Brunsbüttel. Viele Hinweise, dass 41-Jährige erweiterten Suizid nur vorgetäuscht hat. Heiße Spur nach Zeugenaussage. Interpol eingeschaltet.

Der Gedanke lässt innerlich frösteln: Bei Dunkelheit soll die 41 Jahre alte Mutter aus Dithmarschen am Sonntag ins Watt der Nordsee hinausgegangen sein – an der Hand ihren erst acht Jahre alter Sohn. Polizei und Feuerwehr setzten alle Hebel in Bewegung, Suchmannschaften, Rettungskreuzer, Hubschrauber. Ergebnislos.

Im Fall der vermissten Dithmarscherin und ihrem Sohn stellten sich die Ermittler zunächst auf den schlimmsten Fall ein – „erweiterter Suizid“. Nun hat das mysteriöse Verschwinden eine dramatische Wendung genommen: Die Mutter hat das Suizid-Drama mit ihrem Sohn sehr wahrscheinlich nur vorgetäuscht und hält sich möglicherweise in Spanien auf. Die Polizei hat Interpol eingeschaltet.

Mutter und Sohn (8) vermisst – Zeuge liefert heiße Spur

Das legen neue Erkenntnisse der Kriminalpolizei nahe. Eine heiße Spur zum Aufenthaltsort der Mutter hat ein Zeuge gegeben, der sich am Donnerstag gemeldet und von der Heider Kriminalpolizei vernommen wurde. "Er gab an, Dinge von der vermissten 41-jährigen gekauft zu haben", sagte Polizeisprecher Stefan Hinrichs am Freitag.

Aus der Befragung habe sich ergeben, dass die Frau in den vergangenen Wochen verschiedene Hausratsgegenstände an den Mann verkauft hat. "Bei den Verkaufsterminen sind sich die beiden auch etwas nähergekommen", sagte Hinrichs von der Polizeidirektion Itzehoe dem Abendblatt. Die beiden seien mehrere Male gemeinsam essen gegangen.

Die Vermisste hat dem Zeugen in der vergangenen Woche zudem eröffnet, dass sie ihre Haftstrafe nicht antreten wolle, so Hinrichs. Die 41-Jährige, die laut Polizei seit Längerem von ihrem Mann getrennt lebt, hätte wegen Computerbetrugs in zwei Fällen in der JVA Lübeck eine Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monate antreten müssen.

Vermisste Frau mit Sohn in Spanien? Interpol eingeschaltet

Dem Zeugen erzählte die Frau weiter, sie werde ihr Lebensumfeld verlassen und habe vor, Familienangehörige in Spanien aufzusuchen. Sie hätte dazu auch einige große Koffer besorgt.

Polizeisprecher Hinrichs: "Die Kripo hat nun Kontakt mit Interpol aufgenommen, um die entsprechenden Behörden in Spanien zu informieren." Ob die Frau tatsächlich nach Spanien gereist ist und um welche Gegend in Spanien es sich gegebenenfalls handelt, sei noch nicht bekannt. "Die Ermittlungen bleiben spannend", so Hinrichs.

Fußspuren von Mutter und Kind führten durchs Watt zum Wasser

Bereits am Donnerstag hatten sich die Hinweise für ein gezieltes Abtauchen aus dem Lebensumfeld verdichtet. Viele Hinweise sprachen bereits dafür, dass es sich um eine Flucht statt um Suizid handelt. „Die Kriminalpolizei konnte ermitteln, dass die Frau vor ihrem Verschwinden ihr Konto und das ihres Sohnes leergeräumt hatte“, sagte Stefan Hinrichs am Donnerstag. „Zudem hatte die Frau ihre kompletten Ausweispapiere dabei.“

Ihr Verschwinden vorzutäuschen und im Watt eine falsche Spur zu legen, muss die 41-Jährige seit Längerem geplant haben. Denn einige Tage zuvor hatte sie ihr Auto für mehrere Tausend Euro verkauft. Zudem hätte die Mutter des Achtjährigen ins Gefängnis müssen.

Die Frau war am 20. Februar 2019 wegen Computerbetrugs zu einer eineinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt worden, wie Dominik Mies, Sprecher der Staatsanwaltschaft in Hanau, dem Abendblatt sagte. "Das Urteil wurde am 17. Juli rechtskräftig." Doch die 41-Jährige beantragte Stafaufschub. Dieser wurde am 10. Oktober abgelehnt – drei Tage vor ihrem Verschwinden.

Handy der Frau war abgeschaltet

Derzeit prüfen die Ermittler weitere Hinweise aus der Bevölkerung, die nach der Veröffentlichung der Fotos von Mutter und Sohn eingegangen sind. „Der Aufenthaltsort von Mutter und Sohn ist nach wie vor unbekannt“, so Hinrichs. Auch das Mobiltelefon bringt die Ermittler nicht weiter, da die Frau ihr Handy abgeschaltet hat.

Die 19-jährige Tochter der vermissten Frau hatte am späten Sonntagabend die Polizei verständigt. Daraufhin wurde eine großangelegte Suche am Brunsbütteler Elbdeich in die Wege geleitet, bei der auch speziell ausgebildete Suchhunde und Wärmebildkameras zum Einsatz kamen. „Die gezielte Absuche der Elbe und der Uferbereiche ist inzwischen eingestellt worden“, teilte die Polizeidirektion Itzehoe bereits am Dienstag mit. Auch dort sprach er bereits von der Möglichkeit, dass „die vermisste Frau gezielt ihr Lebensumfeld verlassen wollte“, wie Polizeisprecher Stefan Hinrichs sagte.

Tochter der Vermissten wird betreut

Laut Polizei hatten die Beamten am Tag des Verschwindens gegen 21.25 Uhr von der Tochter den Hinweis bekommen, dass die 41-Jährige mit ihrem kleinen Sohn mit der Ankündigung eines Selbstmords über den Elbdeich in Richtung Wasser gegangen seien. Fußspuren im Watt, Kleidungsstücke sowie Schuhe an einer Buhne hätten darauf hingedeutet, dass sich die Frau und der Junge in Wassernähe aufgehalten hätten. Die Tochter der verschwundenen 41-Jährigen soll sich in intensiver seelsorgerischer Betreuung befinden.

Die überraschende Wendung bei der aktuellen Vermisstensuche erinnert an den Fall von Reiner Reiber, Ehemann der früheren Bürgermeisterin von Westerland auf Sylt. Er hatte sich am 18. September 1996 in sein Auto gesetzt und war zu einer angeblichen Dienstreise nach Frankfurt am Main aufgebrochen.

Tags darauf telefonierte seine Ehefrau Petra Reiber zuletzt mit ihm. Erst ein Jahr später, nachdem auch ein Beitrag in der Fernsehsendung „Aktenzeichen XY“ zu dem Fall gesendet worden war, spürten die Ermittler den vermissten Mann lebendig auf. Er hatte dort unter seinem Geburtsnamen Born gelebt. „Er ist gut drauf“, wurde ein Polizeisprecher damals zitiert. Petra Reiber sei angesichts der Nachricht „freudig erregt“ gewesen.

In dem aktuellen Fall setzt die Polizei weiterhin auf Hinweise zum Verschwinden und Aufenthaltsort der 41-jährigen und ihres Sohnes. Mögliche Zeugen werden gebeten, sich unter Tel. 0481-940 zu melden.