Sabine Niese hat ALS. Statt zu verzweifeln, kämpft die dreifache Mutter für die Erforschung der Krankheit. Jetzt hat sie ein Buch geschrieben. Es ist das bewegende Vermächtnis einer Todkranken an ihren Mann und ihre Kinder.
„Was gäbe ich für die Erinnerung, eine Treppe hinunterzurennen. Den stumpfen Aufprall meiner Füße zu spüren, der bis ins Genick hinaufreicht. Das Geräusch meiner Zähne noch einmal im Ohr wahrnehmen, wenn sie aufeinander klacken. Das Treppenlaufen ist sinnbildlich für mich geworden für das, was ich so sehr vermisse: Kraft, Dynamik, Unabhängigkeit. Mit den Kindern toben, tanzen, ein Gaspedal treten, den Schnee unter meinen Winterstiefeln knirschen hören. Ich hätte mehr erwartet. Mehr Trauer um großartige Dinge. Aber es sind die kleinen alltäglichen Dinge, die ich so schmerzhaft vermisse. Und doch ist es etwas Großes, meine Unabhängigkeit.“
Das schreibt Sabine Niese. Sie lebt in Hamburg, ist 38 Jahre alt, hat drei Söhne. 2009 erkrankte sie an Amyotropher Lateralsklerose (ALS). Das bedeutet, dass sie nach und nach ihre Muskelsubstanz verlieren wird. Sabine Niese sitzt im Rollstuhl. Irgendwann werden auch die Arme nicht mehr funktionieren, sie wird vielleicht nicht mehr sprechen können. Und die Atemmuskulatur wird betroffen sein. Drei bis fünf Jahre kann ein Mensch mit dieser Krankheit leben.
Wie verhält man sich, wenn man plötzlich erfährt, dass man unheilbar krank ist? Wenn man mit Mitte 30 plötzlich weiß, dass man seine eigenen Kinder nicht aufwachsen sehen und die Enkelkinder nicht mehr kennenlernen wird? Was passiert mit einer lebenslustigen, aktiven Frau, die plötzlich im Rollstuhl sitzt?
Sie stößt an ihre Grenzen, lernt Geduld und Gereiztheit, Hoffnung und Verzweiflung und die Welt von unten kennen: Überforderte Ärzte, aggressive Mitbürger, ignorante Beamte, die ihr absurde Stolpersteine in den Weg legen. Ihre Erfahrungen und Gedanken hat Sabine Niese aufgeschrieben. Es ist ein Abschiedsgeschenk für ihre Familie, ein Buch, das unter die Haut geht, weil es die Endlichkeit des Lebens schonungslos vor Augen führt. Es ist ein Buch, das zu Tränen rührt, weil es in Worte fasst, was nicht in Worte zu fassen ist – dass eine Mutter weiß, dass sie bald sterben wird. Und dass die Zeit vielleicht nicht mehr reicht, um ihren Kindern all das zu sagen, was man ihnen für ihr Leben mitgeben möchte. Es ist ein Buch, das zeigt, wie dicht beieinander Lachen und Weinen, Hoffnung und Verzweiflung, Mut und Angst liegen. Und es ist eine Liebeserklärung an ihre Familie, die dieses Schicksal mit ihr trägt.
Sabine Niese bringt auf den Punkt, was wirklich wichtig ist: Freude am Leben zu haben, zu lachen und zu kämpfen. Zu lieben und den Mut zu haben, sich lieben zu lassen. Und: Träume zu haben, an ihnen festzuhalten und sich seine Wunder und Erinnerungen zu bewahren. (hk)
Sabine Niese: Solange mein Herz für euch schlägt. ISBN 978-3-86882-422-3, 224 Seiten, MVG-Verlag