2004 gründete er die Stiftung See You am Krankenhaus Wilhelmstift für schwer und chronisch kranke Kinder. Ihr Zentrum soll jetzt ausgebaut werden.
Sönke Siefert könnte sich zurücklehnen. Er könnte zufrieden aus dem Fenster schauen und feststellen, dass er viel erreicht hat. Der Kinderarzt könnte sich die Auszeichnungen anschauen, die er für sein Wirken erhalten hat, und sich auf die Schulter klopfen. Doch Siefert mag keinen Stillstand. Es geht ihm nur dann gut, wenn er etwas bewegen kann. Also rechnet er mal wieder. Schlägt einen großen Ordner auf, zeigt auf Bauzeichnungen und Zahlen. Erzählt, zeigt, wägt ab. Er hält sich nicht damit auf zu fragen, ob das geht, sondern will nur wissen, wie das geht.
Vielleicht ist diese Begeisterung, gepaart mit der notwendigen Ernsthaftigkeit und Erfahrung das Erfolgsgeheimnis dieses Mannes, der sich mit all seinen Kenntnissen, seinem Fachwissen, seinen Ideen und seiner Persönlichkeit für die Kleinsten der Gesellschaft und ihre Eltern einsetzt. Sönke Siefert gründete vor neun Jahren die Stiftung See You. Weil er eine Institution schaffen wollte, die die Versorgungslücke zwischen der hoch entwickelten Krankenhausmedizin und der Situation der Familie nach der Entlassung schließen wollte.
See You hat es sich zur Aufgabe gemacht, Familien mit schwer erkrankten Kindern über den stationären Aufenthalt hinaus zu helfen, ihr Leben mit oder nach der Erkrankung des Kindes einzurichten. „Gemeinsam mit der Familie wird ein Netz aufgebaut, in dem die Familie Unterstützung in ihrer schweren Situation findet“, sagt Sönke Siefert. Dabei sei es das oberste Ziel, den medizinischen Behandlungserfolg zu sichern sowie eine ausreichende Selbstversorgungskompetenz der Familie aufzubauen, bis „ihr Leben wieder gelingt“. Es geht um Frühgeborene, Kinder mit Diabetes, Jugendliche mit psychosozialer Belastung und anderen schweren und chronischen Erkrankungen. Es geht um das Leben mit einem kranken Kind. Und manchmal darum, Eltern bei der Trauer zu begleiten, wenn ein Kind stirbt. Aus der Idee, den Familien einen „Kümmerer“ zur Seite zu stellen, entstand auch das Projekt Babylotsen, das in diesem Jahr an allen Hamburger Geburtskliniken startet. Diese begleiten die Eltern in schwierigen Situationen und unterstützen auf dem Weg zu passgenauen Hilfen.
Der 49-Jährige hat nie gefragt, wie er diese Aufgabe neben seiner Tätigkeit als Arzt schaffen soll. Er hat nur gewusst, wie wichtig Nachsorge ist. Und dass es nicht sein darf, die Eltern mit ihren Kindern nach einem Krankenhausaufenthalt mit ihren Sorgen alleinzulassen. Also hat er angefangen, aus seiner Idee ein Konzept zu machen, das er 2003 der Krankenhausleitung vorgelegt hat. Ein Jahr später wurde die Stiftung gegründet, deren Geschäftsführer Siefert heute ist.
Die Begleitung der Patienten ins häusliche Umfeld ist das eine. Hinzu kommt die Versorgung vor Ort. Dazu wurde mit Unterstützung von Spenden das Patrizia-Kinderhaus gebaut, das 2009 eröffnet wurde. Es dient als Nachsorgezentrum für chronisch kranke Kinder – von denen es allein im Großraum Hamburg schätzungsweise 200.000 gibt. „Wir bieten Schulungen an, damit die Eltern lernen, wie sie mit ihrem kranken Kind umgehen müssen. Unter anderem helfen wir Neurodermitis-, Asthma- und Diabetespatienten“, sagt Sönke Siefert. Inzwischen ist das Haus feste Anlaufstelle für Diabetesschulungen, Selbsthilfegruppen und Fortbildungen. Die Nachfrage ist enorm. Acht bis zehn Diabetiker-Schulungen für Kinder und Jugendliche finden dort jedes Jahr für sieben bis zehn Tage statt. Gern würde Siefert auch die rund 300 Familien im Kinderhaus unterbringen, die aus ganz Deutschland ins Wilhelmstift kommen, um ihre Kinder hier behandeln zu lassen. Doch der Platz im Kinderhaus reicht für eine solche Unterbringung nicht aus.
Statt sich damit abzufinden, sucht Siefert nach einer Lösung. Und hat schon wieder dieses Blitzen in den Augen, diese Begeisterung in der Stimme, die sich immer dann breitmacht, wenn es etwas zu bewegen gibt. „Ich bin kein Gewohnheitstier“, sagt der Vater von drei Kindern. „Gegen regelmäßig wiederkehrende Arbeiten habe ich eine Aversion.“ Und weil er das so genau weiß, schaut er sich um, was er tun kann, und handelt, anstatt zu klagen. Er hat einen Architekten ins Haus geholt, ihm das Gebäude gezeigt und gefragt, was möglich sei. Kurze Zeit später hatte er drei Bauzeichnungen in der Hand. Die Lösung auf dem Papier ist einfach: Das Gebäude könnte um ein Geschoss erweitert werden. Auf diese Weise entstünden 400 Quadratmeter Fläche, auf der vier kleine Appartements sowie ein Elternaufenthaltsraum eingerichtet werden könnten. Eine Million Euro soll der Ausbau kosten, der sich durch Spenden finanzieren muss. Inzwischen hat Sönke Siefert ein Hamburger Mäzenenehepaar gefunden, das das Projekt zur Hälfte finanzieren möchte. Der Abendblatt-Verein „Kinder helfen Kindern“ wird mit den Einnahmen aus der Benefiz-Veranstaltung „Märchen im Michel“ den Ausbau mit unterstützen. Wenn genügend Spender gefunden werden, könnten die neuen Räume bereits Ende des Jahres eingeweiht werden.
Einer der ersten Gäste, die dort einziehen könnten, wäre Mandy Gröbel, 25. Ihr Sohn Leon ist vier Jahre alt und leidet am Apert-Syndrom. Die Finger seiner rechten Hand sind zu einem Klumpen miteinander verwachsen. Also hat sich die Familie aus Halle auf den Weg ins Wilhelmstift zu Oberarzt Max Mann gemacht, der sich auf Kinder- Handfehlbildungen spezialisiert hat. In mehreren komplizierten Operationen werden die Finger voneinander getrennt. Leon erträgt die Behandlung und die vielen Verbandswechsel tapfer. Er ist stark, auch weil seine Mutter bei ihm sein kann. Diesmal noch verbringen die beiden die gesamte Zeit im Zimmer auf der Krankenstation. Beim nächsten Mal aber schon könnten sie in einem der Familienappartements unterkommen.
Bis dahin ist jedoch noch einiges zu tun. Sönke Siefert weiß, dass es nur vorangehen wird, wenn er für die Sache brennt – und andere entzündet. Er weiß aber auch, dass am Ende die größte Belohnung wartet, die sich ein Kinderarzt vorstellen kann: das Lachen eines Kindes. „Es gibt kein schöneres Geschenk für einen Menschen“, sagt er.