Hamburg. Erneut kracht eine Seniorin mit ihrem Auto in ein Geschäft – an der Waitzstraße gab es bereits 20 solcher Vorfälle.
Schon wieder ist es passiert, schon wieder ist ein Auto an der Waitzstraße in ein Geschäft gekracht. Am Montag, gegen 10 Uhr, steht eine Mercedes-C-Klasse in der Mode-Boutique „Die Engelei“. Der Schaufensterbereich ist demoliert, der Laden verwüstet. Beim Aufprall hat die Limousine Waren und das Schaufenster bis tief in den Verkaufsraum geschoben. Kurioserweise steht der Wagen mit der ganzen Länge und der Front voran im Geschäft. Einige Passanten, die am Unfallort vorbeischlendern, zucken nur die Achseln. Das Szenario ist hier ein Klassiker – und fast Normalität in Groß Flottbek.
Rund 20 dieser „Einparkunfälle“ gab es bisher an der Waitzstraße, und fast immer saßen hinter dem Steuer der häufig stark motorisierten Autos Fahrer, die älter als 70 Jahre waren. So wie im aktuellen Fall auch. Feuerwehrleute befreiten die in ihrem Wagen eingeschlossene 83-Jährige, sie kam mit einem leichten Schock ins Krankenhaus. Eine Kundin aus der „Engelei“ klagte zudem über Kreislaufbeschwerden und musste am Unfallort versorgt werden. Ein Löschfahrzeug der Feuerwehr schleppte den Mercedes wenig später auf die Straße ab.
Wie es zu dem Unfall kam
Nach Angaben der Polizei hatte die Frau aus noch ungeklärter Ursache die Kontrolle über ihr Auto verloren, als sie auf Höhe der Hausnummer 8 vorwärts auf einen Parkplatz fahren wollte. Statt zu stoppen, beschleunigte der Wagen. Der Mercedes mit Automatikgetriebe hatte so viel Schwung, dass er noch einen Poller umriss, bevor er in das Geschäft krachte.
Solche Poller hatte der Bezirk Altona 2016 vor den Parkbuchten aufgestellt, um Unfälle dieser Art zu verhindern und die Einkaufsstraße sicherer zu machen. Bis dahin gab es zwischen den Querparkplätzen und den Geschäften keine Hindernisse. Häufig hatten Unfallfahrer beim Einparken Bremse und Gaspedal verwechselt – und waren dann mit Karacho in die Läden gerast.
Erst im März hatte eine 81 Jahre alte Frau auf der Waitzstraße die Kontrolle über ihren Mercedes verloren, mutmaßlich beim Einparken. Zunächst rammte das Auto einen Mülleimer, dann fuhr es über den Gehweg in einen Friseursalon. Verletzt wurde bei dem Manöver niemand. Bitter: In den Salon war gut fünf Jahre zuvor schon einmal ein Auto gekracht. Für die „Engelei“ hingegen war es am Montag eine traurige Premiere.
Frank Haartje vom Business Improvement District (BID) klingt etwas ratlos. Die Umbauten an der Waitzstraße seien durchaus geeignet, die Verkehrssicherheit in dem Bereich zu erhöhen, sagt Haartje dem Abendblatt. „Wenn sich die Situation aber erneut verschärft, sollte man darüber nachdenken, die Abstände zwischen den Pollern zu verkürzen.“
Wann kommen endlich Fahrtests für Rentner?
In Hamburg stieg die Zahl der Unfälle mit Seniorenbeteiligung 2018 um 1,1 Prozent, insgesamt waren es 12.342. In mehr als 60 Prozent waren ältere Menschen die Hauptverursacher. Nach neuesten Zahlen waren im ersten Quartal dieses Jahres aber weniger Senioren an Unfällen beteiligt.
Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) fordert seit Jahren verpflichtende Fahrtests für Menschen ab 75 Jahren – bisher hatte sie keinen Erfolg damit. Selbst Senioren, die einen schweren Unfall verursacht haben, müssen sich bislang nicht einer erneuten Fahrprüfung unterziehen. Die Hamburger Polizei führte jedoch bereits 2016 als erste Landespolizei den Standardisierten Fahrtüchtigkeitstest (SFT) ein. Dafür gibt es 105 speziell ausgebildete Beamte, die nach Unfällen ausrücken und die Fahrer in der Regel sofort testen – es geht dabei sowohl um die körperliche als auch geistige Verfassung.
Rentnerin musste ihren Führerschein abgeben
Diesem Test hat sich gestern auch die 83-jährige Unfallfahrerin unterzogen – sie musste ihren Führerschein abgeben. „Wenn es Hinweise auf eine Fahruntüchtigkeit aus medizinischen Gründen oder etwa wegen des Konsums von Alkohol oder Drogen gibt, kann der Führerschein auch dann vorläufig entzogen werden, wenn die Betroffenen den Test verweigert haben“, sagt Polizeisprecherin Evi Theodoridou.
Laut Polizeistatistik wurde der Fahrtüchtigkeitstest im Jahr 2018 bei 580 Menschen in Hamburg durchgeführt, darunter waren 258 Senioren (44 Prozent). In 162 Fällen folgten danach weitere Maßnahmen wie die Untersagung der Weiterfahrt, 119 Fahrern wurde der Führerschein entzogen. Der Großteil der getesteten Autofahrer absolvierte den SFT dagegen erfolgreich. Inzwischen führt auch Bremen nach dem Hamburger Vorbild den Test ein.
Nachdem der 85-jährige Klaus W. aus Bramfeld am 30. April mit seinem Mercedes GLR in das Alstertal-Einkaufszentrum (AEZ) gefahren war, hatte er sich ebenfalls freiwillig diesem Test gestellt. Der Mann bestand. Er gab gegenüber der Polizei an, dass er auf dem Parkplatz des AEZ zunächst zugeparkt worden war – als er versuchte, über die Beifahrertür auf den Fahrersitz zu klettern, sei der Wagen versehentlich losgefahren. Bei dem Unfall entstand erheblicher Sachschaden. Klaus W. durfte nach dem bestandenen Test seinen Führerschein behalten.