Hamburg. Täter suchen über Callcenter aus dem Ausland nach Opfern und geben sich als Beamte aus. Sie sind technisch sehr versiert.
Es waren Anrufe, die der 93 Jahre alten Marie L.* beinahe ihre gesamten Ersparnisse von 150.000 Euro gekostet hätten. Über gut zwei Wochen hatten ihr professionell organisierte Täter vorgegaukelt, ihr auf der Bank sicher angelegtes Geld sei in Gefahr. Dabei hatten sich die Verbrecher als Polizisten ausgegeben. Sogenannte Enkeltricks sind eine bekannte Masche – doch in diesem sowie in zahlreichen weiteren Fällen schafften es die Täter, dass die Opfer ihrer Bank und selbst der echten Polizei misstrauten. Und zwar mithilfe modernster Telefontechnik. Die Hamburger Polizei hat nun eine Aufklärungskampagne gestartet, um potenzielle Opfer zu warnen. Das Vorgehen der Betrüger hat bereits Dutzende Opfer in Hamburg gefordert. Teilweise wurden sechsstellige Beträge übergeben. Dazu geht die Polizei von einer nicht unerheblichen Dunkelziffer aus.
Zahlreiche Anrufe von „Oberkommisar Schneider“
Auch der erste Anruf, der bei Marie L. einging, machte ihr zunächst Angst. Ein freundlicher Mann, der sich als „Oberkommissar Schneider“ ausgab, wolle sie warnen. In der Gegend, in der sie wohne, habe es Einbrüche gegeben. Zudem sei sie auf einer bei Tätern sichergestellten Liste aufgetaucht, auf der die kommenden Opfer der Bande vermerkt seien. „Ich habe es sehr ernst genommen“, sagt die 93-Jährige, die allein in einer kleinen Etagenwohnung in Wandsbek lebt.
Immer wieder rief „Oberkommissar Schneider“ bei der alten Dame an, darauf aus, sich ihr Vertrauen zu erschleichen. In diesen Telefonaten machte er ihr vor, dass ihr Geld auf der Bank nicht sicher sei, sie darüber aber mit „niemandem“ sprechen dürfe. Auch mit den Mitarbeitern der Bank nicht – denn die steckten mit den Tätern unter einer Decke. Am Ende ging es darum, dass Marie L. dem falschen Polizisten ihr Geld übergeben sollte – um es so in Sicherheit zu bringen.
Täter gehen höchst professionell vor
Martin Kippel, Ermittler beim LKA 433 und zuständig für Trickdiebstahl und Trickbetrug, weiß, dass die Täter sehr professionell vorgehen, gut organisiert und technisch versiert sind. Die Drahtzieher selbst treten in der Regel nicht persönlich in Erscheinung. Sie sitzen im Ausland, viele in der Türkei. Die Anrufe kommen über Callcenter, die massenhaft solche Anrufe machen, bis ihnen ein Opfer ins Netz geht. Dabei nutzen sie sogenannte Spoofing-Dienste, mit deren Hilfe falsche Telefonnummern gesendet werden können. Auf diese Weise können die Täter vortäuschen, von der Polizei, dem Bundeskriminalamt oder von der Bundesbank zu sein. Auch Konferenzschaltungen sind möglich: So verbinden manche Täter die Opfer mit dem echten Sachbearbeiter der Bank, der gar nicht merkt, dass sich ein Dritter in der Leitung befindet. Der „falsche Polizist“ gibt den Opfern während dieser Telefonate sogar Anweisungen, was sie den Bankmitarbeitern sagen sollen – zum Beispiel, dass sie eine große Summe abheben wollen, um die Enkel beim Hausbau zu unterstützen.
„Die Täter sind enorm geschickt und geschult“, sagt ein Beamter. In Einzelfällen schafften sie es sogar, dass Opfer nach mehreren Wochen „Vertrauensbildung“ per Telefon der echten Polizei nicht mehr trauten und echte Beamte der Wohnung verwiesen.
Die "echte" Polizei lockte die Betrüger in eine Falle
Auch bei Marie L. versuchten die Täter genau das. Womit „Oberkommissar Schneider“ in diesem Fall jedoch nicht rechnete: Die alte Dame erzählte ihrer Nichte von der Geschichte. Die wurde sofort misstrauisch, reiste aus Berlin an – und informierte die „echte“ Polizei. Mithilfe von Marie L. drehten die Kripo-Beamten den Spieß um und lockten die Täter in eine Falle. Rund zwei Wochen machte die alte Dame mithilfe ihrer Nichte und der Beamten den Tätern vor, dass sie ihnen ihr Geld übergeben wolle. „Es ist absolut außergewöhnlich, dass die Frau das so durchgezogen hat. Vor allem über den langen Zeitraum“, sagt Ermittler Kippel, der mit seinen Kollegen die ganze Zeit dabei war und der 93-Jährigen half. Für Marie L. war es eine Tortur. „Das ging schon an die Nerven. Ich habe zwei Wochen kaum ein Auge zugetan.“
Nur ein Handlanger wurde geschnappt
Am Ende dieser zwei Wochen bauten die Täter Druck auf, drängten Marie L., das Geld zu übergeben. Am Ende sollte sie es, eingewickelt in Papier, sogar aus dem Fenster ihrer Wohnung werfen. Dafür schalteten die Täter zwischenzeitlich sogar noch einen „falschen Staatsanwalt“ als Anrufer hinzu. Doch die Falle schnappte zu: Die Polizei konnte einen 30-Jährigen festnehmen, der zum Abholen des Geldes nach Hamburg gekommen war. Der Mann ist allerdings nur ein Handlanger, der von den Hintermännern vermutlich nur für diese Übergabe angeheuert wurde. Die Hintermänner selbst sind kaum zu fassen. Bei der Internettelefonie sind die Anschlüsse nicht zu ermitteln.