Hamburg. Hamburg beschließt umfassendes Konzept zur Prävention. Was aus dem Antisemitismus-Beauftragten Stefan Hensel wird.

  • Die Zahl antisemitischer Straftaten in Hamburg ist gestiegen.
  • Senat will die Bildungsarbeit gegen Antisemitismus verstärken und thematisch und methodisch weiterentwickeln.
  • Stefan Hensel soll für weitere drei Jahre als Antisemitismus-Beauftragter berufen werden.

Nach dem Anschlag eines rechtsextremen Täters auf die Synagoge in Halle (Saale), in deren Umfeld der Mann zwei Menschen ermordete, hat die Bürgerschaft im Dezember 2019 den Hamburger Senat aufgefordert, „zeitnah eine eigenständige Landesstrategie zur Prävention von Antisemitismus vorzulegen“. Dem ist der rot-grüne Senat rund fünf Jahre später nachgekommen: Das 124 Seiten starke Konzept, das unter Federführung von Wissenschafts- und Gleichstellungssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) entstanden ist und dem Abendblatt vorliegt, soll in der Senatssitzung am Dienstag beschlossen werden.

Zugleich schlägt die Landesregierung vor, Stefan Hensel für drei weitere Jahre zum Antisemitismus-Beauftragten zu berufen. Das Ehrenamt war 2021 ebenfalls unter dem Eindruck des Anschlags von Halle eingerichtet worden. Hensels erste Amtszeit war Ende Juni 2024 ausgelaufen, seitdem war er kommissarisch tätig. Der Israelitische Tempelverband, die kleinere der beiden jüdischen Gemeinden in Hamburg, hatte Kritik an Hensels Arbeit geübt und ihm vorgeworfen, dem Tempelverband gegenüber „feindlich gesonnen“ und „einseitig befangen“ zugunsten der größeren Jüdischen Gemeinde in Hamburg zu sein. Hensel, der die Vorwürfe stets zurückgewiesen hatte, soll seine zweite Amtsperiode am 1. Dezember antreten.

Hamburgs Antisemitismus-Beauftragter Hensel hat besonders Zugang zu jungen Leuten

Der Senat begründet die erneute Berufung Hensels unter anderem damit, dass er „das Amt bekannt gemacht und die Bedeutung von Sensibilisierung und Aufklärung für die Bekämpfung von Antisemitismus hervorgehoben“ habe. „Dabei sind besonders sein Zugang zu jungen Hamburgerinnen und Hamburgern und das pädagogische Verständnis wertvolle Komponenten seiner Arbeit geworden“, heißt es in der dem Abendblatt vorliegenden Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft. Die Bürgerschaft muss der Personalie wie auch dem Antisemitismus-Konzept noch zustimmen.

Stefan Hensel ist als Antisemitismus-Beauftragter für Hamburg seit 2021 im Amt; jetzt soll er für weitere drei Jahre berufen werden.
Stefan Hensel ist als Antisemitismus-Beauftragter für Hamburg seit 2021 im Amt; jetzt soll er für weitere drei Jahre berufen werden. © Roland Magunia/Funke Foto Services | Roland Magunia

Die „Landesstrategie gegen Antisemitismus und zur Förderung des jüdischen Lebens“ soll alle Behörden sowie staatlichen Institutionen umfassen. „Die Spezifika antisemitischer Diskriminierungs- und Gewaltformen sowie deren nachweisliche Zunahme erfordern ... zusätzlich eine ressortübergreifende Gesamtkonzeption der Senatsarbeit gegen Antisemitismus“, schreibt der Senat. „Seit dem terroristischen Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ist das Eintreten gegen Antisemitismus noch dringlicher geworden: Hass und Hetze gegen Jüdinnen und Juden sowie antisemitische Straftaten nehmen auch in Hamburg zu“, heißt es in dem Konzept.

