Vom 24. Mai bis 2. Juni läuft die Kampagne „Konfetti im Kopf“ in Hamburg. Sie will mit Workshops, Vorträgen und einer großen Open-Air-Ausstellung zu einem angstfreien Umgang mit der Thematik anregen.

Er hat keine Angst davor, irgendwann einmal selbst zu erkranken. In den Strudel der Vergesslichkeit zu geraten. An den Punkt zu gelangen, an dem Zeit keine Bedeutung mehr hat und die Erinnerungen verloren gehen.

Er hat keine Angst vor dieser Krankheit, die schleichend ist. Und von der immer mehr Menschen in Deutschland betroffen sein werden. Michael Hagedorn hat keine Angst vor Demenz. Nicht mehr. Zu lange hat der Hamburger Fotograf in die vielen Gesichter der Krankheit geschaut. Und Menschen getroffen, die ihn zum Staunen gebracht haben. Weil sie den Augenblick leben, das tun, wozu sie Lust haben. Menschen, die „etwas Kindhaftes haben, im besten Sinne“. „Sie lassen ihre Emotionen zu, weil die Schranke des Verstandes fehlt“, wie er sagt. „Sie schenken dem Augenblick mehr Bedeutung, und der ist oft sehr viel bunter und lebenswerter, als man denkt.“

Er hat die Betroffenen besucht. Zuhause und in Wohngemeinschaften. In Pflegeheimen und bei ihren Angehörigen. Er hat mit ihnen gesprochen, gelacht und geschwiegen. Und er hat sie fotografiert. In ihren ganz eigenen Lebenswelten. Weit über 40.000 Fotos von Demenzkranken hat der 47-Jährige in den vergangenen sieben Jahren gemacht. Am Anfang hatte er geglaubt, was viele denken. Dass er statt auf Menschen auf „leere Hüllen“ treffen werde. Auf Schweigen. Einsamkeit. Er hat das Gegenteil erfahren. Menschen kennengelernt, die fröhlich sind und ungeschminkt ehrlich.

Der Krankheit den Schrecken zu nehmen, neue Blickwinkel zu schaffen und einen anderen Umgang mit Demenz in der Gesellschaft anzuregen, hat sich Hagedorn zum Ziel gemacht, als er zum ersten Mal mit seinen Bildern in Berlin in die Öffentlichkeit ging. Es war der offizielle Startschuss für die Aktivierungskampagne „Konfetti im Kopf“ mit dem Motto „Mehr Respekt für Menschen mit Demenz“. Das war 2009.

Jetzt kommt die Kampagne vom 24. Mai bis 2. Juni nach Hamburg. Und Hagedorn und seine Mitstreiter vom Verein „Konfetti im Kopf“ haben ein großes Ziel: Sie wollen das düstere Klischee von Menschen mit Demenz sprengen. Zeigen, dass deren Leben oft viel facettenreicher und bunter ist als man vermutet. Und dass sie statt Mitleid und Bedauern Anerkennung und Aufmerksamkeit verdienen. „In meiner Arbeit steht nicht die Krankheit im Vordergrund, sondern die Personen dahinter, die bis zum letzten Atemzug Persönlichkeiten bleiben“, sagt Hagedorn. Er spricht deshalb auch nicht von Demenzkranken, sondern von Menschen mit Demenz.

„Nur wenn wir unsere Berührungsängste ablegen, können wir tragfähige Lösungen entwickeln, um Menschen mit Demenz aus dem gesellschaftlichen Abseits zurück in unsere Mitte zu holen“, sagt Michael Hagedorn. Dazu soll die Kampagne, deren Herzstück eine große Open-Air-Fotoausstellung in der Hamburger Innenstadt mit ungewöhnlichen Farbportraits und berührenden Geschichten Betroffener ist, beitragen. Überall, an Litfaßsäulen, Hausfassaden und Stellwänden in der Hamburger Innenstadt werden die Fotografien zu sehen sein. Sogar auf Alster und Elbe sollen Boote die Kampagnenmotive hissen. Darüber hinaus gibt es charmante, bunte Straßenaktionen, spontane Events, Konzerte, Theateraufführungen, Lesungen, Filmabende, Vorträge, Kunst- und Musik-Workshops, Tanzveranstaltungen für Menschen mit und ohne Demenz und außergewöhnliche Aktionen in allen sieben Bezirken der Stadt. Veranstaltungszentrum ist der Platz rund um die Hauptkirche St. Petri am Speersort. „Wir wollen die Leute abholen, sie überraschen. Es geht uns darum, Vorurteile und Ängste abzubauen, uns zu zwingen, genauer hinzuschauen, hinter dem Schrecken die Chancen dieser Krankheit und dem Leben damit zu sehen“, sagt Hagedorn. Ziel sei es, den Blick geradezurücken, weg von der übermächtigen Bedrohung, die allein der Gedanke an diese Krankheit auf viele ausübe. „Es geht um einen Perspektivenwechsel.“

Weil genau das ein Weg sein kann, diese Krankheit zu verstehen, die man eigentlich nicht begreifen kann. Sich einzufühlen in eine Vorstellung, die zunächst unvorstellbar ist. In einen Zustand, der weit weg ist und plötzlich ganz nah sein kann. Weil ein Angehöriger erkrankt. Oder man selbst betroffen ist. Denn die Zahl derer nimmt stetig zu. In Deutschland leben zurzeit etwa 1,4 Millionen Menschen mit der Diagnose „Demenz“. Für das Jahr 2050 sind drei Millionen prognostiziert. Es sei also höchste Zeit, dass eine breite Öffentlichkeit sich offen und ohne Scheuklappen oder Vorurteile mit diesem wichtigen Thema auseinandersetzt, finden die Initiatoren der Kampagne.

Ein erster großer Erfolg der Kampagne liegt bereits darin, dass sich mehr als 150 Institutionen rund um das Thema Pflege und Demenz unter dem Dach von „Konfetti im Kopf“ in Hamburg zusammengeschlossen haben. Das ist bundesweit einmalig und soll nachhaltig weiter wirken. Künftig soll es außerdem Kooperationen mit Schulen und kulturellen Institutionen geben.

Wenn genügend Zeit ist, wird Hagedorn selbst durch seine Ausstellung führen. Er wird die Geschichten hinter den Bildern erzählen. Von Menschen, die im Hier und Jetzt leben. Und tun, was sie wollen, auch gegen alle Konventionen. Er wird erzählen, dass seine Arbeit ein Weg ist, die eigene Sichtweise zu erweitern. „Nirgends sonst lernte und lerne ich mehr über die Geheimnisse des Denkens, über die Macht der Erinnerungen, das Wesen des Menschen und damit auch über mich selbst.“

Die Kampagne:

„Konfetti im Kopf“ startet am 24. Mai ab 11 Uhr mit einer Feier an der Hauptkirche St. Petri. Es sprechen Senatorin Cornelia Prüfer-Storcks sowie die „Konfetti im Kopf“-Botschafterinnen Bettina Tietjen, Dagmar Berghoff und Helga Rohra.

Die Highlights der Kampagne finden rund um die Petri-Kirche am Speersort statt. In den sieben Bezirken ist die Kampagne mit dem Konfetti-Mobil in Fußgängerzonen und auf Plätzen unterwegs.

Schirmherr ist Ex-Bundespräsident Roman Herzog. Die lokale Schirmherrschaft hat Bürgermeister Olaf Scholz.

Das Programm gibt es im Internet unter www.konfetti-im-kopf.de