Hamburg. Die Auslastung der Haftanstalten nimmt mit mehr als 95 Prozent bedrohliche Ausmaße an. Welche Auswirkungen das hat, was die CDU fordert.

  • Ende September lag die Gesamtbelegungsquote der Hamburger Haftanstalten bei 95,8 Prozent.
  • Im Strafvollzug gilt eine Auslastung von 85 bis 90 Prozent bereits als Vollbelegung.
  • Doch die nahezu vollständige Auslastung der Gefängnisse ist nicht das einzige gravierende Problem.

Die Auslastung der Hamburger Haftanstalten nimmt bedrohliche Ausmaße an: Zum Stichtag 30. September lag die Gesamtbelegungsquote bei 95,8 Prozent. Von 2206 zur Verfügung stehenden Haftplätzen waren 2113 mit Gefangenen belegt. In den Monaten zuvor war die Lage mit 94,6 Prozent (Juli) und 94,3 Prozent (August) nur wenig besser. Die Untersuchungshaftanstalt ist sogar zu 114 Prozent überbelegt: 526 männliche Gefangene bei nur 426 Haftplätzen. Die aktuellen Zahlen entstammen der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Richard Seelmaecker.

Im Strafvollzug gilt eine Auslastung von 85 bis 90 Prozent bereits als Vollbelegung. Mindestens zehn Prozent der Haftplätze müssen nach Einschätzung von Vollzugsexperten als erforderliche Reserve freigehalten werden, um kurzfristig Gruppen von Gefangenen voneinander trennen und auf unerwartete Entwicklungen des kriminellen Geschehens reagieren zu können. Diese Marge ist in Hamburg schon seit Längerem überschritten: Mitte 2022 betrug die Gesamtbelegungsquote der sechs Hamburger Haftanstalten bereits 90,2 Prozent. Im September 2021 waren es lediglich 84,8 Prozent.

Justiz: Auch in Hamburgs größtem Gefängnis, der JVA Billwerder, ist die Lage besonders prekär

Besonders prekär ist die Lage neben der U-Haftanstalt in Hamburgs größtem Gefängnis, der Justizvollzugsanstalt (JVA) Billwerder. Laut Senatsantwort saßen Ende September 643 männliche Gefangene ein, obwohl die tatsächliche Belegungsfähigkeit bei nur 638 Haftplätzen liegt. Nahezu ausgelastet waren die JVA Fuhlsbüttel mit 366 Gefangenen bei 386 Haftplätzen und der geschlossene Vollzug der Sozialtherapeutischen Anstalt mit 167 Inhaftierten bei 171 Plätzen. Auch die Kapazität des offenen Männervollzugs in der JVA Glasmoor stößt mit 228 Gefangenen bei 231 Plätzen an ihre Grenze.

„Die Belegungszahlen im Justizvollzug unterliegen seit jeher Schwankungen. Vor diesem Hintergrund sind die Haftkapazitäten so kalkuliert, dass grundsätzlich auch Belegungsspitzen abgebildet werden können“, schreibt der Senat in der Vorbemerkung der Antwort auf die Seelmaecker-Anfrage. Der CDU-Justizpolitiker weist allerdings darauf hin, dass der Senat im Haushaltsplanentwurf für die Jahre 2025/26 sogar mit einer durchschnittlichen Gesamtbelegung mit 2150 Gefangenen rechnet, während die Zahl im Jahr 2022 noch bei 1901 lag. „Insofern handelt es sich ja nicht mehr um Belegungsspitzen“, sagt Seelmaecker.

Um zusätzliche Kapazitäten zu schaffen, werden auch Arresträume mit Gefangenen belegt

Um kurzfristig Platz zu schaffen, werden auch Arresthafträume, Räume für Durchgangshäftlinge und besonders gesicherte Hafträume für die Belegung mit „normalen“ Gefangenen genutzt. Diese zusätzlichen Kapazitäten werden in der Statistik nicht in die tatsächliche Belegungsfähigkeit einer Haftanstalt eingerechnet. Darunter werden nur die Hafträume gefasst, in denen sich die Gefangenen während der Ruhezeiten aufhalten.

„Die darüber hinaus zur Verfügung stehenden Steuerungsinstrumente, die von der temporären oder dauerhaften Schaffung zusätzlicher Kapazitäten über Änderungen des Vollstreckungsplans bis hin zu Vollstreckungsaufschüben und -unterbrechungen reichen, werden je nach Bedarf eingesetzt“, schreibt der Senat. „Vollstreckungsaufschübe und -unterbrechungen sind ein Instrument, von dem verhältnismäßig selten und nur in dringenden Fällen Gebrauch gemacht wird“, erläutert Dennis Sulzmann, Sprecher der Justizbehörde. Die Maßnahme betreffe nur Ersatzfreiheitsstrafen, also Personen, die aufgrund einer nicht gezahlten Geldstrafe ersatzweise inhaftiert werden. Ersatzfreiheitsstrafen seien zum Beispiel während der Fußball-Europameisterschaft 2024 nicht vollstreckt worden, um gegebenenfalls festgenommene Fans unterbringen zu können.