Antisemitismus: Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 auch für Juden in Hamburg deutliche Zäsur

Wurden in Hamburg bis zum Jahr 2022 jährlich etwa 40 bis 80 antisemitische Straftaten erfasst, so verzeichnete die Polizei 70 Delikte allein zwischen dem 7. Oktober und dem 31. Dezember 2023. Im vergangenen Jahr belief sich die Gesamtzahl auf 132 erfasste Taten. Im laufenden Jahr waren es bis Anfang Oktober sogar schon 133 Taten. Die Polizei ordnet den größten Teil der Volksverhetzungen, Beleidigungen und Gewalttaten dem rechtsextremen Spektrum sowie der „ausländischen und der religiösen Ideologie“ zu. „Der massive Anstieg der Vorfälle verunsichert Jüdinnen und Juden in Hamburg. Darüber hinaus werden Jüdinnen und Juden, die sich gegen Antisemitismus positionieren, zur Zielscheibe von Anfeindungen und Bedrohungen (...) Der 7. Oktober 2023 markiert für Jüdinnen und Juden eine deutliche Zäsur“, heißt es in der Landesstrategie.

Ausdrücklich wird hervorgehoben: „Wenn der Nahostkonflikt eskaliert, tritt der israelbezogene Antisemitismus besonders offen zutage, z. B. in Form alter antisemitischer Stereotype, einseitiger Schuldzuweisungen, Absprechen des Existenzrechts Israels oder fehlender Empathie mit jüdischen Terroropfern.“ Das Konzept benennt drei zentrale Handlungsfelder: Antisemitismusbekämpfung, Gedenkkultur und jüdisches Leben in Hamburg, und listet insgesamt 157 Einzelmaßnahmen auf, von denen allerdings mehr als 90 Prozent Fortführungen und Weiterentwicklungen bestehender Programme und Projekte sind.

Zahl antisemitischer Straftaten hat sich seit dem 7. Oktober 2023 deutlich erhöht

Als „zentraler Baustein“ der neuen Strategie gilt dem Senat die Schaffung einer „Bildungsstelle, die die Bildungsarbeit gegen Antisemitismus verstärken und thematisch und methodisch weiterentwickeln soll“. Die Einrichtung, die in Zusammenarbeit der Wissenschaftsbehörde mit dem Antisemitismus-Beauftragten geplant wird, soll sich unter anderem um die „Erarbeitung eines Umgangs mit besonders heterogenen Zielgruppen und die Adressierung von Emotionen in Zusammenhang mit dem Thema Antisemitismus“ kümmern, wie es recht abstrakt heißt. Die Bildungsstelle soll vor allem Angebote für Schulen entwickeln.

Größtes Einzelprojekt mit Blick auf das jüdische Leben bleibt die Unterstützung der Jüdischen Gemeinde in Hamburg beim Wiederaufbau der Bornplatz-Synagoge im Grindelviertel. Nach der Präsentation einer Machbarkeitsstudie wird derzeit das architektonische Wettbewerbsverfahren vorbereitet. Ausdrücklich bekennt sich der Senat auch weiterhin zur Gestaltung eines Gedenk- und Begegnungsortes Neuer Israelitischer Tempel in der Poolstraße (Neustadt). Der 1817 eingeweihte Bau, von dem nur wenig Reste übrig geblieben sind, war die erste liberale Synagoge weltweit.

Jüdisches Leben in Hamburg: Wiederaufbau der Bornplatz-Synagoge größtes Einzelprojekt

Die Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte bereitet eine „weitere große Ausstellung vor, die neben der Geschichte der Ausgrenzung, Entrechtung, Deportation und Ermordung von Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma im Nationalsozialismus auch Gegenwartsbezüge herstellen und u. a. Fragen des Erinnerns für die Gegenwart aufwerfen wird“. Die Schulbehörde plant im laufenden Schuljahr eine Studie „Antisemitismus im Kontext Schule – Hamburg“, deren Erkenntnisse zur Weiterentwicklung von pädagogischen Konzepten und zur Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte genutzt werden sollen.

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Anfang November hat auch der Landesschulbeirat eine Stellungnahme zur Demokratiebildung und zum Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus beschlossen. Der Beirat schlägt vor, dass die Schulen eigene Konzepte zu diesen Themen entwickeln, die im Rahmen von „Ziel- und Leistungsvereinbarungen“ von der Schulbehörde genehmigt und kontrolliert werden. „Auch der geplante außerschulische Lernort für Demokratiebildung am Standort des Schulmuseums (in der Seilerstraße, St. Pauli, die Red.) sollte zeitnah und früher fertiggestellt werden als bisher geplant“, schreibt der Landesschulbeirat, in dem Vertreter von Kammern, Verbänden, Gewerkschaften, der religiösen Gemeinschaften sowie von Lehrer-, Eltern- und Schülerkammer sitzen.