Hamburg. Insgesamt wurden 1.027.429 Stunden nicht planmäßig gegeben; Schulbehörde plant neue Richtlinie zur Vermeidung von Unterrichtsausfall.

  • Der Anteil ersatzlos ausgefallener Unterrichtsstunden hat sich gegenüber 2019 verdoppelt
  • An 27 Hamburger Schulen musste mehr als jede achte Stunde vertreten werden
  • An 110 der 344 allgemeinbildenden staatlichen Schulen fiel gar kein Unterricht aus

Ob Eltern mit der Schule ihrer Kinder zufrieden sind, hängt nicht zuletzt vom Unterrichtsausfall ab. Je mehr Stunden gar nicht oder nicht regulär gegeben werden, desto größer ist der Ärger. Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD) hat im Abendblatt-Sommerinterview angekündigt, die schon mehrfach verschobene Neufassung der Vertretungsrichtlinie, die den praktischen Umgang mit Stundenausfall an den Schulen regelt, solle nun zum Schuljahr 2025/26 in Kraft treten. Das Ziel, so Bekeris, sei mehr Ehrlichkeit und Transparenz bei dem häufig emotional diskutierten Thema. Die aktuellen Daten zum Unterrichtsausfall des Schuljahres 2023/24 zeigen, dass noch viel zu tun ist.

Im abgelaufenen Schuljahr sind exakt 165.466 Unterrichtsstunden (à 45 Minuten) an den staatlichen allgemeinbildenden Schulen ersatzlos ausgefallen. Das entspricht einer Quote von 1,51 Prozent der rund elf Millionen Schulstunden laut Stundenplan. Der Anteil ist seit 2021 in etwa stabil, allerdings doppelt so hoch wie 2019, also vor der Corona-Pandemie. Deutliche Unterschiede verzeichnen auch die einzelnen Schulformen: Während an den Grundschulen im Durchschnitt nur 0,3 Prozent der Stunden ausgefallen sind, weisen die Stadtteilschulen mit 2,6 Prozent den höchsten Wert auf. An den Sonderschulen fielen 0,6 Prozent des Unterrichts aus, an den Gymnasien waren es 1,6 Prozent. Alle aktuellen Daten entstammen der Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bürgerschafts-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus.

Schule Hamburg: Ausmaß des Unterrichtsausfalls variiert zwischen Einrichtungen

Das Ausmaß des Unterrichtsausfalls variiert von Schule zu Schule deutlich. An zehn Standorten überschreitet der Anteil ersatzlos gestrichener Stunden die Fünfprozentmarke (siehe Tabelle). Damit ist an sieben Stadtteilschulen, zwei Gymnasien und einer Grundschule mehr als jede 20. Schulstunde komplett ausgefallen. In insgesamt acht Klassenstufen der Jahrgänge 9, 11 und 12 sind sogar mehr als zehn Prozent des Unterrichts ersatzlos gestrichen worden: Johanneum (zwei), Erich-Kästner-Stadtteilschule (zwei), Geschwister-Scholl-Stadtteilschule (drei) und Stadtteilschule Finkenwerder (eine). Andererseits: 110 der 344 allgemeinbildenden staatlichen Schulen haben der Schulbehörde einen Ausfallanteil von „0,00 Prozent“ gemeldet. Neben 95 Grundschulen waren das jeweils sieben Gymnasien und Sonderschulen sowie lediglich eine Stadtteilschule.

Deutlich höher als der Anteil ersatzlos ausgefallenen Unterrichts ist die Quote der nicht planmäßig gegebenen, aber vertretenen Stunden. Laut Senatsantwort auf die Boeddinghaus-Anfrage fand im vergangenen Schuljahr in exakt 861.963 Stunden im Prinzip Vertretungsunterricht statt, wobei die Formen sehr unterschiedlich sein können. Der Anteil der Vertretungen am gesamten Unterricht beträgt im Durchschnitt 7,9 Prozent. Zusammen genommen beläuft sich die Quote ersatzlos gestrichenen und vertretenen Unterrichts hamburgweit auf 9,4 Prozent. Das heißt: Fast jede zehnte Schulstunde wird nicht planmäßig gegeben.

Der Anteil ersatzlos ausgefallener Stunden ist an den Stadtteilschulen am höchsten

Auch beim Vertretungsunterricht zeigen sich große Unterschiede. Während der Anteil an Grundschulen mit 8,2 Prozent und Gymnasien mit 8,3 Prozent etwa gleich hoch ist, werden an Stadtteilschulen 7,6 Prozent und an Sonderschulen nur 4,9 Prozent der Stunden vertreten. Einen deutlich überproportionalen Anteil mit mehr als zwölf Prozent Vertretungsunterricht weisen 21 Grundschulen, vier Gymnasien und zwei Stadtteilschulen auf. Die höchsten Werte meldeten die Grundschulen An der Glinder Au (17,04 Prozent) und Osterbrook (16,98 Prozent), an denen somit rund jede sechste Schulstunde nicht planmäßig gegeben wurde. An nur zwei der 344 Standorte lief dagegen alles nach Plan: Die Grundschulen Iserbrook und Leuschnerstraße weisen in der Statistik nicht eine einzige ausgefallene Stunde und auch keine Vertretungsstunde aus.

