Hamburg. Entscheidung wichtig für Geschichtsschreibung: Oberlandesgericht gibt Hamburger Historiker Recht. Er kann aus Briefwechsel zitieren.

  • Skurriler Rechtsstreit zog sich sechs Jahre lang hin
  • Zwei Töchter hatten Historiker Verwendung der Zitate erlaubt, doch Enkelin reichte Klage ein
  • Geforderte Streichungen hätten den Zusammenhang des Porträts weitgehend zerstört

Manchmal dauert es etwas länger, bis ein Rechtsstreit höchstrichterlich und damit abschließend entschieden ist. Der Historiker Hans-Peter de Lorent musste in einer zum Teil skurrilen juristischen Auseinandersetzung sechs Jahre lang warten, ehe das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) als letzte Instanz jetzt sein Urteil fällte und ihm recht gab. Der frühere Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) darf aus dem Tagebuch des NS-Senators Oscar Toepffer (1896–1982) und seinem Briefwechsel mit seiner Frau Gretchen aus den Jahren des Zweiten Weltkrieges in vollem Umfang zitieren.

Die beiden Töchter Toepffers hatten de Lorent die Aufzeichnungen überlassen und die Veröffentlichung einzelner Passagen im Rahmen eines Porträts des kurzzeitigen NS-Schulsenators und Beraters des NSDAP-Gauleiters Karl Kaufmann nach de Lorents Darstellung ausdrücklich erlaubt. Eine Enkelin Toepffers war dagegen unter Berufung auf den postmortalen Urheberrechtsschutz juristisch vorgegangen. Sie war zudem der Ansicht, dass auch sie um Erlaubnis hätte gefragt werden müssen. Die aktuelle Entscheidung des 5. Zivilsenats des OLG ist rechtlich bindend, eine Revision nicht zugelassen.

Töchter des NS-Senators hatten Veröffentlichung erlaubt, Enkelin wollte sie verhindern

Darum geht es: De Lorent hatte für seine Darstellung Oscar Toepffers die ihm überlassenen Dokumente aus der Familiengeschichte ausgewertet. Das rund 30 Seiten umfassende Porträt des Hamburger Juristen und NSDAP-Mitglieds erschien bereits 2017 im zweiten Band des dreibändigen Werks „Täterprofile – Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz“. De Lorent zitiert Passagen aus dem Briefwechsel und Toepffers Tagebuch, die ihn als überzeugten Anhänger des NS-Regimes zeigen, dem erst gegen Ende des Zweiten Weltkrieges Zweifel kamen.

„An eine längere Dauer des Krieges kann ich einstweilen nicht glauben. Ich bin davon überzeugt, daß der Führer nach Überwindung Polens den Weg zu einem Frieden finden wird“, zitiert de Lorent Toepffer aus dessen Brief an seine Frau vom 9. September 1939. Nach der Besetzung der Niederlande und Belgiens durch die deutsche Wehrmacht, an der Toepffer als Soldat im Range eines Hauptmanns teilnahm, schrieb er am 18. Mai 1940: „Die Erfolge der deutschen Truppen sind fabelhaft. Es geht wirklich noch schneller als in Polen. Wer hätte das gedacht! Ich wage nicht zu prophezeien, wann unsere Schläge den Gegner mürbe gemacht haben werden. Aber daß wir dem Endsieg näher rücken, ist zweifellos ...“ 

Das Porträt zeigt Oscar Toepffer als überzeugten Anhänger des NS-Regimes

Und wenig später am 30. Mai 1940 schrieb Toepffer in einem weiteren Brief: „Man wird eines Tages die Frage aufwerfen, ob der Führer als Staatsmann oder als Feldherr größer war.“ Erst mit den militärischen Niederlagen wächst bei Toepffer die Skepsis, was de Lorent in seinem Porträt auch deutlich werden lässt. „Ja, liebe Frau, jetzt merken wir erst richtig, was dieser Krieg bedeutet und daß es um die Entscheidung geht, ob Deutschland weiter bestehen oder untergehen soll. Wer weiß, was für Prüfungen uns noch auferlegt sind ....“, schreibt Toepffer am 18. August 1943.

