Extrem schlechte Sicht nach einem Sandsturm auf der A 19: Über 80 Fahrzeuge kollidieren, Autos und Lastwagen brennen. Acht Menschen sterben.
Kavelstorf. Ein Sandsturm hat zu einer Massenkarambolage mit mehreren Toten auf der Autobahn 19 bei Kavelstorf in der Nähe von Rostock geführt. Über 80 Fahrzeuge kollidierten. In Fahrtrichtung Rostock (Norden) verkeilten sich laut Polizei 17 Pkw und drei Lastwagen, die Feuer fingen und ausbrannten. In den teilweise miteinander verschmolzenen Wracks fanden die Rettungskräfte acht Tote. Mindestens 27 Menschen wurden in Krankenhäuser gebracht.
Ob ein Gefahrguttransporter, der Kohlenwasserstoff geladen hatte, für das Feuer verantwortlich war, konnte die Polizei zunächst nicht sagen. In Fahrtrichtung Süden kollidierten mindestens 30 Pkw miteinander. Von den Insassen wurde jedoch niemand getötet.
Noch liege ein ausgebrannter Lastwagen auf einem ebenfalls zerstörten Auto, so dass sich die Zahl der Toten erneut erhöhen könnte, sagte ein Polizeisprecher am Abend. Zunächst hatte die Polizei von zehn Toten gesprochen. 110 Menschen waren direkt an dem Unfall beteiligt. Viele von ihnen wurden verletzt, die genaue Zahl ist unbekannt. Die Menschen, die Richtung Berlin fuhren, hatten Glück. Sie blieben von dem Feuersturm verschont.
Die Feuerwehr brauchte mehrere Stunden, um die Flammen zu löschen. Rettungswagen und Hubschrauber brachten die Verletzten in umliegende Kliniken. Nach Angaben der Krankenhausleitungen erlitten die Opfer vor allem Knochenbrüche, Prellungen, Stauchungen und Schädel-Hirn-Verletzungen.
Mehrere hundert Rettungskräfte waren im Einsatz, sie sind aus den Kreisen Güstrow und Bad Doberan sowie der Hansestadt Rostock zusammengezogen worden. Rettungswagen verließen im Minutentakt die Unfallstelle, insgesamt sollen sechs Hubschrauber im Einsatz gewesen sein.
Die Rettungsarbeiten wurden von dem Sturm behindert, der in Böen immer wieder Erde und Sand von den Feldern aufwirbelte. Die Retter müssen Schutzmasken tragen, um überhaupt atmen zu können. Bauern rücken an und sprühen Wasser und Gülle auf die angrenzenden Felder, um den trockenen Sand zu binden. Ein bestialischer Gestank liegt über dem Unfallort.
Die Autobahn bleibt in Richtung Norden auf unbestimmte Zeit gesperrt. Mit der Öffnung der Fahrbahn Richtung Berlin sei eher zu rechnen. Am Abend wurden Lastwagen mit riesigen Leuchtern herangefahren, damit die Bergung der Wracks fortgesetzt werden kann. Die Autobahn sei taghell beleuchtet, hieß es. Der Landkreis Güstrow richtete eine Hotline ein, unter der besorgte Bürger nachfragen konnten. Die kriminaltechnische Untersuchung des Unfalls hat begonnen.
Polizei: "Schlimmster Verkehrsunfall Mecklenburg-Vorpommerns"
Die Karambolage ereignete sich gegen 12.30 Uhr bei Kavelstorf südlich der Anschlussstelle Rostock-Laage. Die Wracks standen teilweise übereinander, zu fünft nebeneinander oder hatten sich durch den Unfall gegen die Fahrtrichtung gedreht.
Ursache war nach Angaben der Polizei in Rostock Sand und Erde, die heftiger Wind von den Feldern links und rechts der Autobahn auf die vierspurige Fahrbahn wehte. Den Autofahrern in beiden Fahrtrichtungen wurde so schlagartig die Sicht genommen.
In beiden Fahrtrichtungen kollidierten über 40 Fahrzeuge. Im Sekundentakt knallten sie mit ohrenbetäubendem Lärm auf die vor ihnen stehenden, schoben sie ineinander. Am Ende waren es rund 80 Wagen, die auf der Straße liegen blieben. Davon drei Lastwagen, einer auch noch ein Gefahrguttransporter. "Das ist der schlimmste Verkehrsunfall, den Mecklenburg-Vorpommern je erlebt hat“, sagte Polizeisprecherin Yvonne Burand. "An der Unfallstelle herrscht ein Chaos“, sagte ein spürbar geschockter Augenzeuge.
Nach Abschluss der Löscharbeiten bot sich den Helfern ein Bild des Grauens. Polizistin Burand ringt nach Worten: "Man weiß nicht, wo das eine Wrack anfängt und das andere aufhört.“ Die Toten sind auch Stunden danach nicht identifiziert, die Verletzten nicht gezählt. Rund 40 Verletzte werden zu diesem Zeitpunkt in umliegenden Krankenhäusern behandelt.
