Hamburg. Der Rocker ist zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt. Aber das Gericht brauchte zu lange für das Verhandlungsprotokoll.

Die Hamburger Justiz hat einen verurteilten Vergewaltiger und Geiselnehmer wieder auf freien Fuß gesetzt. Das Hamburger Landgericht hat einer entsprechenden Haftbeschwerde des Rockers Musa K. stattgegeben. Am Mittwoch wurde er aus dem Gefängnis entlassen, weil die Justiz zu langsam gearbeitet hat. Das bestätigte der Gerichtssprecher Kai Wantzen gegenüber abendblatt.de.

Der zur Tatzeit als „Road Captain“ zur Rockergruppe „United Tribunes“ gehörende K. war am 28. Oktober 2017 wegen „Geiselnahme in Tateinheit mit besonders schwerer Vergewaltigung sowie vorsätzlicher und gefährlicher Körperverletzung“ und unerlaubten Waffenbesitzes zu sechs Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt worden. Er hatte sein Opfer mehrfach brutal vergewaltigt und sogar versucht, die Frau zur Prostitution zu zwingen. Von letzterem Vorhaben hatte er schlussendlich noch Abstand genommen, das Gericht sprach ihn von diesem Vorwurf frei. Sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft legten Revision gegen das Urteil ein. Es wurde folglich noch nicht rechtskräftig, K. verblieb in Untersuchungshaft. Doch die dauerte zu lange.

Personalmangel als Grund der Panne

Dieselbe Kammer, die K. im Oktober 2017 verurteilt hatte, gab jetzt seiner Haftbeschwerde statt. Denn laut Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe darf die Untersuchungshaft nicht länger dauern als unbedingt nötig. Das Gericht hat aber weder die schriftliche Urteilsbegründung noch das Protokoll der Hauptverhandlung „so schnell wie möglich“ vorgelegt, sondern die gesetzliche Frist von mehreren Wochen voll ausgeschöpft. Und das, obwohl „so schnell wie möglich“ für Karlsruhe bedeutet, dass die gesetzlich zulässige Frist deutlich unterboten wird.

Am 22. Dezember, dem Tag des Fristablaufs, lag das Urteil vor. Aber das Protokoll der Verhandlung, dessen Vorliegen Voraussetzung für eine Akteneinsicht der Verteidigung ist, lag wegen der komplizierten Abstimmungs- und Genehmigungsprozesse erst im März 2018 vor.

Wenn die Revision durch ist, muss K. ins Gefängnis

„Die Kammer war durchgehend mit immer mindestens vier, teilweise sogar mit sechs parallel laufenden Hauptverhandlungen befasst“, sagte Wantzen, „es war einfach nicht schneller zu schaffen.“ Letztlich gab er Überlastung und Personalmangel in der Justiz als Grund für die Panne an. Rocker Musa K. werde aber nur bis zur Entscheidung im Revisionsverfahren auf freien Fuß gesetzt. Danach müsse er seine Haftstrafe antreten.

K. weiter in Untersuchungshaft zu halten, wäre nach Lage der Dinge „nicht verhältnismäßig“ gewesen, sagte Wantzen. Die wegen Fluchtgefahr verfügte Untersuchungshaft schütze zwar das Strafverfolgungsinteresse des Staates. Dieses Interesse sei allerdings nicht nur zu behaupten, sondern durch zügiges Vorgehen auch praktisch zu dokumentieren. Das sei nicht gelungen. Insofern sah das Gericht das Interesse des Einzelnen überwiegen und ließ ihn frei.

Gericht sah keine Wiederholungsgefahr

Das Gericht sah bei K. auch keine Anhaltspunkte für eine „Wiederholungsgefahr“ und nahm also an, dass er sein früheres Opfer nicht erneut drangsalieren, bedrohen oder gar angreifen werde. Die „Wiederholungsgefahr“ kann ebenfalls eine Untersuchungshaft begründen und hätte im vorliegenden Fall zur Ablehnung der Haftbeschwerde führen können. Von „Wiederholungsgefahr“ gehen die Gerichte jedoch erst aus, wenn der Täter entsprechende Taten ankündigt oder pathologisch veranlagt ist. K. ließ dergleichen offenbar nicht erkennen. Er saß seit Januar 2016 in Untersuchungshaft und ist mittlerweile aus der Rockergruppe ausgetreten.

Wantzen verwies darauf, dass der Justizsenator Till Steffen (Grüne) bereits im vergangenen Jahr die Einrichtung von vier neuen großen Strafkammern am Landgericht angekündigt hat und dazu auch vier Kräfte für die Geschäftsstellen einstellen will. Damit werde dem Personalnotstand jetzt abgeholfen, sagte Wantzen. „Die Erleichterung darüber ist sehr groß bei den Gerichten.“