Der Oppositionspolitiker unterstützt das Projekt “Schulreform“ des schwarz-grünen Senats.
Seit seinem Rücktritt als SPD-Landesvorsitzender im Februar 2007 hat sich Mathias Petersen politisch zurückgehalten, doch jetzt meldet er sich mit einem Paukenschlag zurück. In einem Gastbeitrag für das Hamburger Abendblatt spricht sich der Bürgerschaftsabgeordnete für die sechsjährige Primarschule aus. Der Oppositionspolitiker unterstützt damit ein zentrales Projekt des schwarz-grünen Senats.
Petersen geht zugleich mit denjenigen seiner Parteifreunde ins Gericht, die die Schulreform ablehnen. SPD-Fraktionschef Michael Neumann und Fraktionsgeschäftsführerin Britta Ernst hatten an der Demonstration gegen die Primarschule teilgenommen.
Petersen war von 2004 bis 2007 Vorsitzender der Hamburger SPD. Im Februar 2007 scheiterte die Mitgliederbefragung über die Spitzenkandidatur zur Bürgerschaftswahl, weil rund 1000 Briefwählerstimmen aus einer Wahlurne entwendet wurden. Nach den ausgezählten Stimmen lag Petersen uneinholbar vor seiner Konkurrentin Dorothee Stapelfeldt. Nach dem "Stimmenklau" trat Petersen zurück.
Wir Hamburger Sozialdemokraten wollen ein längeres gemeinsames Lernen. Das ist seit Jahrzehnten ein unumstrittenes bildungspolitisches Ziel. Dafür werben wir bei den Eltern. Dass Teile der Führung der Hamburger SPD mit der Initiative gegen die Schulreform marschieren, ist vor diesem Hintergrund nicht vermittelbar. Diese Initiative will ein längeres gemeinsames Lernen weder heute noch in 15 oder 100 Jahren. Sie will eine Beibehaltung der Trennung, also die Selektion der Schülerinnen und Schüler nach der 4. Klassenstufe. Dieser Initiative ist langes gemeinsames Lernen zutiefst fremd.
Sozialdemokraten wollen die soziale Spaltung der Stadt überwinden, das haben wir in Wahlkämpfen versprochen.
Auch schulpolitisch.
Diese Initiative hat kein wirkliches Interesse an der Lösung dieser gesellschaftlichen Aufgabe. Es gibt gesellschafts- und bildungspolitisch keine Gemeinsamkeit in den Zielen, deshalb sollte diese Initiative keine Unterstützung durch die SPD erhalten.
Die Hamburger SPD hat sich immer für gute Bildung und gerechte Bildungschancen für alle eingesetzt - unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Das war unser Motiv für die Gründung von Gesamtschulen in der Stadt. Das war unser Motiv für die Förderung der Integration der ausländischen, der lernschwachen und der behinderten Schülerinnen und Schüler. Damit wird sozialdemokratische Bildungspolitik identifiziert. Wir sollten es nicht mit der Unterstützung dieser Initiative infrage stellen.
Es gab schon einmal eine Initiative aus denselben Stadtteilen mit ähnlicher gesellschaftspolitischer Ausrichtung mit einer Gräfin von Spee an der Spitze: Es war die Initiative gegen die verlässliche Halbtagsgrundschule. Von "Käfighaltung" war damals die Rede. Gemeint war aber das längere gemeinsame Lernen am Vormittag mit allen Kindern. Die Hamburger SPD hat damals trotz zahlenmäßig sehr viel größerer Proteste als heute gegen die Primarschule an ihrem Ziel festgehalten, und es hat sich ausgezahlt: Schon ein Jahr später wurde die Reform von allen akzeptiert - um nicht zu sagen "gefeiert".
Es gibt keinen Parteitagsbeschluss, der sich für eine Ablehnung der Primarschule ausspricht - schon gar nicht die Pauschalkritik fordert, die jetzt ständig verbreitet wird. Deshalb hier und heute: Die Primarschule in Hamburg ist ein mutiger Schritt in die richtige Richtung. Er schließt schulpolitisch an die erfolgreiche europäische Entwicklung an. Natürlich muss die Umsetzung jetzt kritisch begleitet werden. So muss gewährleistet sein, dass die gesteckten Ziele - wie z. B. Förderung von schwachen und begabten Schülern, Angebot von genügend individuellen Profilen ( bilinguale Züge, Musik) und Sicherstellung von ausreichend Fachräumen und Materialien - erreicht werden. Hier haben alle Eltern und Kinder einen Anspruch, dass die SPD ein waches Auge darauf hat.
Wir sollten uns aber fragen, welchen Weg die SPD denn selber in einer Koalition mit der GAL 2008 gegangen wäre. Wäre es nicht ein vergleichbarer Kompromiss gewesen?
Diese Reform muss heute kommen und kann nicht mehr Jahrzehnte aufgeschoben werden, denn angesichts volkswirtschaftlich schwieriger Zeiten gilt mehr denn je, dass nur eine gute Bildung Menschen vor Arbeitslosigkeit schützt. Und eine frühe Trennung fördert nun mal keine gute Bildung für alle. Das bildungspolitisch erfolgreiche Europa sieht das so.
Eine Mehrheit der Hamburgerinnen und Hamburger unterstützt diese Erneuerung des Schulsystems. Es sind fast 60 Prozent der SPD-Wähler, die die Primarschule befürworten. Es droht die Gefahr, dass sich die SPD durch die jetzige Fundamentalopposition gegen die Primarschule und insbesondere durch ein Bündnis mit der Initiative ins Abseits manövriert wird und wir viele Freunde und Wähler verlieren: in der eigenen Partei, in den Gewerkschaften, im sozialliberalen und im linksliberalen Teil unserer Bevölkerung.
Das wäre nicht nur inhaltlich, sondern gerade auch vor den anstehenden Europa- und Bundestagswahlen strategisch fatal.
Ich wünsche mir, dass die Hamburger SPD diese Reform konstruktiv und kritisch begleitet und somit die Hand reicht für einen Bildungsfrieden, der in unserer Stadt Bestand hat.
Unsere Kinder können es mit Recht von uns erwarten.