Hamburg. Schulen melden besonders schlimme Fälle. Linken-Fraktionschefin Boeddinghaus spricht von Machtmissbrauch und befürchtet großes Dunkelfeld.
Diskriminierung an Schulen kann brutal offen sein, aber auch eher versteckt daher kommen: Ein Lehrer sagt einer türkischstämmigen Schülerin, ihre schlechten Noten seien nicht so schlimm, da sie ja ohnehin bald verheiratet wird. Oder: Trotz gleicher Leistungen erhält ein Schüler mit Migrationshintergrund eine schlechtere Note als ein Schüler ohne Migrationshintergrund. Auch Mobbing unter Schülern ist diskriminierend: Eine Schülerin wird auf dem Pausenhof als „Du dumme Lesbe“ beschimpft. Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund werden als „Kanaken“ bezeichnet, die wiederum ihre Mitschüler ohne Migrationshintergrund als „deutsche Kartoffeln“ anreden.
Welches Ausmaß Diskriminierungen und abwertende Äußerungen von Lehrkräften Eltern und Schülern gegenüber, aber auch zwischen Schülerinnen und Schülern haben, ist nicht ermittelt. „Die Zahlen von Diskriminierungsfällen in Hamburger Schulen werden von der für Bildung zuständigen Behörde nicht zentral erhoben“, schreibt der Senat in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bürgerschafts-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus. Eine Einzelabfrage an den 476 Schulen sei „im Rahmen der zur Beantwortung dieser parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit“ nicht möglich gewesen.
Im vergangenen Schuljahr wurden der Schulbehörde 35 Fälle von Diskriminierungen gemeldet
Immerhin: Der Senat nennt die Zahlen der vermutlich besonders gravierenden Fälle, die der Schulaufsicht, dem Hamburger Institut für Berufliche Bildung (HIBB) und dem Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) von den Schulen gemeldet wurden. Im Schuljahr 2023/24 wurden danach auf diesen Wegen 35 Fälle von Diskriminierungen registriert. Zum Vergleich: Im Schuljahr 2022/23 waren es 23 Fälle und im Schuljahr 2021/22 wurden 42 Vorgänge gezählt.
Mit 22 Fällen im abgelaufenen Schuljahr entfällt der größte Teil auf Diskriminierungen durch Lehrkräfte gegenüber Schülerinnen und Schülern. Dazu zählen neben verbalen Äußerungen auch Aufgabenstellungen und die Aufbereitung von Unterrichtsinhalten.
Zum Vergleich: Im Schuljahr 2022/23 wurden zehn und im Schuljahr davor 28 Fälle gemeldet. Annähernd konstant ist die Zahl von aktenkundigen Diskriminierungen durch Schüler und Schülerinnen untereinander: Zwölf Fälle waren es jeweils in den beiden zurückliegenden Schuljahren und 13 Fälle im Schuljahr 2021/22. In jedem der drei betrachteten Schuljahre wurde ein Diskriminierungsfall durch Schulleitungen gegenüber Mitarbeitenden registriert.
Schule Hamburg: Linken-Fraktionschefin fordert unabhängige Beschwerdestelle
Für die Linken-Schulpolitikerin Boeddinghaus stellen die dokumentierten Fälle nur die Spitze eines Eisbergs dar. „Es fehlt eine zentrale Datenerhebung durch die Behörde. Ich vermute ein großes Dunkelfeld, das an den Schulen verbleibt“, sagt Boeddinghaus, die außerdem „klare und verbindliche Ablaufpläne und Standards für alle Schulen“ vermisst. „Gerade die Fälle von Diskriminierung durch Lehrkräfte sind besorgniserregend. Wir brauchen eine unabhängige Beschwerdestelle. Die ungleiche Macht von Lehrkräften gegenüber Schülerinnen und Schülern liegt auf der Hand“, sagt die Linken-Politikerin.