„Einhaltung der Trennungsgebote sind flächendeckend gewährleistet“

Eine weitere Möglichkeit, zusätzliche Haftplatzkapazitäten zu schaffen, ist eine Einschränkung der Binnendifferenzierung, die grundsätzlich danach vorgenommen wird, ob sich Gefangene noch im Aufnahmeverfahren einer Anstalt oder schon im Regelvollzug befinden oder ob besondere Beobachtungs- und Sicherungsmaßnahmen zu treffen sind.

Die aktuelle Belegungssituation, räumt der Senat in seiner Antwort ein, könne dazu führen, „dass mal mehr und mal weniger Binnendifferenzierung möglich ist“. Und konkret: „Vor dem Hintergrund der derzeitigen Belegungszahlen im geschlossenen Männervollzug werden insoweit in der Untersuchungshaftanstalt und in der JVA Fuhlsbüttel vereinzelt Anpassungen vorgenommen.“ Das heißt also, dass die Binnendifferenzierung in diesen Haftanstalten eingeschränkt wird. „Die Einhaltung der Trennungsgebote und die Erfüllung der vollzugsgesetzlichen Aufträge sind flächendeckend gewährleistet“, schreibt der Senat vorsorglich.

Krankenstand in den Haftanstalten ist mit einem Durchschnitt von 12,9 Prozent sehr hoch

Doch die nahezu vollständige Auslastung der Gefängnisse ist nicht das einzige gravierende Problem des Strafvollzugs. Der Krankenstand der Mitarbeiter des Allgemeinen Vollzugsdienstes lag im Durchschnitt aller Haftanstalten im August bei 12,9 Prozent. Besonders hoch war die Fehlzeitenquote in der JVA Fuhlsbüttel mit 13,2 Prozent, der JVA Glasmoor mit 14 Prozent, der U-Haftanstalt mit 13,1 Prozent und der JVA Billwerder mit 13,0 Prozent.

In den Monaten zuvor wurden Krankenstände von bis zu 17 Prozent gemeldet. Zum Vergleich: Nach Angaben der Versicherung DAK lag der Krankenstand der Hamburger Arbeitnehmer im dritten Quartal dieses Jahres bei 4,7 Prozent. Aktuell sind 69 Beschäftigte in den Haftanstalten Langzeiterkrankte mit einer durchgehenden Fehlzeit von mehr als 75 Tagen.

CDU-Justizpolitiker Seelmaecker fordert bauliche Erweiterungen der Haftanstalten

Laut der Senatsantwort auf die Seelmaecker-Anfrage ist die Zahl der Überstunden dennoch seit Juni um 9,7 Prozent abgebaut worden: von 81.281 auf 73.403 Stunden. Die Gewinnung von Nachwuchs für den Allgemeinen Justizvollzugsdienst bleibt ein Problem: In diesem Jahr starteten zwei Ausbildungslehrgänge mit zusammen 28 Nachwuchskräften. Sechs junge Menschen haben ihre Ausbildung in diesem Jahr bereits wieder abgebrochen.

„Während Hamburgs Gefängnisse aus allen Nähten platzen, spitzt sich die Personalsituation immer mehr zu. Hohe Fehlzeitenquoten, viele Langzeiterkrankte, Berge an Überstunden und kaum Nachwuchskräfte sind das Resultat der geringen Wertschätzung, die die Justizsenatorin (Anna Gallina, Grüne, die Red.) für den Vollzug übrig hat. Sie muss die Arbeitsbedingungen endlich nachhaltig verbessern, damit die Situation nicht vollständig eskaliert“, fordert CDU-Justizpolitiker Seelmaecker.

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Außerdem müsse in Anbetracht der kontinuierlich gestiegenen Gefangenenzahlen „jetzt dringend damit begonnen werden zu prüfen, wo welche baulichen Erweiterungsmöglichkeiten in den Justizvollzugsanstalten bestehen“. Es sei „vollständig untragbar, dass man mit Vollstreckungsaufschüben und -unterbrechungen hantieren muss, weil es keine freien Plätze mehr in Hamburgs Gefängnissen gibt“, so der CDU-Politiker.

Die Reaktion der Justizbehörde fällt beinahe lakonisch aus. „Die Auslastung des Justizvollzugs schwankt regelmäßig. Darauf haben die Justizvollzugsanstalten auch nur bedingt Einfluss, denn sie vollziehen ja die Entscheidungen der Gerichte. Die Auslastung bleibt eine permanente Herausforderung, auf die wir adäquat reagieren müssen“, sagt Behördensprecher Sulzmann.