Hamburg. Laut der aktuellen Abendblatt-Umfrage hätte Rot-Grün eine Mehrheit, aber vor allem das Berliner Ampel-Chaos kann den Trend noch drehen.

Die politische Stimmung in Hamburg vier Monate vor der Bürgerschaftswahl erlaubt zwei zentrale Schlussfolgerungen, die auf eine gewisse Stabilität und Kontinuität hindeuten. Erstens: In der aktuellen Forsa-Umfrage kommen SPD, Grüne und CDU als Parteien der Mitte zusammen auf 72 Prozent – ziemlich genau so viel wie bei der Wahl 2020. Das ist ein bemerkenswerter Vertrauensbeweis für die etablierten politischen Kräfte in einer Zeit erstarkender Ränder des Parteienspektrums – von links, siehe BSW, und von rechts, siehe AfD. Die jüngsten Landtagswahlen im Osten und die Stimmung im Bund machen den Unterschied deutlich. 

Zweitens: Würde die Bürgerschaft am Sonntag neu gewählt, hätte die Koalition von SPD und Grünen weiterhin die absolute Mehrheit. Allerdings gerupft: Die SPD käme nach 39,2 Prozent bei der Wahl 2020 nur noch auf 30 Prozent, die Grünen verlören leicht von 24,2 Prozent auf 21 Prozent. Dass Rot-Grün trotz der Verluste weitermachen könnte, ist nach fast zehn Jahren des Bündnisses ein erstaunlicher Befund. Gerade Hamburg war über Jahrzehnte ein politisches Experimentierfeld. Lange Zeit wurde keine Koalition oder Alleinregierung bei einer Wahl bestätigt. 

SPD und Grüne können sich trotz starken Gegenwinds durch die Berliner Ampel behaupten

Was sind die Gründe? Die SPD hat sich seit der Rückkehr an die Macht 2011 wieder als Hamburg-Partei etablieren können. Das hängt in starkem Maße vom Ansehen des Ersten Bürgermeisters Peter Tschentscher (SPD) ab, wie dessen trotz Einbußen immer noch guten Zustimmungswerte zeigen. Und: Die Grünen verfügen hier mittlerweile über eine feste, offensichtlich auch frustresistente Stammwählerbasis, wie schon die Ergebnisse der Bezirks- und Europawahlen im Juni gezeigt haben. 

SPD wie Grüne behaupten sich in Hamburg angesichts starken Gegenwinds aus Berlin. Bislang funktioniert die Erzählung beider, dass sie mit dem Ampel-Chaos nichts zu tun haben. Gern betont Rot-Grün, dass in Hamburg ordentlich regiert werde: Streit wird (fast immer) nicht öffentlich ausgetragen, und gefundene Kompromisse werden gemeinsam vertreten. 

CDU-Spitzenmann Dennis Thering hat seine Partei auf Augenhöhe mit den Grünen gebracht

Es wird schwer für die CDU und deren Spitzenmann Dennis Thering werden, in die rot-grüne Phalanx einzudringen. Dabei ist es in erster Linie Therings Verdienst, dass die Union in der Umfrage auf 21 Prozent kommt, auf Augenhöhe mit den Grünen nach dem 11,2 Prozent-Desaster von 2020. Die CDU strebt unverhohlen ein Bündnis mit der SPD an, aber Tschentscher, dessen SPD nach augenblicklichem Stand die Wahl hätte zwischen Grün und Schwarz, hat sich klar für Erstere ausgesprochen. Auch für die befragten Hamburger ist Rot-Grün die bevorzugte Koalition. 

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Dennoch: Die Stabilität der politischen Verhältnisse, die aus den demoskopischen Werten spricht, ist nur scheinbar. Es bleiben erhebliche Unwägbarkeiten: Noch ist nicht klar, ob das BSW in Hamburg antritt, hat dessen Mobilisierung also gar nicht begonnen. Die Neugründung Volt hat bei der Bezirkswahl einen Überraschungserfolg erzielt und könnte die Grünen bei der Bürgerschaftswahl erneut schmerzhafte Prozentpunkte kosten. 

Aber vor allem: Die Talfahrt der Berliner Ampel scheint noch nicht beendet. Sollte es tatsächlich zu einem vorzeitigen Bruch des Bündnisses kommen, würde das die Ampel-Parteien SPD und Grüne in Hamburg schwächen und die CDU stärken. Nichts fürchten hiesige Grüne und vor allem Sozialdemokraten mehr als eine Bundestagswahl in zeitlicher Nähe zur Hamburg-Wahl. Dann würde die Abrechnung mit der Ampel die Hamburger Politik wohl überlagern. Und: Wäre am Sonntag Bundestagswahl, läge die SPD in Hamburg schon jetzt auf Rang drei – nach CDU und Grünen. Ein Menetekel?