Dass das Thema Diskriminierung an Schulen für die Schulbehörde durchaus Bedeutung hat, ergibt sich aus weiteren Antworten des Senats auf die Boeddinghaus-Anfrage. „Der Stellenwert der Bekämpfung von Diskriminierung und Rassismus zeigt sich in einer Vielzahl von Neuerungen, die die für Bildung zuständige Behörde in den letzten zwei Jahren durchgeführt hat: So wurde im Mai 2023 in § 1 des Hamburgischen Schulgesetzes der Schutz vor rassistischer Diskriminierung in der Schule aufgenommen“, schreibt der Senat. Außerdem sei der „Orientierungsrahmen Schulqualität“ um das Merkmal „Vorbeugung vor Diskriminierung in der Schule und schnelles und konsequentes Handeln bei Diskriminierung“ erweitert worden.
Bei schwerwiegenden Fällen kann es zu Abmahnungen und Kündigung kommen
Der Senat weist auf „eine Vielzahl von Unterstützungsangeboten, wie z. B. schulinterne Beratungslehrkräfte und Beratungsdienste“ hin, an die sich Betroffene wenden können. Die Beratungslehrer seien „besonders geschult und sensibilisiert, um auch Hinweise auf Mobbing und Diskriminierung in Schulklassen und bei einzelnen Schülerinnen und Schülern einzuordnen“. Die Beratungen würden auch schulintern dokumentiert. „Außerdem stehen außerschulische Beratungsstellen wie Amira und empower zur Verfügung“, heißt es weiter.
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Fälle von diskriminierendem Verhalten von Lehrkräften gegenüber Schülern, Eltern oder anderen Lehrkräften und Mitarbeitenden würden durch die Schulleitungen „aufgenommen, und ggf. unter Einbeziehung weiterer Fachkräfte bearbeitet“. Fehlverhalten von Schulleitungen werde „durch die zuständige Schulaufsicht aufgenommen und ggf. unter Einbeziehung weiterer behördlicher Stellen bearbeitet und dokumentiert“. Der Sanktionsrahmen reicht von Dienstgesprächen über Disziplinarverfahren bis hin zu Abmahnungen und Kündigungen (bei Tarifbeschäftigten).
32 Schulen haben begonnen, interne Verfahren zum Umgang mit Diskriminierung zu erarbeiten
Daneben gibt es weitere Maßnahmen wie die Empfehlung zur Teilnahme an einschlägigen Fortbildungsveranstaltungen oder die zeitweise Doppelbesetzung mit einer anderen Lehrkraft sowie Hospitationen durch die Schulleitung. „In besonders schwerwiegenden Fällen kann auch die Versetzung in eine andere Klasse oder Schule... vorgenommen werden“, schreibt der Senat.
Schulen werden auch selbst aktiv. Seit 2021 wenden sich Schulen laut Senat an die Beratungsstelle interkulturelle Erziehung, um sich bei der Auftstellung eines innerschulischen Beschwerdeverfahrens helfen zu lassen. „Zurzeit befassen sich über 60 Schulen mit dem Thema Antidiskriminierungsmanagement, davon haben 32 Schulen begonnen, schulinterne Verfahren zum Umgang mit Diskriminierung in ihrer Schule zu installieren“, heißt es in der Senatsantwort.
Linken-Schulpolitikerin Boeddinghaus bleibt skeptisch. Fälle von Fehlverhalten würden nur an den Schulen selbst bearbeitet und dokumentiert und „nur in Einzelfällen überhaupt an übergeordnete Stellen weitergeleitet“. Die Abgeordnete hat vor allem die verbalen Übergriffe von Lehrkräften im Blick. „Was sind die Beteuerungen der Professionalität und die gesetzlichen Verpflichtungen aus dem Hamburgischen Schulgesetz eigentlich wert?“, fragt Boeddinghaus. Die dokumentierten Fälle deuteten auf Machtmissbrauch hin. „Gerade im Schutzraum Schule muss die Behörde für die jungen Menschen einstehen“, sagt die Linken-Politikerin.