sich umgehört. Gefragt, was Menschen mit Behinderung eigentlich machen können. Welche Ehrenämter überhaupt für sie in Frage kommen. Ihre Suche führte sie zu Britta Habenicht vom Diakonischen Werk. Sie betreut dort das Projekt „Selbstverständlich freiwillig“, das seit drei Jahren Männer und Frauen mit Behinderung in passende Einsatzplätze des Ehrenamts vermittelt. Inzwischen zählt das Projekt rund 40 freiwillige Helfer. Menschen mit Handicap, die sich für ihre Mitmenschen, ihre Stadt oder Umwelt einsetzen und dafür regelmäßig aktiv werden.

Da ist zum Beispiel Herr D., der im wöchentlichen Seniorencafé die Kuchen verteilt und mit den Teilnehmerinnen plaudert. Oder Stefan S., der bei den Special Olympics in Hamburg zur Stelle ist. Beim Lauffest hat Stefan als Streckenposten gezeigt, wo die Sportler entlanglaufen müssen. Henning D. schenkt Senioren beim Micheltreff der Kirchengemeinde St. Michaelis Kaffee ein und freut sich, wenn dabei auch ein Gespräch entsteht. Maik A. möchte gern älteren Menschen helfen. Da er ein starker, junger Mann ist, hilft er seit kurzem im Seniorenheim Tabea, wenn Senioren im Rollstuhl sonntags zum Gottesdienst geschoben werden. Auch Gabriele B. mag gern ältere Menschen. Vor allem aber mag sie vorlesen. Und so liest sie einmal die Woche im Seniorenheim aus ihrem Märchenbuch vor. „Was alle bei dieser Art gesellschaftlicher Mitarbeit suchen und finden, sind Spaß, Abwechslung, Anerkennung und jede Menge neue Kontakte“, sagt Britta Habenicht. Das Diakonische Werk qualifiziert Freiwillige, vermittelt ihnen passende Einsatzstellen und begleitet sie zum Einsatzort und bei der Einarbeitung. „Wir bieten den Einsatzstellen der freiwilligen Tätigkeit spezielle Beratung und Qualifizierung an und vermitteln ihnen motivierte Freiwillige“, so Habenicht.

Für Melanie Lux war von Anfang an klar, dass sie sich eine Arbeit mit Menschen nicht zutrauen würde. Zu Tieren aber hatte sie schon immer großes Vertrauen. „Und einen Hund habe ich mir seit Jahren gewünscht“, sagt sie. Doch ein eigenes Tier anzuschaffen war für die 43-Jährige, die in einer kleinen Wohnung in Farmsen Zuhause ist, undenkbar. „Das wäre für mich auf Dauer zu viel Verantwortung und zeitlich nur schwer machbar gewesen.“ Denn in der Woche ist die 43-Jährige auch beruflich eingespannt, arbeitet in einer Werkstatt für Behinderte in Altona. Sie bastelt und näht, malt und schreibt sogar einen Roman. Dennoch war sie lange Zeit auf der Suche nach einem wirklichen Sinn für ihr Leben, nach etwas, das sie nicht nur zeitlich, sondern auch emotional ausfüllt. Sie weiß, dass sie ihn im Tierheim gefunden hat. Die Hunde freuen sich, wenn Melanie Lux kommt. Sie wissen, dass hier ein Mensch kommt, der ihnen Zeit schenkt, Aufmerksamkeit und Zuwendung.

Genau das bekommt Melanie Lux durch ihr Engagement auch zurück. „Die Tiere mögen Frau Lux“, sagt Hundetrainerin Susanne David. Sie leitet seit 13 Jahren die Hundeschule im Tierheim und bildet die freiwilligen Helfer in einer speziellen Schulung für ihren Einsatz aus. 120 Hunde leben derzeit im Tierheim Süderstraße. Und Frau David kennt sie alle. Dementsprechend kann sie den ehrenamtlichen Gassigehern die passenden Tiere vermitteln. „Jemand, der Erfahrung mit Hunden hat, der sich durchsetzen kann und sicher ist, kann auch schwierigeren Tieren rausgehen“, sagt Susanne David. Für Melanie Lux wählt die Hundetrainerin die eher ruhigen Tiere aus.

Tommy ist einer von ihnen. Der Eurasier-Collie-Mix ist elf Jahre alt und seit April im Tierheim. Seine Besitzerin musste ins Altenheim und konnte das Tier nicht mitnehmen. „Jetzt wartet er, doch es kommt kein Frauchen“, sagt Melanie Lux. Das Tier geht ihr ans Herz. „Er ist ein lieber Hund, aber traurig. Und so versuche ich ihm wenigstens einmal in der Woche ein paar gute Stunden zu schenken“, sagt Melanie Lux. Einmal traf sie beim Spazierengehen mit Tommy eine alte Dame. Die beiden sprachen über den Hund. „Tommy wollte gar nicht mehr von ihr weg“, erinnert sich Frau Lux. Also fasste sie sich ein Herz und fragte ganz offen heraus, ob die Dame nicht eine Möglichkeit sehe, Tommy aus dem Tierheim zu holen. Sie hatte kein Glück. Aber ein wenig stolz war sie dennoch auf sich. Sie hatte sich für das Tier eingesetzt und sie wird es weiterhin tun.

Kontakt: Britta Marie Habenicht, Tel. 30620361, www.selbstverständlich-freiwillig.de