Der Historiker, frühere Grünen-Politiker und ehemalige GEW-Landesvorsitzende Hans-Peter de Lorent steht mit seinem Buch „Täterprofile“ vor dem Hamburger Rathaus.
Der Historiker, frühere Grünen-Politiker und ehemalige GEW-Landesvorsitzende Hans-Peter de Lorent steht mit seinem Buch „Täterprofile“ vor dem Hamburger Rathaus. © MARCELO HERNANDEZ / FUNKE Foto Services | Foto: Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Gegen die Verwendung und Veröffentlichung dieser und mehr als 30 weiterer Passagen aus der Feder Oscar Toepffers hatte seine Enkelin geklagt. Zentrales Argument der Juristin war die Behauptung, dass die Sätze ihres Großvaters „geistige Schöpfungen“ und insofern auch nach seinem Tod urheberrechtlich geschützt seien. Dahinter stand von Beginn an die sehr grundsätzliche Frage, welcher Quellen sich historische Forschung überhaupt bedienen darf. Neben de Lorent klagte die Toepffer-Enkelin auch gegen die Schulbehörde, weil die ihr unterstellte Landeszentrale für politische Bildung die „Täterprofile“ herausgegeben hat. Namentlich Ex-Schulsenator Ties Rabe (SPD) hatte de Lorent über die lange Dauer der juristischen Auseinandersetzung stets unterstützt und ihm den Rücken gestärkt.

Landgericht verlangte Streichung von nicht weniger als 39 Toepffer-Zitaten

Das war vor allem wichtig, als eine Zivilkammer des Landgerichts im April 2023 mit ihrer Entscheidung der historischen Arbeit de Lorents einen schweren Schlag versetzte. Die Richter verpflichteten die Herausgeber, nicht weniger als 39 Toepffer-Zitate in noch nicht verkauften Exemplaren der „Täterprofile“ sowie aus dem PDF des Buchs, das im Internet abrufbar ist, zu streichen, unkenntlich zu machen oder zu löschen. Das Gericht fasste den postmortalen Urheberrechtsschutz sehr weit und kam zu dem Ergebnis, dass de Lorent die Erlaubnis aller Erben Toepffers hätte einholen müssen. Schutzwürdig seien die Sätze des NS-Senators, weil sich aus Form und Inhalt ergebe, dass die erforderliche „individuelle Prägung“ vorliege, die sich zum Beispiel im Sprachstil zeige.

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Die aufgegebenen Streichungen hätten den Zusammenhang des Porträts weitgehend zerstört. Die Schulbehörde und de Lorent legten gegen das Urteil des Landgerichts Berufung ein. Bereits in der mündlichen Verhandlung Ende Juni dieses Jahres zeigte sich, dass das Oberlandesgericht zu einer anderen Rechtsauffassung gelangen würde als die Vorinstanz. Entsprechend deutlich ist nun auch das Urteil ausgefallen. „Der Unterlassungsanspruch (der Toepffer-Enkelin, die Red.) ... scheitert daran, dass nicht festzustellen ist, dass die übernommenen Werkteile für sich genommen persönliche geistige Schöpfungen ... sind. Dies hat zur Folge, dass ihre Benutzung urheberrechtlich nicht verboten werden kann“, lauten zwei Kernsätze der 42 Seiten umfassenden Entscheidung des 5. Zivilsenats.

Oberlandesgericht sah „keine hinreichende Schöpfungshöhe“ und keinen Urheberrechtsschutz

Nach Auffassung des OLG schrieb Toepffer die Briefe und Tagebucheintragungen „in der seinerzeitigen Sprache der (gehobenen) Gesellschaftsschicht des Verfassers ... bzw. z.T. unter Verwendung von Militärsprache, was nicht eigenschöpferisch ist“. Auch der Inhalt sei „nicht schutzfähig, soweit er auf der Wiedergabe von tatsächlichen Geschehnissen beruht und diese beschreibt, da die Realität als solche gemeinfrei ist“. Alles in allem, so dass OLG in scharfem Gegensatz zum Landgericht, böten die Toepffer-Zitate „keine hinreichende Schöpfungshöhe für einen Urheberrechtsschutz“. Da kein solcher Schutz bestehe, habe de Lorent auch nicht die Zustimmung aller Erben und „Erbeserben“ Toepffers für seine Veröffentlichung einholen müssen.

„In einer Zeit, in der die Aufarbeitung des Nationalsozialismus von aktueller politischer Bedeutung ist, bin ich erleichtert, dass eine Juristin nicht mit einer Klage verhindern kann, dass eine Biografie ihres Großvaters veröffentlicht wird, in der seine Verstrickung als NS-Senator in Hamburg beschrieben wird“, sagte Hans-Peter de Lorent dem Abendblatt. „Es freut mich, dass andere Enkel von Oscar Toepffer Kontakt zu mir aufgenommen haben und mit dieser Aufarbeitung der Familiengeschichte sehr einverstanden sind. Es spornt mich an, meine Arbeit intensiv fortzusetzen.“