Die 31-Jährige steht wegen Verletzung der Fürsorgepflicht vor dem Amtsgericht. Widersprüchliche Aussagen stiften Verwirrung.
Hamburg. Es ist ein Prozess, der Fragen aufwirft und keine klärt. Ein Fall voller Widersprüche und Ungereimtheiten. Am Ende herrscht im Amtsgericht Verwirrung. Reichlich sogar.
Angeklagt ist dort seit gestern Nina R., 31. Die korpulente Frau soll im Juli 2009 ihre vier Kinder im Alter zwischen zwei und zwölf Jahren eine ganze Woche unbeaufsichtigt in ihrer Wohnung zurückgelassen haben. Um ein neues Leben mit einer neuen Liebe anzufangen, so die Staatsanwaltschaft. Nur zufällig habe Gabriele R., die Großmutter, die Kinder gefunden. Als noch eine Woche später jede Spur von Nina R. fehlte, schaute sich auch die Polizei in der Wohnung in Langenhorn um - und war entsetzt. In den Kinderzimmern türmten sich Kleiderberge, überall Müll, Matratzen stanken nach Urin, vor den Fenstern hingen Handtücher. Die Haustiere - ein Hund, zwei Kaninchen, ein Meerschweinchen - hatten seit Tagen nicht gefressen. "Der Hund war verhaltensauffällig, drehte sich im Kreis, lief gegen die Balkontür", so ein Polizist.
Die Kinder, die bei der Großmutter und in einer Pflegefamilie leben, seien traumatisiert, sagte ihr Amtsvormund vor Gericht aus. Offenbar tagelang seien sie auf sich allein gestellt gewesen. Aus Angst vor Hunger bunkerten sie noch heute Lebensmittel, die Jüngste könne nicht "aufhören zu essen" und habe "kein Schmerzempfinden".
Nina R. hat sechs Kinder von fünf Männern, mit 17 Jahren wurde sie erstmals Mutter. Sie habe ihre Wohnung, in der sie mit Ehemann John M. lebte, "immer sauber" gehalten, davon habe sich regelmäßig die Familienhilfe überzeugt. Damals habe sie mit John M. vereinbart, dass er sich einige Tage um die Kinder kümmere - damit sie "mal Ruhe habe". Tatsächlich besuchte sie ihren neuen Freund in Stade, mit dem sie einen sechs Monate alten Sohn hat. Aus Angst vor ihrem eifersüchtigen Mann habe sie damals nicht den Mut gefunden, nach Hamburg zurückzukehren.
Es ist nur die erste von vier Versionen zum Geschehensablauf - die Beweisaufnahme verkommt zur Farce. Plötzlich erklärt die Angeklagte, sie sei gar nicht nach Stade, sondern mit den Jüngsten nach Spanien gefahren. Ihre Mutter berichtet, die zwei Ältesten hätten zur Tatzeit bei ihr geschlafen, während John M. die beiden anderen Kinder betreut habe. Der wiederum beteuert: Er habe sich damals um alle vier Kinder gekümmert - während seine Frau im Krankenhaus gewesen sei.
Wer kann hier bloß Licht ins Dunkel bringen? Das Jugendamt? Wohl kaum. Das hat einer mit dem Fall befassten Mitarbeiterin keine Aussagegenehmigung erteilt, die Staatsanwaltschaft erwägt daher, Akten zu beschlagnahmen. Zudem soll die älteste Tochter, 14, im September aussagen. Die Richterin hätte ihr das nur zu gern erspart.