Im Leistungskurs am Gymnasium Kirchdorf/Wilhelmsburg lernen 31 Schüler aus 20 Glaubensgemeinschaften.

Ein kunstvoll gezeichneter Buddha an der Tür des Klassenzimmers fordert mit grüßend erhobener Hand zum Eintreten auf. Wer ihm folgt, betritt den Unterrichtsraum für Religion am Gymnasium Kirchdorf/Wilhelmsburg, kurz KiWi genannt. Bunte Mandalas und die Symbole der Weltreligionen schmücken die Wände - jüdischer Davidstern und christliches Kreuz, das arabische Wort für Gott, das verschlungene Om-Zeichen der Hindus und das an ein Wagenrad erinnernde Symbol der Buddhisten. Rechts und links der Wandtafel sind kleine Altäre aufgebaut: ein Kruzifix neben einer Buddha-Figur, ein Büchlein des Dalai Lama zwischen Koran und Rosenkranz.

Inmitten Moscheen, Kirchen und buddhistischen Tempeln, die Schüler aus Papier gebastelt haben, steht eine Madonna neben Bildern indischer Götter. An der Tafel steht Andreas Gloy (43) und malt mit festen Kreidestrichen zwei Kreise an die Tafel, die sich fast vollständig überschneiden. "Islam und Christentum haben eine große gemeinsame Schnittmenge", erklärt der Religionslehrer. Dann schraffiert er die kleinen, außerhalb liegenden Flächen und sagt: "Das sind die restlichen zehn Prozent. Über diese Unterschiede reden wir in unserem Unterricht aber auch. Das ist schwierig, aber nur so sind ehrliche Dialoge möglich."

Dass die Dialoge auch authentisch sind, liegt an der Multireligiosität seiner Schüler, die im Kreis vor ihm sitzen. Etwa Swantje (17), die als Protestantin zur Minderheit in dieser Runde gehört - sie möchte "später einmal etwas Theologisches machen, vielleicht Diakonin werden". Oder Belkes (16), mit schwarzem Kopftuch zum modischen Outfit, die mit 1,3 Milliarden anderen Muslimen an das glaubt, was im Koran geschrieben steht. Und Gurpreet (16), einer Sikh, deren Familie aus Indien und einer ganz anderen Religionskultur stammt.

Die Mädchen und 30 weitere KiWi-Schüler haben Religion als Leistungskurs gewählt. Sie gehören 20 unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften an: Es sind Christen verschiedenster Konfessionen dabei, Sunniten und Schiiten, Juden, Aleviten und Amadyya. Dass sie gemeinsam unterrichtet werden, gibt es nur in Hamburg.

"In allen anderen Bundesländern sitzen Schüler nach Religionen getrennt. Da ist ein Dialog nicht möglich", sagt Andreas Gloy. Getrennter Unterricht verhindere die Zusammenführung einer multikulturellen und multireligiösen Schülerschaft.

Dieser Problematik begegnet man in Hamburg schon seit 1997 mit dem "Religionsunterricht für alle". Das Motto dieses interreligiösen Unterrichts lautet "Orientierung und Identitätsfindung durch Dialog und Begegnung". Als einziges Fach wird der Inhalt des Religionsunterrichts nicht nur von der Schule verantwortet, sondern von der Evangelischen Kirche. Lehrpläne und Unterrichtsmaterial werden vom Pädagogisch-Theologischen Institut (PTI) in enger Zusammenarbeit mit dem "Gesprächskreis interreligiöser Religionsunterricht" (GIR) erarbeitet, dem Imame, Rabbiner, buddhistische Mönche und andere Religionswissenschaftler angehören. Die Entscheidung für dieses Modell war damals nicht leicht. "Es war keine geringe Herausforderung für die Kirche", erinnert sich Pastor Andreas Schultheiß. "Bedeutete es doch, den christlichen Wahrheitsanspruch gewissermaßen in die Diskussion zu stellen." Doch wer das Evangelium ernst nehme, begegne Menschen aus anderen Religionen ohne Anmaßung, sagt der Theologe. Genau das solle im Religionsunterricht umgesetzt werden. Andreas Gloy versucht, bei seinen Schülern Respekt und Verständnis für den Glauben ihrer Mitschüler zu wecken. Und nicht nur das. "Ihr müsst später mehr als Toleranz aufbringen, um Konflikte mit Andersgläubigen zu vermeiden. Ihr müsst auf sie zugehen", legt er ihnen ans Herz. Damit seine Schüler fundiertes Wissen über die verschiedenen Religionen erwerben, hat er sie schon oft über verschiedene Themen diskutieren lassen: etwa über die Verpflichtung der Muslime, Almosen zu geben. Oder über den Palästinenser-Konflikt, Abtreibung und Todesstrafe. Die Schüler mögen diese Art von Unterricht. "Eine offene Diskussion über Religion ist gut für den Umgang miteinander", sagt Swantje. Und Belkes ergänzt: "Ich möchte meinen Glauben anderen erklären dürfen. Wenn sie ihn dann nicht teilen, kann ich das eher akzeptieren."

Die Schulbehörde ist von dem interreligiösen Religionsunterricht so überzeugt, dass im Koalitionsvertrag dessen Weiterentwicklung vereinbart wurde. "Das ist ein erfolgreicher und über die Grenzen der Stadt hinaus viel beachteter Ansatz", sagt Schulsenatorin Christa Goetsch. "Er leistet einen wichtigen Beitrag zur Integration in einer multireligiösen Gesellschaft."