Neustadt. Drei Männer sollen fast 110.000 Euro abgehoben haben. Einen Schützenverein in Barsbüttel (Kreis Stormarn) traf es mehrfach.
Abdul S. hat einst als Zusteller für die Deutsche Post gearbeitet. Das ist im Zusammenhang mit den ihm vor dem Landgericht Hamburg zur Last gelegten Taten ein nicht ganz unwichtiges, ein pikantes Detail: Denn es war sein Ex-Arbeitgeber, den der 31-Jährige massiv schädigte, indem er immer wieder Briefe mit EC-Karten abfing.
Post nach EC-Karten und Geheimnummern durchsucht
Der Angeklagte Abdul S. fühlte sich schon wie in einem „Abenteuerfilm“, als er noch mit seinem Freund Jan H. am Tatplan feilte. Mit ihm filzte der 31-Jährige monatelang die Zwischenlager der Deutschen Post nach Briefen mit EC-Karten und den dazu passenden Geheimnummern. Wurden sie fündig, räumten sie ab. Oder besser: Sie ließen abräumen. Die Drecksarbeit, die Abhebung an den kameraüberwachten Geldautomaten, erledigte Marcel H., ein alkohol- und drogensüchtiger junger Mann. Das hohe Risiko wurde dem 22-Jährigen nach seinen eigenen Angaben allerdings lausig vergütet: Er habe nur zwischen 20 und 50 Euro pro Abhebung bekommen, während seine Komplizen bis zu 2000 Euro pro Kartenmissbrauch einstrichen.
Die Staatsanwaltschaft wirft den drei Männern 128 Fälle des bandenmäßigen Computerbetrugs vor und errechnete einen Gesamtschaden von exakt 106.198 Euro. Teilweise schröpften die Angeklagten ihre Opfer, darunter ein Schützenverein aus Barsbüttel, sogar mehrfach. Glücklicherweise regulierte die Versicherung der Banken den Schaden in allen Fällen. Am Freitag räumte zunächst Abdul S. die Vorwürfe ein – und gab sich reuig. „Ich brauchte Geld, um meine hohen Schulden zu bezahlen“, ließ der Vater von zwei Kindern in einer Erklärung verlauten, die von seinem Verteidiger verlesen wurde. Die ganze Sache sei „falsch und unanständig“ gewesen. Drei Monate aber stopfte sich das Trio die Taschen voll.
Briefe aus den Ablageboxen abgefischt
Er sei im März 2015 bereits seit zwei Jahren arbeitslos gewesen, als ihn sein Kumpel Jan H. gefragt habe, ob er nicht mit ihm zusammen bei einer als Subunternehmer für die Deutsche Post tätigen Transportfirma arbeiten wolle.
Er sei zunächst als Praktikant eingestiegen, habe Pakete und Briefe von einer Verteilerstelle der Post zu den Ablageboxen des Logistikers in den Stadtteilen Farmsen-Berne und Billstedt gefahren. Die auch Zwischenlager genannten Boxen, die aussehen wie Stromkästen, werden von der Post oder deren Subunternehmen befüllt. Briefträger entnehmen die Sendungen dort und stellen sie zu. „Nach kurzer Zeit kam uns der Gedanke, dass wir Briefe heraussuchen könnten, in denen sich EC-Karten oder Pin-Nummern befinden“, so der Angeklagte.
Die begehrten Briefe, also die mit EC-Karten, fischten sie in den meisten Fällen aus den Ablageboxen – immer dann, wenn sich ein Zusteller gerade einen Vorrat an Briefen geholt hatte. Um nicht aufzufallen, trug Abdul S. dabei seine alte Post-Uniform, einen Schlüssel für die Lager hatten die Angeklagten ohnehin. Auch für das Problem der zeitversetzten Zustellung von Karte und Geheimnummer hatten sie eine Lösung. „Wenn wir einmal den Namen und die Anschrift des Karteninhabers hatten, mussten wir ein paar Tage später in den Kisten mit Briefen nur noch nach dem passenden Empfänger suchen“, so der Angeklagte.
„Ich war derjenige, der die Schuld auf sich nehmen sollte“
Für den eigentlichen Coup brauchten die Betrüger aber noch einen Handlanger, natürlich um selbst nicht erkannt zu werden. Sie suchten und fanden: Marcel H. „Ich kannte ihn aus meiner Wohngegend, wusste, dass er immer Geld braucht“, so Abdul S. Allerdings habe der 22-Jährige mehr als nur 50 Euro pro Abhebung bekommen. „40 Prozent für mich, 40 Prozent für Jan“, das sei der Deal gewesen. 20 Prozent habe Marcel H. erhalten, „einschließlich etwaiger Kosten für Taxifahrten“. Ob noch mehr Täter in den Betrug verwickelt waren, ist bisher noch unklar.
Damit die Karten nicht gesperrt werden, mussten sie schnell vorgehen, so Abdul S. Meist klapperten sie zu Dritt mit dem Transporter mehrere Banken ab, meist dann, wenn geringer Kundenverkehr in den Filialen herrschte. Auch an die Tarnung habe man gedacht: Marcel H. durfte mit seiner Kleidung nicht auffallen, gleichzeitig musste gewährleistet sein, dass er durch die Kameras in den Geldautomaten nicht identifiziert werden konnte.
Mehr als drei Monate machten die Männer fette Beute, bis am 10. Juli ihre Glückssträhne mit der Festnahme vor einer Haspa-Filiale in Hohenhorst jäh endete. Zur Frage, wie die Polizei ihnen auf die Spur kam, soll am nächsten Freitag ein Ermittler vernommen werden. Dann will auch Jan H., wie Abdul S. zweifacher Familienvater, ein Geständnis ablegen. Bereits am Freitag räumte Laufbursche Marcel H. die Tat ein. Wie aus einem vom Richter verlesenen Protokoll seiner Vorführung beim Haftrichter im Sommer 2015 hervorgeht, dämmerte Marcel H. offenbar, welche Rolle ihm innerhalb der Bande zugedacht war: „Ich war derjenige, der die Schuld auf sich nehmen sollte.“