Die heute 86-Jährige hat der Autorin Lieselotte Kamper ihr Tagebuch anvertraut und ihr von ihrer großen Liebe, dem Leid und dem tiefen Schmerz erzählt ...

Die Geschichte beginnt 1942 mit Edith als junger Frau, die scheinbar ein noch unbeschwertes Leben in Berlin führt. Mit ihrer Mutter macht sie Urlaub an der Ostsee. Sie lernt dort die "Liebe ihres Lebens" kennen: Bruno. Im Herbst 1943 heiraten sie. Im Winter 43/44 erlebt Edith die schwersten Bombenangriffe auf Berlin. Sie ist schwanger. Als Bruno als Marinesoldat nach Gotenhafen versetzt wird, folgt sie ihm. Edith erlebt mit Bruno die schönste Zeit ihres Lebens. Das Kind, die kleine Heike, wird geboren. Edith und Bruno sind überglücklich, bis sie mit vielen anderen vor den Russen aus Ostpreußen fliehen müssen.

Es ist der 30. Januar 1945, ein kalter Januartag. Auch Edith sitzt schon mit ihrer kleinen Tochter in dem letzten Zug, der sie nach Westen bringen würde. Da bekommt Bruno die Erlaubnis, Frau und Kind auf die "Wilhelm Gustloff" zu holen, auf der er Besatzungsmitglied ist. Kurz nach 21 Uhr, rund 60 Kilometer vor der pommerschen Küste, wird das hoffnungslos überfüllte Lazarett- und Flüchtlingsschiff von drei Torpedos getroffen.

"Edith wird durch einen lauten Knall aus ihrem Schlaf gerissen und von der starken Erschütterung aus dem Bett geschleudert. In Panik tastet sie sich zur Tür. Überall auf den Gängen stürzen die Menschenmassen zu den Aufgängen (...)".

"So furchtbar, wie es wirklich war, dafür gibt es keine Worte", erinnert sich Edith.

62 Minuten nach der Torpedierung sinkt die "Wilhelm Gustloff". Für über 9000 Menschen wird die Ostsee zum eisigen Grab, auch für ihr Kind und Bruno. Nur wenige Menschen überleben bei dieser größten Schiffskatastrophe der Geschichte. Edith ist eine von ihnen.

Über sie hat Lieselotte Kamper ein Buch geschrieben mit dem schlichten Titel "Edith". - Einfühlsam hat sie das Leben der heute 86-Jährigen nachgezeichnet, das Leben "einer besonders tapferen, starken Frau, der das Schicksal viel Leid und Schmerzen zufügte ..." Sie erinnert sich an die erste Begegnung mit ihr: "Die 85-jährige Dame", schreibt Lieselotte Kamper in ihrem Vorwort, "begegnete mir bei einem Spaziergang auf dem Huntedeich, als sie wieder einmal ihre Tochter in Norddeutschland besuchte. Edith wirkte auf mich voll unbändiger Lebensfreude. Weil sie erfahren hatte, dass ich meine Lebensgeschichte veröffentlicht habe ("Und draußen wartet die Angst", "Hochzeit in Jogginghosen"), durfte mir ihre Tochter ein Jahr später ihr wohlgehütetes Tagebuch überreichen mit der Bitte, ihr Leben aufzuschreiben.

Ich zeichnete ein Frauenporträt der Kriegs- und Nachkriegszeit, das geprägt war von Entbehrungen, schmerzlichen Verlusten, Hoffnungen auf neues Glück und wieder von Rückschlägen und persönlichen Enttäuschungen."

Erst im August 1945 ist Edith wieder in ihrer Heimatstadt Berlin, entsetzt über das Ausmaß der Zerstörung dieser Stadt und des Elends der Menschen.

Fünf Jahre Trauer, Schmerz und Einsamkeit folgen. Edith lebt in der russischen Zone, arbeitet in der Landwirtschaft. Sie lernt Raimund kennen. Ihre Sehnsucht nach Zärtlichkeit und Geborgenheit ist unbändig groß. Vier Kinder werden geboren, aber glücklich wird sie nicht. Er ist Alkoholiker, betrügt sie und lässt sie und die Kinder oft allein. Dennoch bleibt Edith in dieser "Ehehölle", schon um der Kinder willen. Durch einen Zufall gelingt ihr dann der Absprung. Sie selbst befindet sich mit den Kindern in West-Berlin bei ihrer Schwester, als die Mauer am 13. August 1961 errichtet wird. Vier Kinder, kein Westgeld, nichts. Soll sie bleiben, soll sie zurück in den Osten? Sie bleibt und geht ins Auffanglager Marienfelde. Wird ausgeflogen nach Hamburg, verbringt dort fast zwei Jahre im Flüchtlingslager, am Ende bleibt sie in Siegen. Als ihr Mann, der im Osten geblieben war, stirbt, bekommt sie eine kleine Witwenrente. Sie arbeitet, damit es zum Leben reicht.

Ein weiterer schwerer Schicksalsschlag trifft Edith, als ihr 18-jähriger Sohn tödlich verunglückt. Sie kehrt nach Berlin zurück und erlebt dort zum ersten Mal wieder in der Begegnung mit Paul ein kleines Glück. "Ja, Paul, wir sind schon 23 Jahre zusammen, und das Leben mit ihm ist wirklich schön." Von ihrer Reise nach Zypern erzählt sie. "Wir haben jeden Abend getanzt. Ich, mit 85 Jahren! Können Sie sich das vorstellen? Das Leben kann so herrlich sein, ich möchte noch viele Jahre leben. Alle Leute denken, ich bin glücklich, weil ich lache, aber ich könnte in derselben Sekunde weinen, zusammenbrechen und weinen."

Sie weinte. Wie zerrissen doch ihre Seele ist, noch immer ...Lieselotte Kamper: "Edith - Das Schicksal einer Überlebenden der Wilhelm Gustloff", Schardt Verlag Oldenburg, 195 S. 12,80 Euro, ISBN 978-3-89841-411-1.