Wie der Unfall begann, ist schwierig zu ermitteln. Augenzeugen berichten von einer regelrechten Wand, als sie in eine leichte Senke hinter einem Waldstück hineinfuhren. Ein Sturm, der seit der Nacht über den Norden Mecklenburg-Vorpommerns fegte, hatte Unmengen Sand von den umliegenden kahlen Feldern aufgewirbelt und über die Autobahn geweht. Auf der Fahrbahn liegen regelrechte Sandwehen.
Die im beginnenden Wochenendverkehr stark befahrene Autobahn zwischen Rostock und Berlin wurde voll gesperrt. Ausweichende Autofahrer sorgten für volle Nebenstrecken. Das habe auch Bergung und Transport der Verletzten erschwert, hieß es.
Kristenstäbe in Rostocker und Güstrower Krankenhäusern
Mehrere hundert Rettungskräfte kümmern sich um die Opfer, sie sind aus den Kreisen Güstrow und Bad Doberan sowie der Hansestadt Rostock zusammengezogen worden. Die Verletzten wurden in Krankenhäuser in Rostock und Güstrow gebracht, die umgehend Krisenstäbe einrichteten. "Wir haben Ärzte und Schwestern zurückgeholt, zusätzliche Betten vorbereitet“, sagte der Ärztliche Direktor der Uniklinik Rostock, Professor Peter Schuff-Werner. Ein Sprecher der Güstrower KMG-Klinik sagte, das laufende OP-Programm sei wegen des Zwischenfalls auf die aktuellen Erfordernisse umgestellt worden.
In Güstrow wurden zunächst 23 Verletzte eingeliefert, drei davon kamen auf die Intensivstation. An der Rostocker Uniklinkum wurde zwischenzeitlich ebenfalls das Personal aufgestockt. In die Klinik kamen nach Angaben eines Sprechers anfangs weniger Verletzte als von der Polizei angekündigt.
Das Deutsche Rote Kreuz richtete eine Hotline für Angehörige möglicher Unfallopfer ein. Unter der Nummer +49 385 5914777 sei die Personenauskunftsstelle zu erreichen, hieß es am Freitagabend vom DRK Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin.
Auslöser war eine Sandwolke
Auslöser der Massenkarambolage war womöglich eine plötzliche Sandwolke und daraus resultierende extrem schlechte Sichverthältnisse von weniger als zehn Metern. Ein seit dem Morgen herrschender Sturm hatte vermutlich Sand von umliegenden Feldern aufgewirbelt und über die Fahrbahn getrieben. Die Sichtweite soll unter 100 Metern gelegen haben.
+++ Meteorologen: Sandstürme nicht außergewöhnlich +++
Rettungswagen verlassen im Minutentakt die Unfallstelle, Hubschrauber kreisen. Die Arbeit der Retter wird immer noch durch beißenden Sand behindert. Bauern rücken an und sprühen Gülle auf die angrenzenden Felder, um den trockenen Sand zu binden. Ein bestialischer Gestank breitet sich über den Unfallort.
Caffier und Ramsauer bestürzt
Nach der schweren Massenkarambolage hat Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) den Angehörigen der Unfallopfern sein Mitgefühl bekundet. Er sei tief betroffen über das Ausmaß des schrecklichen Massenunfalls, sagte der Minister, der unmittelbar nach Bekanntwerden zur Unfallstelle geeilt war.
"Polizei und Rettungskräfte tun alles Menschenmögliche, um die Verunglückten zu bergen“, versicherte Caffier. Obwohl sich den Einsatzkräften vor Ort ein furchtbares Bild biete, werde alles daran gesetzt, die Verletzten medizinisch zu versorgen sowie Angehörige und Hinterbliebene zu betreuen, um das Unfassbare zu verarbeiten.
Auch Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) hat sich schockiert über die Massenkarambolage geäußert. Der Politiker sprach den Opfern und ihren Angehörigen sein Beileid und tiefes Mitgefühl aus. Zu den Sandstürmen erklärte Ramsauer nach Angaben eines Sprechers: "Das zeigt, selbst höchsten Anstrengungen bei der Verkehrssicherheit werden durch solche extremen Naturgewalten Grenzen gesetzt.“
Mehrere Stürme im Nordosten
In Mecklenburg-Vorpommern hatte es am Freitag mehrere Frühlingsstürme gegeben. Bei Baumpflanzarbeiten in Steinhagen (Nordvorpommern) wurde ein Arbeiter verletzt, als der Sturm den Ast einer Hainbuche losriss. Der Ast fiel dem 56-Jährigen auf den Kopf, der Mann wurde ins Krankenhaus nach Stralsund gebracht, wie die Polizei in Stralsund berichtete.
In Stralsund deckte der Sturm das Dach eines Einfamilienhauses teilweise ab, mindestens ein Schornstein wurde beschädigt. In der Region und auch auf Rügen stürzten mehrere Bäume um, darunter in Lauterbach auf Bahngleise. In Stralsund wurden zwei Autos beschädigt.
Die Unfallstelle auf der Karte:
(dpa/dapd)