Wenn Unterricht zum Beispiel wegen der Erkrankung der Lehrkraft nicht planmäßig gegeben werden kann, gilt die Vertretung durch einen Kollegen im selben Fach als der Königsweg. Tatsächlich macht der „fachidentische“ Vertretungssunterricht den größten Anteil der Ersatzstunden aus. Bei der zweitgrößten Kategorie ergibt sich aus der Statistik am wenigsten, wie genau der Unterricht konkret abgelaufen ist. Dazu zählt die Erteilung von Arbeitsaufträgen, die Zusammenlegung von Klassen oder die Aufhebung einer eigentlich vorgesehenen Doppelbesetzung von Lehrern, sodass einer in einer anderen Klasse aushelfen kann. Die dritte Kategorie umfasst die Vertretung durch eine Lehrkraft, die in einem anderen Fach die Klasse unterrichtet.

Knapp eine Million Unterrichtsstunden entfielen auf Klassenfahrten, Theaterbesuche und Exkursionen

Einen erheblichen Anteil nimmt der „Unterricht in besonderer Form“ ein, der zwar nicht im Wochenstundenplan enthalten ist, aber ein planmäßiges Angebot darstellt. Dazu zählen das Lernen an außerschulischen Lernorten, Exkursionen, Theater- und Museumsbesuche sowie Klassenfahrten, auf die im vergangenen Schuljahr insgesamt 913.942 Unterrichtsstunden entfielen.

„Verlässlich stattfindender Unterricht ist wesentliche Grundlage für erfolgreiches Lernen“, schreibt der Senat in seiner Antwort auf die Boeddinghaus-Anfrage. Um Vorsorge für krankheitsbedingten Unterrichtsausfall zu treffen, weist die Schulbehörde den Schulen mehr Lehrerstellen zu, als laut Stundentafel nötig wären. Und die Zahlen sind durchaus beeindruckend. Mit Beginn des laufenden Schuljahres weist der Stellenplan der Schulbehörde 15.911 Vollzeitstellen für Lehrkräfte aus. Ein „personalwirtschaftlicher Puffer als Vertretungs- und Organisationreserve“ ist darin enthalten. „Hierzu gehört eine Vertretungsreserve in Höhe von insgesamt 503 Stellen, die unter anderem zum Ausgleich von krankheitsbedingten Fehlzeiten genutzt werden können“, schreibt der Senat.

Sabine Boeddinghaus (Linke) fordert mehr Transparenz und eine Erhöhung der Vertretungsreserve

Bislang war dieser sogenannte Vertretungsbedarf gedeckelt. Künftig wächst die Stellenzahl proportional mit der Steigerung der Schülerzahlen. Das bedeutete allein in diesem Schuljahr ein Plus von 13 Stellen für die Vertretungsreserve. „Darüber hinaus ist gemäß der Hamburger Lehrerarbeitszeitverordnung in jeder zugewiesenen Vollzeitstelle eine Wochenstunde für Vertretung enthalten, über die die Schulen zusätzlich verfügen können. Hierfür müssten sonst ca. 647 weitere Vollzeitkräfte eingesetzt werden“, heißt es in der Senatsantwort.

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Nun sind die Zahlen auf dem Papier das eine, die Wirklichkeit an den Schulen sieht häufig anders aus. Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus bleibt skeptisch. „Unterricht gilt als ,vertreten‘, wenn ein Arbeitsauftrag erteilt wird oder dringend notwendige Doppelbesetzungen aufgehoben werden. Bei einer Vertretung per Arbeitsblatt werden nur die behördlichen Zahlen geschönt. Deshalb wissen wir auch nicht, wie hoch der Ausfall tatsächlich ist. Mit Sicherheit ist er aber höher, als das angegeben wird – so hören wir das tagtäglich aus vielen Schulen“, sagt Boeddinghaus. Die Linken-Politikerin fordert mehr Transparenz beim Thema Unterrichtsausfall und eine Erhöhung der Vertretungsreserve. „Hamburg schwächelt, wenn es darum geht, verbindlich und ausnahmslos allen Kindern und Jugendlichen ihr Recht auf Bildung zu gewähren.“

Die von Schulsenatorin für das nächste Schuljahr angekündigte Neufassung der Vertretungsrichtlinie wurde mit den Schulen entwickelt und liegt den Kammern (Eltern, Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte) zur Stellungnahme vor. Nach Angaben aus der Behörde soll die neue Richtlinie konkrete Beispiele enthalten, wie Schulen ihre organisatorischen Möglichkeiten nutzen können, um Stundenausfall zu vermeiden. Zum anderen sollen verstärkt digital gestützte Lernformen entwickelt und genutzt werden, deren Aufgaben Schüler selbstständig bearbeiten können.