Hamburg. Ein Newsletter aus dem Landesinstitut für Lehrerbildung empfahl den Schulen, keine Schweigeminuten einzulegen. Wie die Behörde reagiert.

Der Newsletter, der die Hamburger Schulen am 2. Oktober erreichte, sorgte bei vielen für Empörung und Unverständnis. Das Referat „Demokratiepädagogik und Projektlernen“ des Landesinstituts für Lehrbildung und Schulentwicklung (LI) empfahl den Schulen, das Massaker der islamistischen Terrororganisation Hamas mit mehr als 1200 israelischen Todesopfern am 7. Oktober, dem ersten Jahrestag des Überfalls, nicht inhaltlich zu thematisieren. „Verzichtet auf große Gesten wie Schweigeminuten, Aufforderungen zur Trauer oder Empathie. Verzichtet auch auf das gemeinsame Schauen von Reportagen in der nächsten Woche“, lautete der Rat des LI-Referats an die Lehrerinnen und Lehrer. Stattdessen sollten die Schulen „Emotionen Raum geben“ und Schülerinnen und Schüler zum Beispiel auffordern, „gemeinsam 1000 Kraniche der Hoffnung zu falten“.

Für die Opposition von CDU, FDP und AfD in der Hamburgischen Bürgerschaft war das Schreiben aus dem LI, das der Schulbehörde untersteht, schlicht ein Skandal. Doch auch die Reaktion aus der Behörde fiel mit einer klaren Distanzierung ungewöhnlich deutlich aus. „Wir sind im Gegenteil der Meinung, dass Schweigeminuten und andere Formen ermöglicht werden müssen“, sagte ein Behördensprecher in einer ersten Reaktion. Doch dabei ist es nicht geblieben.

Schule Hamburg: Senatorin Ksenija Bekeris erfuhr vom Newsletter erst vier Tage nach dessen Versendung

Ausweislich der Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Anna von Treuenfels-Frowein und Birgit Stöver erfuhr Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD) erst am Abend des 6. Oktober von dem Brief aus dem LI. Die Sozialdemokratin reagierte dann allerdings schnell und traf unmittelbar vor der offiziellen Gedenkveranstaltung aus Anlass des ersten Jahrestages des Hamas-Massakers, zu der auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am 7. Oktober in die Synagoge an der Hohen Weide (Eimsbüttel) gekommen war, Philipp Stricharz, den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Hamburg. In einem persönlichen Gespräch mit Stricharz erläuterte Bekeris die Hintergründe sowie ihre Kritik an dem Vorgehen des LI-Referats und bat die Jüdische Gemeinde um Entschuldigung.

Ksenija Bekeris, Senatorin für Schule und Berufsbildung
Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD) bat Philipp Stricharz, den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Hamburg, um Entschuldigung. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Ihm sei es in dem persönlichen Gespräch weniger um eine Entschuldigung gegangen, sagte Stricharz dem Abendblatt. Wichtig sei ihm gewesen, dass Bekeris deutlich mache, dass das Schreiben aus dem LI nicht mit der Schulbehörde abgestimmt gewesen sei und nicht deren Meinung wiedergebe. „Frau Bekeris sicherte mir zu, dass es seitens der Schulbehörde eine förmliche Klarstellung geben werde. Das war der Punkt, auf den es mir ankam“, sagte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde.

Das ist inzwischen geschehen: Landesschulrat Thorsten Altenburg-Hack hat sich in einer E-Mail vom 11. Oktober an alle Schulleitungen von dem Schreiben aus dem LI ungewöhnlich scharf distanziert. „Diese Nachricht (die E-Mail des LI-Referats, die Red.) enthält Empfehlungen und Hinweise, die die Schulbehörde nicht teilt und die ich mit diesem Schreiben einordnen und korrigieren möchte. Es ist keinesfalls die Absicht der Schulbehörde, das Gedenken an die Opfer des Überfalls auf Israel zu unterbinden. Dieser Opfer kann und soll gedacht werden“, schreibt der Landesschulrat und fügt hinzu: „Ebenso kann und soll aller gedacht werden, die in den dem Überfall folgenden kriegerischen Auseinandersetzungen Leben, Gesundheit und Heimat verloren haben.“

