Hamburg. Als dem Elfjährigen die Kräfte schwanden, trat Cui K. ihm in aller Öffentlichkeit in den Bauch. Zeugen geben sich vor Gericht entsetzt.

Die Wartehalle am Zentralen Omnibusbahnhof ist gut gefüllt an diesem Tag Ende Dezember 2015. Plötzlich sinkt ein kleiner Junge vor einer Frau auf die Knie. Dann macht er direkt vor ihren Füßen Liegestütze, draußen, in aller Öffentlichkeit. Als ihm nach fünf Minuten die Kräfte schwinden, tritt sie ihm in den Bauch.

Der Junge bricht in Tränen aus, setzt aber die Kraftübung fort, bis die Hochbahn-Wache eintrifft. Zwei Zeuginnen, die die brutale Szene am Mittag des 28. Dezember 2015 beobachtet haben, verschlägt es noch heute fast den Atem. „Als die Frau das Kind trat, klang das wie ein Fußballspieler, der einen Fußball tritt“, sagt die Zeugin Anne K. (27).

Zwölfjähriger lebt zurzeit in Peking

Die Frau, die den damals elf Jahre alten Jungen misshandelt hatte, ist seine Mutter. Am Dienstag steht sie vor dem Amtsrichter in St. Georg. Angeklagt ist Cui K. (51) wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen. Man merkt der Chinesin an, wie unangenehm ihr der Auftritt ist.

Über ihren Verteidiger lässt sie ausrichten, dass sie ihren Sohn liebt, dass er die Hälfte des Jahres in Deutschland lebt, damit er zumindest zeitweise der Luftverschmutzung in Peking entgehen kann. Und dass sie eigentlich auch schon genug gestraft sei. Denn unmittelbar nach dem Vorfall hatten ihr die Behörden das Kind für elf Tage entzogen. Der heute Zwölfjährige lebt zurzeit bei seinem Vater in Peking.

Junge hatte angeblich getrödelt

Der Prozess wirft einige Fragen auf, insbesondere zum Rechts- und Er­ziehungsverständnis der Angeklagten. Gleich zu Anfang moniert ihr Verteidiger, dass seine Mandantin im Vorfeld nur deshalb ein schriftliches Geständnis unterschrieben habe, weil sie von einer Übersetzerin der chinesischen Botschaft in die Irre geführt worden sei.

Die habe ihr nämlich gesagt: „Gestehe, dann verschont dich die Regierung vielleicht.“ Nur sei es so, wie die Angeklagte es auf dem Papier gestanden habe, nun mal nicht passiert. Tatsächlich habe sie sich an diesem Tag über ihren Sohn geärgert, weil der getrödelt habe und sie deshalb ihren Bus nach Berlin verpasst hätten.

Kniefall vor der Mutter

Um die Zeit bis zum nächsten Bus zu überbrücken, habe ihr Sohn nur das gemacht, was er jeden Tag mache: Er habe sein Fitnessprogramm mit bis zu 200 Liegestützen absolviert. „Vorher gab es keine Zeit dafür“, sagt der Verteidiger im Namen seiner Mandantin. Weil der Junge die Übung aber nur halbherzig verrichtete, habe Cui K. ihn mit ihrem Fuß angetippt oder besser: korrigiert. „Das war eher nach dem Motto: Jetzt mach mal vernünftig.“

Die Staatsanwältin bewertet den Fall in ihrem Plädoyer ganz anders: Schon der Kniefall vor der Mutter in aller Öffentlichkeit – eine Entschuldigungsgeste – sei erniedrigend, die aus Ärger über den verpassten Bus angeordneten Liegestütze eine Demütigung gewesen. Erst recht entwürdigend sei dann der Tritt gewesen. „Sie stellten Ihre Rachegefühle, Ihren Ärger über die Gefühle Ihres Kindes“, sagt die Staatsanwältin. Der Verteidiger bleibt bei seiner Freispruch-Strategie: Der Junge habe die Liegestützen freiwillig gemacht, mit dem leichten Tritt habe die Angeklagte ihren Sohn zu mehr Leistung anspornen wollen.

Insgesamt 2700 Euro Geldstrafe

Das Urteil: eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 30 Euro wegen Körperverletzung, insgesamt 2700 Euro. Körperliche Züchtigung als erzieherischer Rechtfertigungsgrund sei im Jahr 2000 aus dem Gesetz gestrichen worden, so der Richter. „Wer sich mit seinem Kind in Europa aufhält, muss ein laienhaftes Verständnis dafür haben, dass so ein Tritt Unrecht ist“. Auch wenn man das in China möglicherweise anders sehe.