Hamburg. Für den Ernstfall gibt es ausgeklügelte Einsatz-Konzepte. Schüler werden am Tag danach von Psychologen betreut.
Nach dem Amokalarm in der Otto-Hahn-Schule in Jenfeld ist dort noch längst kein Alltag wieder eingekehrt. An der Stadtteilschule muss der dramatische Tag aufgearbeitet werden. Für die Schüler und Schülerinnen sind mehrere Mitarbeiter der Beratungsstelle Gewaltprävention und des regionalen Bildungs- und Beratungszentrum im Einsatz. Bei der Polizei wird versucht, die Verursacher des Amokalarms zu ermitteln. Ein 16-Jähriger, der noch am Dienstag in Verdacht geraten war, ist weitgehend entlastet.
Auch wenn es angesichts der Bilder etwas untertrieben wirkt: Für die Polizei war es ein Routineeinsatz. Für solche Fälle liegen Pläne „in der Schublade“. Der Einsatz am Dienstag war als „lebensbedrohliche Einsatzlage“ deklariert. Das ist eine Stufe unter einer Amok- und zwei Stufen unter einer Terrorlage. Die Abläufe sind klar geregelt.
Nachdem zwei etwa 16 Jahre alte Jugendliche gemeldet wurden, von denen einer eine Pistole aus einem Rucksack geholt und in das Hosenbund gesteckt haben soll, bevor das Duo in Richtung der Schule ging, hat der „Polizeiführer vom Dienst“ die Leitung übernommen und eine BAO („Besondere Aufbauorganisation“) gebildet. Er führt aus dem Polizeipräsidium die verschiedenen Einsatzabschnitte.
Amokalarm: Klassenräume waren verschlossen
Im konkreten Fall war es der Abschnitt „Gefahrenbereich“, die Schule, der unter Führung eines Beamten der Wache Rahlstedt stand. Dazu kamen die Einsatzabschnitte „Verkehr“, in dem Fall für die Sperrung der Jenfelder Allee zuständig, der Einsatzabschnitt „Präsenz“ für das Umfeld der Schule, der Einsatzabschnitt „Öffentlichkeitsarbeit“, der den Kontakt zu den Medien vor Ort herstellt und sich um die Öffentlichkeitsarbeit kümmert, und der Einsatzabschnitt „Betreuung“, der unter anderem eine Sammelstelle für die besorgten Eltern der Schüler einrichtet. Gleichzeitig begann die Kripo vor Ort mit der Einrichtung einer Anlaufstelle für Zeugen und deren Vernehmung.
Eine „lebensbedrohliche Einsatzlage“ war es für die Polizei, weil keine Schüsse gefallen oder Hilfeschreie zu hören gewesen waren. Die Einsatzleitung konnte das SEK abwarten. Die besonders gut für solche Situationen ausgebildeten und ausgerüsteten Beamten durchkämmten das weitläufige Schulgelände, auf dem sich mehr als 1400 Kinder und Jugendliche in Klassenräumen aufhielten, auf der Suche nach den beiden Verdächtigen.
Dabei wurde Gebäude um Gebäude durchsucht. Die Schüler blieben in der Zeit in den Klassenräumen. Lehrer haben für eine solche Situation Schlüssel und verschließen den Klassenraum von innen. Die Schüler können dann nicht einmal zur Toilette.
Amokalarm in Jenfeld: Wie der Tag danach verlief
Gesicherte, also durchsuchte Gebäude, wurden dann sukzessiv geräumt. Die Polizei versucht in so einem Fall, die jüngeren Schüler zuerst aus den Klassenräumen zu holen.
Völlig anders wäre die Situation gewesen, wenn beispielsweise Schüsse gefallen wären. Dann wären die ersten eintreffenden Polizisten sofort in die Schule gestürmt, um den oder die Schützen unschädlich zu machen. „Alle Kollegen sind dafür ausgebildet und ausgerüstet“, sagt Polizeisprecherin Sandra Levgrün.
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Ein Sprecher der Schulbehörde sagte am Morgen nach dem Amokalarm: „Es gibt eine Betreuung und Aufarbeitung des gestrigen Vorfalls in den Schulklassen.“ Mitarbeiter der Beratungsstelle „Gewaltprävention“ und Schulpsychologen sind im Einsatz und stimmen sich mit der Schulleitung ab.
Christian Böhm, Leiter der Beratungsstelle „Gewaltprävention“, erklärt, wie seine Mitarbeiter vorgehen: „Wir sind ab 7.15 Uhr an der Schule gewesen, um die Aufarbeitung mit den Lehrkräften abzustimmen. Erste Fragen sind zum Beispiel ‚Wie schreibt man einen Elternbrief?‘ oder ‚Wie gestaltet man den nächsten Tag?‘ Auch ist wichtig, wie das Ereignis in den Klassen aufgegriffen worden ist. Sind Lehrer zum Beispiel überfordert? Manchmal ist auch der Aufbau individueller Beratungsstrukturen nötig.“ Seine Mitarbeiter unterstützten dabei, den Tag zu strukturieren. Auch Krisenhund Lotta sei im Einsatz.
Amokalarm: Wie ein Aldi-Filialleiter half
Betroffen war auch Femija Avdija, Filialleiter bei Aldi an der Jenfelder Allee, dessen Verkaufsräume in Sichtweite zur Schule liegen: „Natürlich ist es heute Gesprächsthema hoch drei“, sagt er, selbst Familienvater. „Meine Mitarbeiter und ich kennen viele Schüler und deren Eltern, die kommen täglich zu uns. Wir sind alle einfach so froh, dass niemandem etwas passiert ist. Gestern, das war ein Ausnahmezustand.“ Als am Dienstag die „Vielzahl von Polizisten kam und die Straße gesperrt wurde“, da habe er sofort den Markt geschlossen, die Sicherheit der Mitarbeiter stand im Vordergrund.
„In Absprache mit der Einsatzleitung haben wir dann alles für den Fall vorbereitet, dass die Polizei die Schüler zu uns bringt und sie hier von den Eltern abgeholt werden können.“ Da es regnete und die Kinder ohne Jacken aus den Klassen kamen, hatte Avdija alle möglichen Textilien, von Bettwäsche über Decken, schon an der Eingangstür gestapelt.
„Schlussendlich kamen nur vereinzelt Kinder, aber wir konnten vielen verzweifelten Eltern helfen, ob mit einem Handyladekabel oder einem Gespräch“, sagt der 33-Jährige, der seit acht Jahren die Filiale leitet. Und Gesprächsbedarf, den werde es wohl auch in den kommenden Tagen noch geben.