Beitrag war weder mit den Vorgesetzten noch der Behördenleitung abgestimmt

Da der 7. Oktober 2023, so Altenburg-Hack, „das schlimmste Pogrom auf Jüdinnen und Juden seit der Shoah“ markiere und auch die Folgen die gesellschaftliche Debatte weiterhin beherrschten, sei es nachvollziehbar, „dass Schülerinnen und Schüler ihre hierauf bezogenen Haltungen und Gefühle in die Schule“ brächten. „Daher gilt es, in Unterricht und Schulleben einen angemessenen Umgang mit den Fragen und Einstellungen der Schülerinnen und Schüler zu finden“, schreibt der Landesschulrat und fordert die Lehrerinnen und Lehrer auf: „Suchen Sie im Unterricht an passender Stelle das Gespräch über die Ereignisse und unterstützen Sie die Schülerinnen und Schüler bei der sachlichen Einordnung der Ereignisse.“

Die Spitzen des LI und der Schulbehörde sind von dem Newsletter offensichtlich überrascht worden. „Das zuständige Referat hat den Beitrag im Newsletter zum Umgang mit dem Jahrestag in seiner Bedeutung falsch eingeschätzt und es darüber hinaus an der notwendigen Sensibilität fehlen lassen. Hinzu kommt, dass der Beitrag im Newsletter weder mit den Vorgesetzten noch mit der Behördenleitung abgestimmt war“, schreibt der Senat in seiner Antwort auf die CDU-Anfrage.

Den Autoren drohen wahrscheinlich keine dienstrechtlichen Konsequenzen

Das soll sich in Zukunft ändern. Schul-Staatsrat Rainer Schulz hat in einer Verfügung an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bestehende Regelungen zu behördeninternen Abläufen und zum Dienstweg konkretisiert. Kurz gefasst: Newsletter, auch fachliche wie der aus dem LI-Referat zum 7. Oktober, müssen künftig mindestens von der vorgesetzten Dienststelle freigegeben werden, was bislang nicht explizit vorgeschrieben war. Dass die Autoren des Newsletters dienstrechtlich belangt werden, gilt daher als eher unwahrscheinlich. „Die dienstrechtliche Überprüfung ist noch nicht abgeschlossen. Eine erste Einschätzung weist jedoch darauf hin, dass keine Dienstpflichtverletzung erkennbar ist“, sagte Schulbehördensprecherin Claudia Pittelkow dem Abendblatt.

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Die Schulbehörde will die Schulen fachlich-inhaltlich bei der Aufarbeitung des Hamas-Massakers und beim Thema Antisemitismus-Prävention stärker unterstützen. „Prävention antisemitischer Haltungen und Äußerungen sowie menschenverachtender und demokratiefeindlicher Einstellungen ist Bildungs- und Erziehungsziel und wird über die Bildungspläne ausgewiesen. Die Behörde wird hierzu konkrete Handreichungen erarbeiten und den Schulen zur Verfügung stellen“, sagte die Sprecherin.

Schule Hamburg: CDU-Opposition fordert Handreichung zum Umgang mit Gedenktag

Außerdem plant die Behörde eine Ausgabe der Lehrerzeitschrift „Hamburg macht Schule“ mit dem Themenschwerpunkt „Antisemitismus(-Prävention)“. „Mit dem Antisemitismusbeauftragten Stefan Hensel ist eine gemeinsame Veranstaltung zum Thema Antisemitismus-Prävention sowie ein regelmäßiger Austausch geplant“, sagte Pittelkow.

Die von der Schulbehörde angekündigten Maßnahmen decken sich zum Teil mit Forderungen, die die CDU-Opposition in einem Bürgerschaftsantrag erhebt, der dem Abendblatt vorliegt. Darin wird der Senat ersucht, „eine Handreichung für Hamburgs Schulen zum Umgang mit dem Gedenktag des brutalen Angriffs der islamistischen Terrororganisation Hamas auf Israel zu entwickeln und allen Schulen zur Verfügung zu stellen“. Außerdem sollen „die bisherigen Angebote zum Umgang mit dem Nahost-Konflikt und zum Kampf gegen radikal-islamische Propaganda an Schulen“ ausgeweitet, zentral zusammengefasst und verfügbar gemacht werden. Die CDU fordert zudem, den Kampf gegen Antisemitismus und radikal-islamische Propaganda in Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern stärker zu integrieren und bei allen Bestrebungen den Antisemitismusbeauftragten einzubeziehen.